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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

167-168

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dunn, James D. G.:

Titel/Untertitel:

The New Perspective on Paul. Collected Essays.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XII, 539 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 185. Lw. EUR 149,00. ISBN 3-16-148677-3.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Der renommierte britische Gelehrte James D. G. Dunn bleibt auch über seine Emeritierung hinaus (2003 in Durham, vgl. die Kurzanzeige von T. Holtz der Festschrift zum 65. Geburtstag, ThLZ 131 [2006], 175) überaus produktiv. Davon zeugen nicht nur seine große, auf drei Bände angelegte Gesamtdarstellung Christianity in the Ma king (bereits erschienen ist Bd. 1: Jesus Remembered, Grand Rapids-Cambridge 2003, vgl. dazu die Rezension von J. Schröter, ThLZ 130 [2005], 37­40) sowie Neuausgaben wichtiger seiner Werke, jeweils mit ausführlichen, die weitergehende Diskussion kritisch reflektierenden Einführungen (Unity and Diversity in the New Testament, 3. Aufl. London 2005; The Partings of the Ways, 2. Aufl. London 2006), sondern auch der hier zur Anzeige vorliegende Sammelband (nicht in der ThLZ besprochen wurde seine große Gesamtdarstellung zu Paulus: The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998). Er bietet neben 20 bereits erschienenen (und zum Teil mehrfach nachgedruckten) Aufsätzen D.s zur neueren Paulusforschung zwei eigens für diesen Band verfasste Arbeiten. Welche Fülle an einschlägigen Arbeiten D.s zur Auswahl standen, wird schon daran deutlich, dass wichtige weitere Aufsätze, die durchaus in Beziehung zu seinem Neuansatz in der Paulusforschung stehen, hier nicht aufgenommen worden sind (vgl. nur: The Incident at Antioch (Gal. 2:11­18), JSNT 18 [1983], 3­57; The Relationship between Paul and Jerusalem according to Galatians 1 and 2, NTS 28 [1982], 461­478).

Der erste neu geschriebene Beitrag gibt einen umfassenden rück blickenden, reflektierenden, aber auch in der Sache weiterführenden Überblick über die Diskussion zum Titelstichwort (The New Perspective: whence, what and whither?, 1­88). Der zweite führt in konzentrierter exegetischer Arbeit den Ansatz D.s an einem bisher von ihm noch nicht ausführlich behandelten Paulustext durch und weiter (Philippians 3.2­14 and the New Perspective on Paul, 463­484). Nachweis der Publikationsorte (485 f.), Bibliographie (487­498) und ausführliche Register (499­539) be- und erschließen den gehaltvollen Band.

Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie D., in der Grundrichtung unbeirrt und doch bereitwillig auf Gegenargumente eingehend und seine eigene Sicht präzisierend, bisweilen auch in Einzelheiten korrigierend und revozierend, sein Paulusverständnis weiterentwickelt (16­37: 2. Clarifying confusions and misun derstandings). Seinen eigenen Denkweg bis hin zu seiner Theology of Paul the Apostle zusammenfassend (1­15: 1. A personal account) definiert er nun »the new perspective on Paul« folgendermaßen:

»(a) It builds on Sanders¹ new perspective on Second Temple Judaism, and Sanders¹ reassertion of the basic graciousness expressed in Judaism¹s understanding and practice of covenantal nomism. (b) It observes that a social function of the law was an integral aspect of Israel¹s covenantal nomism, where separateness to God (holiness) was understood to require separateness from the (other) nations as two sides of the one coin, and that the law was understood as the means to maintaining both. (c) It notes that Paul¹s own teaching on justification focuses largely if not principally on the need to overcome the barrier which the law was seen to interpose between Jew and Gentile, so that the ðallÐ of ðto all who believeÐ (Rom. 1.17) signifies in the first place, Gentile as well as Jew. (d) It suggests that ðworks of lawÐ became a key slogan in Paul¹s exposition of his justification gospel because so many of Paul¹s fellow Jewish believers were insisting on certain works as indispensable to their own (and others?) standing within the covenant, and therefore as indispensable to salvation. (e) It protests that failure to recognize this major dimension of Paul¹s doctrine of justification by faith may have ignored or excluded a vital factor in combating the nationalism and racialism which has so distorted and dimi nished Christianity past and present.« (15)

