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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

178-180

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Stumpf, Christoph, and Holger Zaborowski [Eds.]:

Titel/Untertitel:

Church as Politeia. The Political Self-Understanding of Christianity.

Verlag:

Proceedings of a Becket Institute Conference at the University of Oxford, 28 September ­ 1 October 2000. Berlin-New York: de Gruy ter 2004. XII, 352 S. m. Abb. gr.8° = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 87. Lw. EUR 98,00. ISBN 3-11-017606-8.

Rezensent:

Ralf K. Wüstenberg

Der bald 2000 Jahre alten und vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte über die Rolle der Religion als Begründerin und Trägerin von Werten in der Gesellschaft mit neuer Aktualität versehenen Frage nach der politischen Dimension des Christentums ging ein britisch-deutsches Forschungssymposion an der Universität Oxford im September 2000 nach, dessen deutsche und englischsprachige Vorträge (ergänzt um weitere Beiträge) in einem substanziellen Sammelband in der Reihe »Arbeiten zur Kirchengeschichte« veröffentlicht wurden. Der Erscheinungsort signalisiert dem Leser be reits die zu erwartende wissenschaftliche Beitragsqualität sowie auch den disziplinären Schwerpunkt des Forschungssymposions. Dem Thema »Church as Politeia. The Political Self-understanding of Christianity« nähert man sich in einem großen historischen Anlauf, ohne indessen systematische Bezüge aus dem Blick zu verlieren. Freilich kann ­ wie auch die Herausgeber im Vorwort versichern ­ ein solches thema tisches Unterfangen nicht ohne Lücken, sondern eher im Sinne von Punktbohrungen angegangen werden. »This collection is by no means comprehensive, but its contributions may at least illustrate key examples for the political dimensions of Christianity.« (XI)

Bei der Lektüre der über ein Dutzend gehaltvollen Beiträge von zum Teil international renommierten Theologen, Historikern, Ju-risten und Philosophen wird der Leser quer durch die Geschichte der politischen Implikationen des Christentums vom 1. bis zum 20.Jh. geführt, von der Betrachtung des frühen Christentums vor dem Hintergrund der zeitgenössischen jüdischen Gruppierung des Pharisäismus im Beitrag von Joachim Schaper (13 f.) zur Scholastik mit großen Beiträgen zu Anselms Ekklesiologie von Markus Enders (29 ff.) und zum Verhältnis von geistlicher und weltlicher Gewalt bei Thomas von Aquin von Eberhard Schockenhoff (69 ff.). Von dort wird die historische Linie weiter ausgezogen zum Humanismus mit einem Beitrag zur Pädagogik und Ethik des Erasmus von Rotterdam (103 f.), von hier zur Reformation unter dem Titel »Political Dimensions of Lutheran Confessional Writings« (121 f.) und zur Theo-Politischen Konzeption des 16. und 17. Jh.s im Beitrag über Richard Hooker und Hugo Grotius von Christoph Stumpf (151 f.). Die frühneuzeitliche Staatslehre fasst Heinrich de Wall in dem anschließenden Beitrag (177 f.) zusammen. Von hier führt der Weg der Betrachtung politischer Implikationen des Christentums zum Deutschen Idealismus (191 f.) und Schleiermachers politischer Theo rie (219 f.) schließlich ins 20. Jh. und die Gegenwart mit Beiträgen zur Rolle der Katholischen und der Evangelischen Kirche als politisch-moralische Akteure in der pluralen Gesellschaft (243 f.267 f.) und der großen Abhandlung von Eilert Herms: »Lage und Perspektive der Kirchen im Zusammenhang der europäischen Einigung am Ende des 20. Jahrhunderts« (285 ff.).

Es ist nicht Sache des Rezensenten, Schwerpunktbildungen des Symposions sowie der Buchpublikation zu kritisieren und etwa seiner Verwunderung darüber Ausdruck zu verleihen, dass Augustin und die Alte Kirche, ja überhaupt das erste Jahrtausend, eher in Querbezügen aus anderen Beiträgen behandelt als eigenständig thematisiert werden. Vielmehr gilt es zuerst zu würdigen, dass dem Leser in einem einzigen Sammelband ein solches Panorama an zu sammenhängenden Einsichten in die politische Ethik ganzer Epochen geboten wird. Es handelt sich bereits um eine großartige Informationsleistung, die nicht nur Überblick, sondern zum Teil tiefe Einblicke etwa in die Anselm- und Thomasforschung liefert.

