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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

194-196

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hütter, Leonhart:

Titel/Untertitel:

Compendium Locorum Theologicorum ex Scripturis Sacris et Libero Concordiae. Lateinisch ­ deutsch ­ englisch.

Verlag:

Kritisch hrsg., kommentiert u. m. e. Nachwort sowie e. Bibliographie sämtlicher Drucke des Compendium versehen v. J. A. Steiger. 2 Teilbde. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2006. 1144 S. m. Abb. 8° = Doctrina et Pietas, II/3. Lw. EUR 250,00. ISBN 978-3-7728-1872-1.

Rezensent:

Traugott Koch

Leonhart Hütters ­ des Hutterus¹­ Compendium ist zweifellos eines der verbreitetsten und einflussreichsten kurzgefassten Lehrbücher der lutherischen Orthodoxie. In einer überaus klaren und konzentriert prägnanten Weise wird in 34 Artikeln (oder Loci) die gesamte lutherische Lehre, in Form von Frage und Antwort und unterschieden nach Schwierigkeitsgraden, doch ohne ðscholastischeÐ Terminologie dargelegt. Die »orthodoxe« lutherische Lehre war normierte Lehre, schriftlich in Lehrartikeln fixiert und musste folglich nachschlagbar sein. Diesem Zweck diente H.s Compendium vorzüglich. Wer immer, bis heute, sich kurz informieren wollte über die »rechte«, d. i. »reine« lutherische Bestimmung (oder Definition) eines Lehrstücks, fand die nötige Auskunft in H.s Werk. Und eine instruktive Zusammenfassung der ðTheologie der lutherischen BekenntnisschriftenÐ ist es sicherlich noch immer.

Im Jahre des Ersterscheinens, 1610, wurden schon vier Ausgaben der ursprünglich lateinischen Fassung gedruckt, und bereits im Jahre 1611 wurde eine deutsche Version und im Jahre 1613 eine eigene deutsche Übersetzung H.s publiziert. Bis weit ins 18. Jh. hinein wurde sie vielfach aufgelegt. Die vorliegende Neuausgabe bibliographiert 108 Drucke.

Gegenwärtig ist dieser Abriss (oder ðKurze BegriffÐ) der Lehre noch in einer wohlfeilen Ausgabe erhältlich: in der Reihe »Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen«, herausgegeben von W. Trillhaas. Hier umfasst H.s lateinisches Buch XII und 142 Seiten. Und nun liegt vor eine von J. A. Steiger in seiner höchst verdienstlichen Reihe »Doctrina et Pietas« besorgte historisch-kritische Edition mit einem Umfang von 1144 Seiten. Man könnte fragen: Wozu der Aufwand? Eine Antwort gibt ein Vergleich: Trillhaas¹ Ausgabe beschränkt sich, nach H.s Vorrede an den Leser, auf das Korpus der 34 Loci. Sie übergeht die Vorrede des sächsischen Kurfürsten Christian II. und das im Erstdruck das Werk abschließende Gebet. Das hat weitreichende Folgen: Fällt das Schlussgebet weg, so ist nicht mehr deutlich, dass für Luther und seine »orthodoxen« Nachfolger alle rechte Theologie, alles Theologie-Treiben, ins Gebet einmündet (s. dazu bei J. A. Steiger, 784). Und ist die Vorrede des Kurfürsten ausgelassen, der der Auftraggeber des Compendium war, so fehlt der zeitgenössische kirchen- und theologiegeschichtliche Kontext, aus dem allein die Entstehung dieses Werkes erklärlich wird: nämlich die Austreibung des sog. »Kryptocalvinismus« und die landesherrliche Etablierung der Konkordienformel im Konkordienbuch. Dies Defizit ist im Nachwort der vorliegenden Neuedition gründlich aufgearbeitet. Auf 30 Seiten wird anhand von Aktenstücken und teilweise erstpublizierten Archivalien über die »Vor- und Entstehungsgeschichte von Hütters Compendium« gehandelt. (So entsteht übrigens eine anschauliche Vorstellung von dem, was in der Frühzeit des Luthertums »landesherrliches Kirchenregiment« in Zusammenarbeit mit den theologischen Fakultäten bedeutete.)

Die Neuedition druckt die lateinische und die deutsche Version seitenparallel ab ­ und im 2. Teilband die englische Übersetzung, angefertigt innerhalb der amerikanischen »Lutheran Church« der »Missouri-Synode« aus dem Jahre 1868. Dem lateinisch-deutschen Druck liegt die 2. Auflage der zweisprachigen Ausgabe aus dem Jahre 1661 zu Grunde. Er ist mit zwei Apparaten kommentiert: einem textkritischen, der die Textvarianten der Erstausgaben und die Errata enthält; und einem zweiten, der ­ mit erstaunlichem Kenntnisreichtum ­ den Nachweis der Belegstellen führt, insbesondere aus der Formula Concordiae, aber auch aus antiken und patristischen Schriften und denen zeitgenössischer lutherischer Theologen. Dafür werden samt den verschiedenen Vorreden 616 Seiten benötigt.

Es folgen noch ein »Textanhang« mit einem Widmungsgedicht, weiteren Vorreden, dem Schlussgebet und deutschen Übersetzungen ­ und ein »Anhang« mit Nachweisen zum Druck der Edition und mit den Registern. Die Edition schließt im 1. Teilband mit einem ausführlichen »Nachwort«, das nicht nur über die Entstehungsgeschichte und über die verschiedenen Ausgaben bis in die Gegenwart berichtet, sondern auch die Druck- und Rezeptionsgeschichte sowie die Grundsätze der Edition darlegt und die nötigen Verzeichnisse enthält. ­ Insgesamt ist das eine mit enormer Sachkunde und penibler Sorgfalt besorgte Neuausgabe.

In seiner Vorrede ordnet Kurfürst Christian II. die Einführung des H.schen Compendium als ordentliches Lehrbuch an. Ebenso wie der vom Kurfürsten veranlasste ðliberÐ »Christianae Concordiae in forma minore« (14, s. bei Steiger, 676 f.) sollte das H.sche Compendium dazu dienen, dass ðauch nicht um HaaresbreiteÐ »von der Lehre« abgewichen wird, »welche in der Concordien=Formel den prophetischen und apostolischen Schriften gemäß bekannt wird« (654; cf. im lateinischen Orginaltext, 15). Diesen Zweck wird die Neuedition nicht mehr verfolgen können. Aber sie könnte und sollte die gegenwärtige Auseinandersetzung mit einer Theologie initiieren, die überzeugt war, schriftgemäß auf dem Konkordienbuch, den lutherischen Bekenntnisschriften, zu beruhen, und ohne die wir alle nicht das wären, was wir sind. Durch die Neuedition und dank der in ihr ausgebreiteten großen Gelehrsamkeit sind alle möglichen Hindernisse zu einer solchen Auseinandersetzung aus dem Wege geräumt. Darum sollte sie in keiner evangelisch-theologischen Bibliothek, in keiner eines Seminars für frühneuzeitliche Historie und möglichst in keiner Handbibliothek theologisch Interessierter fehlen.