Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

192-194

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Heering, Jan-Paul:

Titel/Untertitel:

Hugo Grotius as Apologist for the Christian Religion. A Study of His Work De veritate religionis Christianae (1640).

Verlag:

Transl. by J. C. Grayson. Leiden-Boston: Brill 2004. XVII, 267 S. m. 8 Abb. gr.8° = Studies in the History of Christian Thought, 111. Geb. EUR 103,00. ISBN 90-04-13703-3.

Rezensent:

Christoph Strohm

»Paci christianorum studentis officium et hoc est, demoliri dogmata, quae pacem civilem perturbant. Prius est bonum civem esse quam bonum christianum.« Dieser Satz aus einer der letzten Schriften Hugo Grotius¹ steht aus gutem Grund am Beginn der vorliegenden Studie über das apologetische Werk des niederländischen Juris ten, Philologen und Theologen. Denn Grotius hat die das Gemeinwesen bedrohenden Auseinandersetzungen und Spaltungen unter den Christen bei seinem apologetischen Bemühen als zentrales Problem vor Augen. Ihre Überwindung ist die Voraussetzung dafür, dass Apologetik überzeugend sein kann. Insofern ist es für Grotius¹ Denken charakteristisch, dass er gerade keinen Gegensatz zwischen dem Ziel, ein guter Bürger und ein guter Christ zu sein, sieht. H. konzentriert seine Untersuchung auf Grotius¹ wichtigstes apologetisches Werk, die während der Haft in niederländischer Sprache verfasste, zuerst 1622 gedruckte Schrift De veritate religionis Christianae , und analysiert die zahlreichen Erweiterungen und Veränderungen bis zur letzten zu Lebzeiten erschienenen Ausgabe von 1640.

Im ersten Kapitel werden die Umstände der Abfassung der ersten niederländischen Ausgabe der Schrift unter dem Titel Bewijs van den waren godsdienst dargestellt (vgl. 1­25). Moritz von Oranien hatte Grotius im Zuge seines Vorgehens gegen Johann van Oldenbarnevelt am 29. August 1618, unmittelbar vor dem Beginn der Synode von Dordrecht im November 1618, mit in Haft genommen. Nach der Überführung auf die Burg Loevestein bei Gorinchem Anfang Juni 1519 konnte Grotius sich noch besser seinen Studien widmen als in den ersten Monaten der Haft in Den Haag. So ließ er Gedichte religiösen Inhalts in niederländischer Sprache drucken und trug sich mit dem Gedanken einer Gesamtdarstellung der christlichen Lehre. In einem Brief vom 15. Dezember 1619 spricht er zum ersten Mal ausdrücklich von dem Plan, ein kurzes Werk »gegen die Ungläubigen und die Juden« zu schreiben. Bis März 1620 scheint eine erste Fassung fertiggestellt worden zu sein, aber erst im Mai 1622 erfolgte der Druck. Veränderungen waren nicht zuletzt durch die Kritik eines Freundes, des führenden Remonstranten-Theologen Simon Episcopius, veranlasst. Einen wichtigen Hinweis auf die Motive der Arbeit an der Schrift gibt die Widmung an das Volk von Holland. Die Widmungsrede zeugt von glühender Vaterlandsliebe und erinnert an das Bemühen des führenden Vertreters der politiques in Frankreich, Jacques de Thou, mit dem Grotius in Austausch stand und der in gleicher Weise die das Vaterland verderbenden, religiös motivierten Parteiungen zu überwinden trachtete. Und natürlich suchte der Inhaftierte mit seinen betont patriotischen Tönen auch die Sympathien seiner Landsleute zu gewinnen.

