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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

196-198

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Richter, Gerhard:

Titel/Untertitel:

Oikonomia. Der Gebrauch des Wortes Oikonomia im Neuen Testament, bei den Kirchenvätern und in der theo logischen Literatur bis ins 20. Jahrhundert.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2005. X, 753 S. gr.8° = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 90. Lw. EUR 178,00. ISBN 3-11-016728-X.

Rezensent:

Heinrich Holze

Was sich unter einem bescheidenen Titel ankündigt, erweist sich bei näherem Zusehen als gelehrte Entfaltung von 2000 Jahren Theo logiegeschichte. Im Mittelpunkt steht der Begriff Oikonomia und seine Wirkungs- und Deutungsgeschichte. Das Buch ist chronologisch aufgebaut, beginnend mit dem Wortgebrauch in der hellenis tischen Antike und endend mit der Darstellung von Entwürfen gegenwärtiger systematischer Theologie. Als Einstieg in die Lektüre des Buches sei das letzte Kapitel, in dem der Vf. den Gebrauch von Oikonomia in der theologischen Literatur des 19. und 20. Jh.s analysiert, empfohlen (Kapitel 8). Hier wird das sachliche Interesse, welches der Untersuchung zu Grunde liegt und ihre Fragestellung profiliert, am deutlichsten erkennbar. Der Vf. zeigt, dass der in den biblischen Schriften und der patristischen Theologie verwendete Begriff Oikonomia in der gegenwärtigen Theologie zwar oft als »ein zusammenfassender Ausdruck, der die Verständigung erleichtert« (714), gebraucht werde. Der Bedeutungsgehalt von Oikonomia sei jedoch, wie an verschiedenen dogmatischen Entwürfen aufgewiesen wird, unklar und widersprüchlich. Daraus leitet der Vf. die Aufgabe ab, »den Gebrauch des Wortes von seiner Herkunft aus in seiner Entfaltung zu den verschiedenen Bedeutungen aufzunehmen und herauszufinden, was ein Verfasser jeweils meint, wenn er Oikonomia schreibt«. (2)

Den Einstieg bildet eine Untersuchung des Wortgebrauchs in der Literatur der klassischen und hellenistischen Zeit (Kapitel 1). In der antiken Philosophie bezeichnet Oikonomia die rechte Verwaltung des Hauses. Der sittliche Charakter von Oikonomia regt zum Nachdenken über die Moralität im eigenen Lebensbereich an. Zugleich zeigt sich die Ausweitung auf das vernünftige Zusammenleben einer Polis und den gesamten Kosmos: »Das Haus wird zum Modell für das Begreifen der Welt.« (13) Die Untersuchung des Wortfelds im Neuen Testament ergibt, dass es in der frühchristlichen Zeit noch keine feste Grundbedeutung von Oikonomia gibt, vielmehr der Sinnzusammenhang des Kontextes über das Verständnis des Begriffs entscheidet (Kapitel 2). Dabei zeigt sich, dass die Autoren an das griechisch-hellenistische Denken, die Verwendung im politisch-wirtschaftlichen Bereich sowie zur Natur- und Welterklärung anknüpfen und sie auf den Dienst an der Gemeinde übertragen. Daneben tritt in den paulinischen Briefen die Neudeutung des Begriffs als Handeln Gottes, der in der Oikonomia der Weltregierung seine Heilsabsicht verwirklicht. Die frühchristliche Literatur des 2. Jh.s zeigt noch keinen grundsätzlichen Wandel, wohl aber eine Ausweitung der Verwendung auf Gottes Handeln an Christus (Kapitel 3).

