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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

190-192

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Graf, Friedrich Wilhelm [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Klassiker der Theologie. 2 Bde.

Verlag:

München: Beck 2005. Bd. 1: Von Tertullian bis Calvin. 288 S. 8° = Beck¹sche Reihe, 1630. Kart. EUR 14,90. ISBN 3-406-52800-7. Bd. 2: Von Richard Simon bis Karl Rahner. 320 S. 8° = Beck¹sche Reihe, 1631. Kart. EUR 14,90. ISBN 3-406-52801-5.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

In einer verdienstvollen und handlichen Ausgabe hat F. W. Graf die ursprünglich 1981 und 1983 von H. Fries und G. Kretschmar edierten Klassiker der Theologie beim Verlag C. H. Beck in München neu herausgegeben. In vorzüglich lesbaren Porträts werden in zwei Bänden 36 Theologen von der frühen Kirche bis ins 20. Jh. vorgestellt. Jeder Beitrag skizziert Leben, Werk und Wirkung des Porträtierten und bietet eine konzentrierte Einführung in sein Leben, sein Denken und seine Bedeutung für die Theologie. Knappe Literaturhinweise runden die Beiträge ab, die von ausgewiesenen Fachleuten und Nachwuchswissenschaftlern verfasst sind, bis auf zwei Ausnahmen alle aus Deutschland. Die Darstellungen sind verlässlich, gut geschrieben und auf dem aktuellen Stand der Forschung. Auf der Ebene der Einzelbeiträge beurteilt: eine rundum gelungene Publikation ­ so der erste Eindruck.

Das Urteil ändert sich, wenn man die neuen Bände mit ihren Vorgängern vergleicht. G. weist im Vorwort des ersten Bandes darauf hin, dass die Einbindung in das neue Format der Beck¹schen Reihe »zu mehr als nur marginalen Änderungen der Konzeption« (I, 8) gezwungen habe. In der Tat: Es gibt ­ sieht man vom Titel des Werkes und der Gliederung der Theologenporträts ab ­ kaum Kontinui täten. Nicht nur ist an die Stelle einer ökumenischen Herausgeberschaft ein einziger protestantischer Herausgeber getreten, es ist auch nur ein einziger Beitrag der alten ðKlassikerÐ in leicht veränderter Form in die neuen übernommen worden (D. Wendebourgs Porträt von Gregorios Palamas). Dabei hat sich nicht nur die Liste der besprochenen theologischen »Kulminationsgestalten« (9) von 45 auf 36 verringert (von denen zudem einige, wie Spener und Spalding, Bultmann und Tillich oder die beiden Niebuhrs in Doppelporträts zusammengefasst werden), es ging auch die ökumenische Vielfalt der Autoren der früheren Bände verloren und wurde ­ vor allem im zweiten Band ­ durch Autoren im Umfeld der von G. herausgestrichenen »Professionalisierung« der »Theologiegeschichtsforschung« in »den letzten zwei Jahrzehnten« ersetzt (9). Das Resultat ist eine frappierende deutsch-protestantische Verengung der Perspektive, die sich mit Emphase im theologischen Liberalismus des späten wilhelminischen Kaiserreichs verortet und in der modernitätsgeleiteten Kirchenkritik das notwendige Signum zu sehen scheint, unter die ðKlassiker der TheologieÐ gerechnet werden zu können. Sieht man von R. Crouters Beitrag über Reinhold und H. Richard Niebuhr ab ­ nicht von ungefähr werden besonders ihre Bezüge zu Kierkegaard, Troeltsch und Tillich herausgestellt (260) ­, hat es Theologen, deren Werk »Beunruhigungskraft« zugesprochen wird (I,9), seit dem 16. Jh. anscheinend nur in Zentraleuropa und vor allem in Deutschland gegeben. Die französische Theologie wird wenigstens durch Richard Simon und Alfred Loisy in Erinnerung gebracht, die als »häresieverdächtige Š Denker« (II, 29), »Klassiker der Häresie« und »als Hauptprotagonist der Modernismuskrise« (II,167) nicht fehlen dürfen. Aus Skandinavien findet nur Kierkegaard Erwähnung, aus den englischsprachigen Traditionen hat es außer den Niebuhrs niemand in die Klassikerriege geschafft, Osteuropa, Lateinamerika, Afrika oder Asien gibt es theologisch nicht.