Wegweisend ist z. B. das Ergebnis von E. Schockenhoff aus seiner Betrachtung der politischen Ethik des Aquinaten, dass dieser seiner Zeit weit vorausgreife, indem er bereits »den Staat in seiner säkularen Eigengesetzlichkeit anerkennt und ihn zugleich auf die Regelung der weltlichen Angelegenheit beschränkt« (102). Denn klar ist, dass auf der Linie dieses gemäßigten Dualismus, nach dem weltliche und geistliche Gewalt in ihren je eigenen Ordnungen je eigene Ziele verfolgen, sich die spätere europäische Verfassungsgeschichte in einer Richtung entwickelt, in der die Kultur eines politischen Widerstandsrechts, die Gewaltenteilung, die Menschenrechte, ja überhaupt die Idee des Rechtsstaates vorangebracht wird.

Dass systematische Bezüge immer wieder in den Blick treten, zeigt sich neben dem Versuch vieler Autoren, Ertragssicherungen für gegenwärtige Debatten am Ende ihrer Beiträge zu liefern (vgl. 102.118 f.133.149.241.263­266.284.319­322.338­340) vor allem darin, dass die skizzierten historischen Linien und Punktbohrungen in den genannten Beiträgen vom Pharisäismus im 1. Jh. bis zur Rolle von Weltanschauung und Religion im Rahmen der Europäischen Union im 20. Jh. gleichsam systematisch eingerahmt werden von den bislang nicht erwähnten Eröffnungs- und Schlussbeiträgen der Dokumentation. Als Grundlegung des Ganzen ist offenkundig der Eröffnungsbeitrag des bekannten britischen Systematikers Oliver O¹Donovan unter dem Thema »Law, Moderation and Forgiveness« (1­11) einzuordnen, wird er doch an der Stelle einer Einleitung ganz an den Anfang gestellt. Der Beitrag leuchtet den Horizont politischer Ethik in christlicher Perspektive aus und problematisiert ihn an dem vor allem in der (theologischen) Rechtsethik diskutierten Thema Recht und Vergebung. Theologische und moralische Kate gorien wie Vergebung seien von positiv-rechtlichen wie Amnestie etc. zu unterscheiden, andererseits gelte es, die inneren Verbindungslinien zu erhellen. »True forgiveness is something more profound than the occasional amnesty and immunity which is the best that public justice can arrange.« (11) Bemerkenswert in diesem Eröffnungsbeitrag ist neben inhaltlichen Gesichtspunkten die me tho dische Vorgabe, die auf ein konstruktiv-analytisches Vorgehen hinausläuft: Theologische Einsichten werden nach der Prüfung der Bedingungen ihres möglichen »impacts« auf den politischen Dis kurs ins Gespräch gebracht.

Am Beispiel der gesellschaftlichen Dimension der Vergebung führt O¹Donovan aus: »Christians at any rate, believe that none of us forgive, even on our deathbeds, without the prior knowledge that we have been forgiven. To forgive as we have been forgiven will always be a matter of limping painfully after; the original act of generosity is God¹s alone, beyond replication. But that should not lead us to discount the partial and conditional reflections of it that we may from time to time be given to show« (11).

Der Schlussbeitrag des Oxforder Ethikers Bernd Wannenwetsch (323 f.) eröffnet mit einer Bemerkung, die auch methodische Brisanz hat. »Considering the titel of this conference and the papers given so far, the focus has been very much on the subtitle: ðthe political self-understanding of ChristianityÐ, while the political character of the Church in its own right has only rarely come into view.« (323) Damit korrespondiert die methodische Überlegung, dass es nicht einerlei ist, ob man den Fokus auf die Fragestellung der politischen Dimension des Christentums oder die der christlichen Dimension der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit lenkt. Beides ist vom Titel her möglich, und einiges spricht dafür, dass die Interdependenz beider Fragestellungen wegweisend ist für die neu ins Rollen kommende Wertedebatte in Kirche und Zivilgesellschaft.

So bleibt ungeachtet eines unerfüllten Wunsches des Rezensenten, nämlich dass dem Buch trotz zweier bischöflicher Geleitworte und einem knappen Vorwort eine Einleitung gut getan hätte, in der die Methodik des Symposions, die Begründung der Auswahl hinzugenommener Beiträge, epochale Schwerpunktsetzungen, die innere Spannung von Historischer und Systematischer, von hermeneutischer und analytischer Herangehensweise thematisiert und dem Leser transparent gemacht werden, festzuhalten, dass es sich hier um eine wichtige Sammlung fundierter Beiträge handelt, die gerade auch in dieser losen Zusammenschau eine wichtige Grundlage bilden zur theologischen Qualitätssicherung einer von Kirche und Theologie begleiteten öffentlichen Debatte um Werte in der Gesellschaft.