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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

169-170

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Krüger, René:

Titel/Untertitel:

Der Jakobusbrief als prophetische Kritik der Reichen. Eine exegetische Untersuchung aus lateinamerikanischer Perspektive.

Verlag:

Münster: LIT 2005. 303 S. gr.8° = Beiträge zum Verstehen der Bibel, 12. Kart. EUR 29,90. ISBN 3-8258-8786-3.

Rezensent:

Matthias Ahrens

René Krüger hat sich im Anschluss an ein Berufsleben als Pfarrer und theologischer Lehrer promoviert; aus seiner Heimat Argen tinien machte er sich auf nach Europa, um in Amsterdam auf Deutsch, in der Sprache einiger seiner Vorfahren (laut Widmung), eine Doktorarbeit über den Jakobusbrief zu schreiben. Angesichts schwacher Jahrgänge im Erststudium stellen heute ­ wie ich höre ­ die älteren Semester in den theologischen Seminaren einen nennenswerten Anteil. Vielleicht wird ja auch ihr Anteil an den Promotionen steigen. Welch interessante Perspektive: Theologische Dissertationen werden nicht mehr geschrieben, um darauf eine Karriere zu gründen, sondern quasi im Rückblick auf eine Karriere, als Summa eines Berufslebens. Ist das die Zukunft theologischer Dissertationen?

Diese Altersarbeit unterscheidet sich jedoch erstaunlich wenig von anderen. Wieder einmal beklagt ein Exeget »das Schattendasein des Jakobusbriefs« und vermutet ideologische Motive im Hintergrund, nämlich die »Ablehnung der ungewöhnlich harten Kritik an den Reichen« (22). Bemerkenswert ist die differenzierte Auseinandersetzung mit Luthers Diktum von der »strohernen Epistel«. K. möchte seine abweichende Sicht der Dinge nicht gegen den Reformator darlegen und differenziert bzw. relativiert deshalb dessen Verdikt. Er stellt dar, wie der junge Luther Paulus und Jakobus im Sinne Augustins noch zusammen sehen konnte: »Paulus spricht von den Werken, die dem Glauben vorangehen, Jakobus hingegen von den Werken, die dem Glauben folgen« (37). Doch seit die Erkenntnis der Rechtfertigung allein aus Glauben für Luther nicht einfach eine Einsicht, sondern eine existenzielle Erfahrung wurde, äußerte er sich laut K. mehrfach abwertend über den Jakobusbrief. Gleichwohl verweist K. auf spätere »durchaus positive Bemerkungen des Reformators über den Jakobusbrief« (39) und sieht das als Beleg für die Kontextualität aller Theologie.

Doch nicht eine revidierte lutherische Position, sondern eine »lateinamerikanische Perspektive« verspricht K. Kann es die geben? Ist der amerikanische Kontinent zwischen Mexiko und Patagonien so einheitlich, dass von dem »lateinamerikanischen Kontext« (47 ff.) geredet werden kann? Das Versprechen einer »lateinamerikanischen Perspektive« weckt im theologischen Deutschland Assoziationen: Wer denkt dabei nicht an die »Theologie der Befreiung«, an Ernesto Cardenal, Paolo Freire und vielleicht Camillo Torres? Wer von den (inzwischen) älteren Theologen erinnert sich nicht an das revolutionäre Nicaragua und andere Orte, an denen die theologische Linke ihre Befreiungsvorstellungen lokalisierte?

K. macht in den Erläuterungen zum hermeneutischen Hintergrund dann auch deutlich, dass es ihm nicht einfach um Lateinamerika geht; das steht vielmehr für »den Süden« (wieder im Singular), den K. »der nördlichen Hemisphäre« gegenüberstellt. »Unterdrü ckung, Klientelismus, Ausgrenzung, Globalisierung, Neoliberalismus Š« sind in Lateinamerika mit »seiner fünfhundertjährigen Ge schichte des Leidens«, so K., »keine plakativen Slogans, Š sondern überaus akute und gegenwartsnahe Probleme und Themen« (47 f.). Entsprechend handelten viele Auslegungen des Jakobusbriefes von »Arm und Reich«, während es im Norden um das Verhältnis von Glauben und Werken ginge. K. rückt den traditionellen Text und den aktuellen Kontext, zumindest einen partiellen: Lateinamerika (er selbst kennt mehrere Kontexte), nahe zusammen. Diese Behauptung, dass die soziale Nähe die historische Distanz überbrücken kann, ist ­ hier wie anderswo ­ eher als Bekenntnis und politische Verortung denn als wissenschaftlich fundierte Position zu verstehen.