In den folgenden Kapiteln werden die verschiedenen Ausgaben vorgestellt und die Entwicklung des Textes von 1622 bis 1640 skizziert (26­46) sowie eine zusammenfassende Darlegung des Inhalts der einzelnen Bücher geboten (47­63). Grotius beginnt mit einem Buch, das im Sinne einer natürlichen Theologie Gott als letzte Ursache und seine gegenwärtige Providenz erläutert. Ein zweites nimmt Jesu Wirken in den Blick und legt besonderes Gewicht auf dessen wundertätiges Handeln. Die altkirchliche Zwei-Naturen-Christologie fehlt ebenso wie im ersten Buch das Trinitätsdogma. Das dritte Buch versucht, die Glaubwürdigkeit der Bibel zu erweisen. Drei weitere Bücher des Werkes sind der Auseinandersetzung mit Heiden, Juden und Muslimen gewidmet. Trotz Grotius¹ außerordentlich umfassender Gelehrsamkeit kann H. die von diesem hauptsächlich herangezogenen Quellen herausarbeiten. Das erste, vierte und fünfte Buch zeigen starke Parallelen zu Philipp Du Plessis-Mornays apologetischem Werk De la verité de la réligion chrestienne contre les athées, epicuriens, païens, juifs, mahumédistes et autres infidèles von 1581. Das zweite und dritte Buch orientieren sich an der Schrift De auctoritate Sacrae Scripturae liber, die Faustus Socinus 1588 unter dem Pseudonym Dominicus Lopez S. J. zum Druck ge bracht hatte. Das sechste Buch schließlich nimmt Juan-Luis Vives¹ Werk De veritate fidei christianae von 1543 auf. Ein Charakteristikum bei Grotius ist zum Beispiel die ­ mit der Ausbreitung des Neustoizismus am Beginn des 17. Jh.s verbundene ­ besondere Wertschätzung stoischer Philosophie, während Du Plessis-Mornay noch die platonische favorisiert hatte (vgl. 96).

Im Kapitel über die Ausführungen zu Intentionen und Methoden (64­93) profiliert H. die irenischen Motive der apologetischen Arbeit Grotius¹. Um die durch dogmatische Rigidität verursachten Spaltungen der Christenheit zu überwinden, reduziert Grotius das christliche Dogma auf elementare, unbedingt notwendige und in der Bibel belegte Lehren. Diese sind seiner Auffassung nach Nichtchristen überzeugend zu vermitteln. Das apologetische Schrifttum entspricht seinen irenischen Intentionen, da hier wie dort Elementarisierung notwendig ist. Die Ausführungen über die von Grotius zu Grunde gelegten Methoden bleiben eher skizzenhaft. Neben den »principles of humanist dialectic«, die von Laurentius Valla, Rudolph Agricola und Petrus Ramus entwickelt worden seien, habe Grotius auch auf »legal dialectic« (81­83) zurückgegriffen. In welcher Weise sich die juristische Schulung neben der theologischen auf Grotius¹ theologisches Schrifttum ausgewirkt hat, bleibt auch nach der ansonsten an Erträgen reichhaltigen Studie weiter zu er forschen. Das sechste Kapitel untersucht die umfangreichen Anmerkungen, die Grotius den späten Ausgaben seines Werkes hinzugefügt hat (163­198). Auch hier trägt H. eine Fülle von interessanten Beobachtungen zusammen. So werden wir über Grotius¹ Kenntnisse des Islam informiert (194­198 u. ö.). Benutzt hat er die erste lateinische Übersetzung des Koran aus dem 12. Jh. Bezüge finden sich ferner auf mehrere Werke islamischer Autoren aus Biblianders Sammlung.

Das letzte Kapitel gibt einen Überblick über die enorme Wirkungsgeschichte der Schrift, die zu einem der am häufigsten nachgedruckten Werke der Geschichte der christlichen Apologetik wurde (199­241). Außer Übersetzungen in französischer, englischer, schwedischer, griechischer, persischer und arabischer Sprache er schien auch eine von Martin Opitz erstellte Übertragung ins Deutsche. Zu Lebzeiten erfuhr die Schrift nicht zuletzt darum heftige Kritik, weil sie in die Auseinandersetzungen zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten geriet. Neben Gisbert Voetius und Martin Schoockius hat auch der in Leiden wirkende französische reformierte Theologie André Rivet den Vorwurf der Nähe zum Sozinianismus erhoben. Grotius hat dies entschieden zurückgewiesen. Gleichwohl ist für sein apologetisches Bemühen kennzeichnend, dass er bewusst auf die Begründung christlicher Lehren in der Of fenbarung Gottes verzichtet und nur solche, die vermeintlich der recta ratio entsprechen, ausführt. Infolgedessen hat die Trinitätslehre wie auch die Zwei-Naturen-Christologie keinen Platz in Grotius¹ apologetischem Werk.

Der Wert der Studie H.s liegt darin, über zahlreiche wichtige Einzelbeobachtungen hinaus die große Freiheit, in der Grotius mit der theologischen Schultradition umgeht, aufgezeigt zu haben. Der Jurist und »Amateurtheologe« kann ebenso umfassend auf Arbeiten des Katholiken Vives und des Antitrinitariers Socinus wie solche des Protestanten Du Plessis-Mornay zurückgreifen.