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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

181-182

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Brown, Michael Joseph:

Titel/Untertitel:

The Lord¹s Prayer Through North African Eyes. A Window into Early Christianity.

Verlag:

New York-London: T & T Clark International (Continuum) 2004. XIV, 298 S. gr.8°. Kart. £ 12,99. ISBN 0-567-02670-1.

Rezensent:

Sandra Leuenberger-Wenger

Die Arbeit von Michael Joseph Brown, eine erweiterte Fassung seiner Dissertation, analysiert das Verständnis des Vaterunsers oder Gebet Jesu bei Clemens von Alexandria (Stromata VII) und Tertullian (De oratione) gegen Ende des 2. Jh.s. Im Zentrum der Untersuchung stehen der politische, kulturelle und soziale Hintergrund (ethnoreligious context) der Autoren und dessen Einfluss auf ihr Glaubens- und Gebets-Verständnis (xi). B. will damit der Einsicht gerecht werden, dass »one of the most important factors influencing an author¹s interpretation of text and cult involves his interaction with his surrounding environment« (271). Der Illustration dieser Kontexte dienen Porträts der Städte Alexandria und Karthago. Mit Hilfe von Einsichten aus archäologischen Funden (material culture) wird ein Einblick in die politische, religiöse und soziale Geschichte und Tradition der Städte in vorrömischer (ptolemäischer und punischer) und römischer Zeit geboten.

In den ersten beiden Kapiteln beschreibt B. Assoziationen, die eine kaiserzeitliche Hörerin oder ein Leser mit den Worten des Gebetes verbunden haben mochte, und beschreibt Grundlinien des Verständnisses von Religion und Gebet im griechischen wie im römischen Kontext. Dem Porträt Alexandriens folgt eine Untersuchung des Gebets im siebten Buch der Stromata, wo Clemens philosophisch geschult die Frage nach einem adäquaten Verständnis Gottes, der Religion und des Gebets erörtert. Gemäß Clemens braucht der immaterielle und allwissende Gott keine Gebetsbitten, um die Bedürfnisse der Menschen zu erkennen, und ist auch nicht der geeignete Adressat für diese Form von Wünschen (147). Clemens geht gemäß B. von den individuellen Christen und ihrer Erziehung zum rechten Glauben und Handeln durch den Logos aus. Das Gebet hat dabei eine therapeutische Funktion für den individuellen Betenden (257). B. geht insbesondere der Frage nach, warum Clemens das Gebet Jesu in Strom. 7 nicht diskutiert, und kommt zum Schluss, Clemens habe das Vaterunser bewusst nicht aufgenommen, da er es als theologisch unangemessen betrachtet habe (159). Für den Nachvollzug dieser Schlussfolgerung wären ausführlichere Begründungen und mehr Nähe zum Text von Clemens wünschenswert.

Darauf wendet B. sich Tertullian und Karthago zu. Er verweist unter anderem auf die Bedeutung der Märtyrer und der Selbstopferung als besonderer Form römischer Pietas im vorchristlichen wie im christlichen Karthago (193.269). Im folgenden Kapitel zu Tertullians Gebets-Verständnis zeigt B. interessante Parallelen zu dieser Tradition auf anhand von Tertullians Konzeption der Kirche als einer Gruppe von Heiligen (250.258 f.) und der Bedeutung des Gebets als Opfer. In einem abschließenden Vergleich behandelt B. Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verständnis des Gebetes Jesu und setzt diese in Beziehung zu den unterschiedlichen ethno-religiösen Prägungen von Clemens und Tertullian. Während Clemens die Funktion des Gebets als Erziehung der einzelnen Christen durch den Logos hervorhob, verstand Tertullian das Gebet im Rahmen seiner Ekklesiologie und betonte die in der Kirche wirkende Geistkraft, welche die Betenden in die Gemeinschaft eingliedert und zur Heiligkeit führt.

Insgesamt gelingt es B. gut, das wechselseitige Verhältnis zwischen der kulturellen Prägung eines Autors und seiner Deutung von religiösen Inhalten und Texten darzustellen. Die Fragen, worin die wahre Kirche und der richtige Gottesdienst bestehen, was das Gebet konstituiert und wie es die Beziehung von Gott und Mensch gestaltet, eröffnen vielfältige Perspektiven auf die Theologien beider Autoren. Die Bedeutung der Arbeit liegt meines Erachtens in ihrem Versuch, theologische Fragen eng in einen religions-, kultur- und sozialgeschichtlichen Hintergrund einzubinden und die Bedeutung solcher Traditionen zu reflektieren. Dieser Ansatz könnte indes noch vertieft werden.

Insofern beide Autoren gute Quellen für das soziale Leben ihrer Zeit sind, hätten ihr Äußerungen auch dazu beitragen können, die relativ pauschalen Einführungen zu den beiden Städten näher an das Leben der christlichen Gemeinden (und an den liturgischen Kontext des Gebets) heranzuführen und dem Untertitel des Buches ðA Window into Early ChristianityÐ eine präzisere Gestalt zu verleihen.