Auf die Textauslegung wirkt die lateinamerikanische Perspektive sich dann aber erstaunlich wenig aus. Das methodische Vorgehen orientiert sich ganz an europäischen akademischen Gepflogenheiten und den Traditionen reformatorischer Theologie. Mit großer Akkuratesse und materialreich untersucht K. die bekannten Ab schnitte, in denen der Jakobusbrief die Reichen kritisiert, nach einem festen Schema: Nach einer textkritischen Einordnung liefert er eine eigene Übersetzung, der die »formale und inhaltliche Abgrenzung«, eine Beschreibung der »Oberflächenstruktur« und die Darstellung der »Bedeutungsperspektiven« folgen. Im Anschluss da ran behandelt er die Themen: Die Ankündigung der totalen Um kehrung der Verhältnisse (1,9­11); Solidaritätsdienst (1,27); Das Abrechnen mit der korrupten Klientelwirtschaft (2,1­13); Kadaverglaube (2,14­17); Ökonomisch bedingte Megalomanie (4,13­17); Wider die verschwenderischen, räuberischen und mörderischen Rotten der Großgrundbesitzer (5,1­6).

Einen eigenen methodischen Beitrag möchte K. mit der Versöhnung von historisch-kritischer Exegese und semiotischer Lektüre leisten. Eigentlich, so ist ihm klar, geht das nicht, denn »es handelt sich Š bei der Semiotik Š nicht einfach um eine weitere Methode, die an die historisch-kritische Betrachtungsweise angehängt werden könnte, sondern um eine Neuorientierung, um ein neues wissenschaftliches Paradigma« (87). Doch K. legt sich die Grundlagen beider Methoden etwas zurecht, damit es passt: »Bei der historisch-kritischen Arbeit realisiert sich ein illegitimer Transfer, wenn angenommen wird, dass die Darstellung der semantischen Dimension des Textes (Was sagt der Autor?) geradezu mechanisch zur hermeneutischen Dimension führt (Was sagt uns der Text?)« (86). Der solchermaßen mit der »Paket«- oder Container-Metapher des Kommunikationsvorgangs identifizierten historischen Kritik (86) stellt K. die Definition vom »Text als linguistischer Ausdruck oder fundamentale Kategorie« gegenüber. Demnach versucht die Semiotik, »den Text als eigenständiges Gebilde, als verschriftete Botschaft, als Sinn erzeugendes ðGewebeÐ Š zu respektieren« (87). In der Durchführung besteht die Untersuchung der Oberflächenstruktur in den Kapiteln dann aus dem Aufweis einer Struktur nach dem Schema A ­ B ­ C ­ B¹ ­ A¹.

Die Zusammenfassung am Ende der 270 Seiten starken Darstellung hat K. mit dem Untertitel »Die Herausforderung eines prophetischen Christentums« versehen. Hier macht er noch einmal deutlich, dass »der Jakobusbrief als prophetische Kritik der Reichen« in seinen Augen als ein »Grand Récit für die alternative Praxis der christlichen Gemeinde« zu verstehen ist. Die prophetische Theologie der Epistel fordert ein prophetisches Christentum heute heraus. Dessen Grundsatz kondensiert K. aus dem Jakobusbrief folgendermaßen: »Glaube mit Werken der Liebe zu Notleidenden in einer solidarischen Gemeinschaft gegen einen ausgrenzenden Glauben ohne diese Werke« (274). Hier ist er dann wieder einig mit Luther und dessen scharfer Kritik eines »moralischen Standpunktes der verdienstlichen Werke« (274). So erweist sich die Arbeit dann doch als eine Untersuchung aus lateinamerikanischer und zugleich reformatorischer Perspektive.