Bei den kirchlichen Schriftstellern des 3. Jh.s wirkt sich die Ausbildung der Trinitätslehre auf die Begriffsgeschichte von Oikonomia aus (Kapitel 4). Für Hippolyt geht es darum, Gott bekannt zu machen und Gotteserkenntnis zu befördern. Tertullian verwendet Oikonomia zur Beschreibung des innertrinitarischen Seins und der Hinwendung Gottes zur Welt. Für Klemens von Alexandrien bezeichnet Oikonomia das hinter dem Heilsgeschehen erkennbare Walten Gottes. Origenes benennt mit Oikonomia Gottes Herrsein über die Welt sowie die Menschwerdung des Logos als Offenbarung Gottes. Im 4. Jh. zeigt sich eine Fokussierung auf die christologische Deutungslinie (Kapitel 5). Die Kappadokier verwenden Oikonomia, um die Menschwerdung, das irdische Dasein Christi, das gottmenschliche Sein, den Weg von Leiden, Kreuz und Sterben zu beschreiben. Kyrill von Alexandrien knüpft daran an, setzt jedoch mit der Formel der »ökonomischen Einheit« einen neuen Akzent, der den Gedanken erlaubt, dass der Logos ohne jede Veränderung das Menschliche annehmen kann. Der Wortgebrauch in der byzantinischen und nachbyzantinischen Zeit zeigt viele Übereinstimmungen mit der Väterzeit; zugleich erweitert sich das Bedeutungsspektrum (Kapitel 6). Neben die bereits bekannten Deutungen tritt der Gebrauch von Oikonomia zur Verteidigung der Bilderverehrung mit dem Argument, dass die Menschwerdung leugnet, wer Bilder ablehnt. Oikonomia wird darüber hinaus in der kirchlichen Rechtsprechung als Ausdruck von Billigkeit und Menschenfreundlichkeit verwendet. Auf dem Hintergrund der Kirchenspaltung von 1054 wird der Begriff zum Leitgedanken für einen friedensstiftenden Umgang mit der lateinischen Kirche und für die einvernehm liche Regelung von Rechtsansprüchen.

Der abendländische Gebrauch von Oikonomia weicht von der vorangehenden Deutungsgeschichte erkennbar ab (Kapitel 7). Das hängt damit zusammen, dass der Begriff im lateinischen Mittelalter weitgehend in Vergessenheit gerät und erst durch den Humanismus mit seiner griechischen Sprachkenntnis und Antikenrezeption wiederentdeckt wird. Damit einher geht eine deutliche Reduktion des Deutungsspektrums. Unter Bezug auf die christologisch-soteriologischen Aspekte steht die Ausrichtung auf den einzelnen Menschen im Vordergrund, während die Vorstellung von Gottes Walten in der Welt, der Natur und den Gegebenheiten des menschlichen Lebens zurücktritt. Gleichzeitig wird jedoch die ursprüngliche Vorstellung von Oikonomia als Verwaltung von Haus und Staat wieder aufgegriffen, was für die Entwicklung einer eigenständigen Sozialethik von Bedeutung ist. In der reformierten Theologie führt die Föderaltheologie zu einem neuen Verständnis von Oikonomia, das nunmehr Gottes Handeln an der Welt und an Christus als zeitliche Folge von zwei Perioden im Alten und Neuen Testament beschreibt. Das 8. Kapitel, von dem eingangs bereits die Rede war, bildet mit der Darstellung der Verwendung von Oikonomia in der theologischen Literatur des 19. und 20. Jh.s den Abschluss.

Der Vf. hat ein wichtiges Buch vorgelegt. Bei der üblich gewordenen Spezialisierung theologischer Forschung ist es bemerkenswert, dass er das Thema in einer denkbar weiten Perspektive unter Berücksichtigung exegetischer, kirchengeschichtlicher und dogmatischer Einsichten entfaltet. In allen Bereichen verfügt der Vf. über eine sichere Quellenkenntnis. Er kann dabei an eigene Untersuchungen zur byzantinischen Theologie des 8. (Johannes von Damaskos) und des 13. Jh.s (Theodoros Laskaris, Johannes Bekkos) anknüpfen. Außerdem kann er auf zahlreiche Einzeldarstellungen anderer Autoren zurückgreifen, die Teilaspekte des hier entfalteten Themenspektrums untersuchen. Die Bezugnahmen auf die Sekundärliteratur werden in den Anmerkungen verzeichnet. Leider fehlt jedoch eine forschungsgeschichtliche Einordnung. Gerade weil der Vf. eine deutungsgeschichtliche Arbeit vorlegt, wäre es lohnend gewesen, die Forschungsdiskussion eigenständig in den Blick zu nehmen. Zu bedauern ist außerdem, dass ein Literaturverzeichnis fehlt und die Autoren, auf deren Arbeiten verwiesen wird, nur durch das Namensregister erschlossen werden können. Diese kritischen Anmerkungen schmälern jedoch den positiven Gesamteindruck nicht.

Wer über Geschichte und Deutung des Begriffs Oikonomia unterrichtet werden möchte, wird durch dieses Buch reich belehrt. Es sei Exegeten, Kirchengeschichtlern, insbesondere aber Systematischen Theologen zur Lektüre empfohlen.