In Weiterführung der exegetischen Diskussionen zu einzelnen paulinischen Textpassagen (38­54: 3. Taking the debate forward) präzisiert D. zunächst seine Auslegung von Gal 3,10­14 und sein Verständnis der Wendung »Werke des Gesetzes« im Römerbrief und hebt sodann deutlicher als bisher Nuancen in der Bewertung der Tora bei Paulus hervor. All das unterstreicht und verstärkt letztlich aber seine »neue Sicht« auf Paulus: »what might be called the Jew/ Gentile dimension so integral to Paul¹s doctrine of jusitification« (54). Anschließend benennt und diskutiert er Themen bzw. Fragestellungen, die über die unmittelbar exegetischen Diskussionsgegenstände hinausführen (54­86: 4. More substantive issues): die Frage nach der Konsistenz der paulinischen Theologie, die eschatologische Dimension der Rechtfertigung, das Gericht nach den Werken und die Bedeutung der partizipatorischen und transformatorischen Aussagen im Rahmen der paulinischen Soteriologie, mit dem akzentuierten Ergebnis: »But it is the transformation of the justified sinner by the power of the indwelling spirit to become more and more like Christ, like Christ in his dying as well as his rising again, which best characterizes the ongoing process of salvation.« (86) Aus der Zu sammenfassung (87 f.: 5. Conclusion) sei lediglich sein Urteil hervorgehoben: »It is to recognize that justification by faith was never simply about individuals as such. Paul¹s theology of justification had a social and corporate dimension which was integral to it.« (87)

Der abschließende Beitrag des Bandes zu der bisher in der Dis kussion um die »New Perspective on Paul« eher vernachlässigten Passage Phil 3,2­14 geht davon aus, dass die Problematik von Juden und Nichtjuden in der paulinischen Gemeinde auch diesen Ab schnitt veranlasst hat, worauf nicht zuletzt die Herausstellung der Beschneidung in diesem Zusammenhang verweist. Auch die Betonung der eigenen jüdischen Identität des Paulus in Phil 3,4­6 zeigt, dass in den folgenden Rechtfertigungsaussagen die Frage der ethnischen Identität angesichts des Christusgeschehens zur Debatte steht, nicht eine prinzipielle Auseinandersetzung um Verdienstgedanken oder Selbstruhm. Die Rechtfertigungsaussagen in Phil 3,7­11 lassen erneut sichtbar werden, dass ein ausschließlich »imputatives«, aktualistisches Verständnis des Rechtfertigungsgeschehens den paulinischen Aussagen schwerlich gerecht wird. Vielmehr zeigt sich »the clear assertion that that process was one of growing conformity to Christ Š Integral to the thought here is that a personal transformation was necessary, and that it would come about only ðin ChristÐ and ðthrough ChristÐ (dia + genitive) and ðwith ChristÐ.« (480)

Die zuletzt zitierten Gedanken ebenso wie zahlreiche weitere belegen, dass die »New Perspective on Paul«, zu deren maßgeblichen Initiatoren und Protagonisten D. ohne jeden Zweifel gehört, nicht nur der neutestamentlichen Wissenschaft in den letzten zwei Jahrzehnten entscheidende Anstöße gegeben hat, sondern darüber hinaus weitreichende Implikationen für das Verständnis der paulinischen Theologie im Zusammenhang der christlichen Lehrbildung und Reflexion hat, nicht zuletzt im Rahmen des ökumenischen Gesprächs zwischen den Konfessionen und des Gesprächs mit nichtchristlichen Religionen. Es ist zu wünschen, dass diese über die kontroverstheologischen Fixierungen des 20. Jh.s weit hinausführenden Anregungen von den Vertretern der anderen theologischen Disziplinen aufgegriffen und produktiv rezipiert werden.