Man muss sich nur vor Augen halten, wer weggefallen und neu hinzugekommen ist, um G.s verklausulierten, aber ausdrücklich »programmatisch« apostrophierten Hinweis richtig zu verstehen: »Die ökumenische Emphase Š sollte nicht künstlich wiederbelebt werden«, sondern er habe sich »auf prominente Vertreter einer ðalteuropäischÐ-christlich fundierten theologischen Reflexionskultur« konzentriert (10). So fehlen im ersten Band (»Von Tertullian bis Calvin«) die folgenden Theologen: Irenäus, Athanasius, Ephraem der Syrer, Gregor von Nazianz, Cyrill, Humbert a Silva Candida, Bonaventura, Cajetan, Melanchthon, Richard Hooker und Petrus Mogilas. Dafür sind zu Origenes, Gregor von Nyssa, Augustin, Anselm, Bernhard von Clairvaux, Thomas von Aquin, Duns Scotus, Wilhelm von Ockham, Gregorios Palamas, Luther, Calvin und Bellarmin neu hinzugekommen: Marcion, Tertullian, Meister Eckhart und Wyclif. Im zweiten Band (»Von Richard Simon bis Karl Rahner«) sind weggefallen: Zinzendorf, Semler, Sailer, Baur, Möhler, von Döllinger, Newman, Löhe, Ritschl, Bulgakov, Teilhard de Chardin, Guardini, Appasamy und Bonhoeffer. Beibehalten wurden Simon, Schleiermacher, Kierkegaard, Loisy, Troeltsch, Bultmann, Barth und Tillich. Hinzugekommen sind Johann Gerhard, Spener und Spalding, Kleutgen, Wellhausen, Harnack, die Niebuhrs und Rahner.

Mit Harnack musste wohl auch dessen »paradoxe Liebe«, der »Urketzer« (II, 149), »Reformator« und »Religionsstifter« (I, 11) Marcion an Stelle des kirchlichen Theologen Irenäus aufgenommen werden. Warum aber gerade die »politische Reife« Harnacks hervorzuheben ist, der anders als »Dialektische Theologen, Junglutheraner oder Religiöse Sozialisten« einen »sachliche[n] Zugang zur Politik« gehabt hätte, während diese zwar »theologische Großrevisionen« »inszenierten Š, aber zu konkreten politischen Fragen oder gar zu einer theologischen Begründung der Demokratie kaum etwas beizutragen« hatten (II, 145), bleibt doch etwas dunkel. Das gilt auch für den modischen, aber methodisch abwegigen Versuch, Troeltschs angebliche »latente homoerotische Emotionen« daraus zu erschließen, dass ein Teil seiner Briefe an Wilhelm Bousset »vorsätzlich vernichtet wurde« (II, 172): Wo nichts zu belegen ist, kann man offenbar alles behaupten. Auch die bemühte Betonung des Gegensatzes zwischen wahrhaft wissenschaftlicher Theologie und Kirche wird bei kontinuierlicher Lektüre der Artikel zu einer etwas klappernden Denkfigur. Immerhin wird im Beitrag zu Wellhausen notiert, dass dessen »konsequent durchgeführte Abkoppelung« seines Faches »von der Kirche wie von den anderen theologischen Disziplinen« ein wesentlicher Grund für den »enorme[n] Geltungsverlust und die faktische Irrelevanz« der Ergebnisse alttestamentlicher Forschung »für die anderen theologischen Disziplinen als auch für die gelebte Religion« geworden sei (I, 136). Solche und andere Beobachtungen machen deutlich, dass die Leitkategorie ðKlassiker der TheologieÐ zum Schaden des Unternehmens ganz unterbestimmt bleibt: Ihre Vagheit erlaubt problematische Parteilichkeit, und das ist etwas anderes als die mit jeder Auswahl verbundene Beschränkungsnotwendigkeit.

Natürlich kann man sich in jedem Einzelfall streiten, ob man ihn unter die Klassiker aufnehmen soll oder nicht. Aber kaum streiten kann man darüber, dass in der neuen Sammlung zumindest im Blick auf die Moderne eine deutsch-protestantische Engführung mit einem für das 20. Jh. schlechterdings nicht angemessenen Ausschluss ost- und außereuropäischer Theologinnen und Theologen vorgenommen wird. Und überhaupt nicht streiten kann man darüber, dass die Titel beider neuen Bände irreführend sind: Band 1 »Von Tertullian bis Calvin« geht von Marcion bis Bellarmin, und Band 2 »Von Richard Simon bis Karl Rahner« beginnt schon mit Johann Gerhard. Hier wurde offensichtlich versucht, an die Titel der ersten Ausgabe anzuschließen (»Von Irenäus bis Martin Luther« und »Von Richard Simon bis Dietrich Bonhoeffer«). Aber man sollte sich nicht in die Irre führen lassen: Die neuen Klassiker haben mit den alten fast nichts mehr gemein, und es wäre sachgerechter gewesen, diesem Eindruck gar nicht erst Vorschub zu leisten. In vielen Fällen wird man nach wie vor zu den alten Bänden greifen müssen, um sich über ðKlassiker der TheologieÐ zu informieren. Die Chance, zu Beginn des 21. Jh.s wenigstens den Schritt in das 20. Jh. zu vollziehen und den auf den deutschen Protestantismus zentrierten Blick für die Realität einer schon längst weltweiten Vielfalt der Theo logien zu öffnen, wurde leider verspielt.