Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

162-165

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wagner, David:

Titel/Untertitel:

Geist und Tora. Studien zur göttlichen Legitimation und Delegitimation von Herrschaft im Alten Testament anhand der Erzählungen über König Saul.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. XII, 452 S. m. 12 Abb. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 15. Geb. EUR 68,00. ISBN 3-374-02272-3.

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Die Literargeschichte der Samuelbücher ist weit von einem Konsens entfernt. Markierte Wellhausens Bestimmung eines Kerns der Saulüberlieferung mit einer älteren königsfreundlichen und einer jüngeren königsfeindlichen Version lange einen Minimalkonsens, so sind Herkunft, literarische Entwicklung und Tendenz des Materials der sog. frühen Saulüberlieferung derzeit höchst umstritten, ohne dass sich ein neuer Konsens abzeichnet. Die Infragestellung der Rolle der Deuteronomisten beim Entstehungsprozess von Jos-Kön hat dabei den Blick für konzeptionelle Entsprechungen und auf vor-deuteronomistische literarische Verbindungen frei gemacht, die in jüngerer Zeit zur Annahme der zeitweise unabhängigen literarischen Entwicklung einer Vorstufe von Sam/Kön vermuten ließen. Parallel zur literargeschichtlichen Entstehung muss die Er zählüberlieferung zur frühen Königszeit auch religions- und theologiegeschichtlich neu eingeordnet werden.

D. Wagner wählt dazu die thematische Frage der Legitimation königlicher Herrschaft, die er anhand der Saulüberlieferung bearbeitet. W. stellt sich der thematischen Fragestellung und der literarischen Einordnung in zwei Schritten. Zunächst (Teil I, 15­253) erhebt er in Textanalysen für den Bereich der Überlieferung den literarischen Befund von 1Sam 8­12;13,7b­15; 15; 16,14­23; 18,8­16; 28,3­25. In Teil II, 254­383, einer »Historischen Kontextualisierung«, betrachtet er die Konzepte vom Königtum im ersten Samuelbuch, im Vergleich mit Königsideologien der Umwelt Israels, besonders der achämenidischen Königsideologie.

In jeweils drei Schritten, einer synchronen, einer literarhisto rischen Analyse sowie einer Synthese gelangt W. bei der Betrachtung der Einzeltexte zu folgendem literarhistorischen Ergebnis: Ende des 6. Jh.s v. Chr., 521 und 515, entstanden 1Sam 8­12.13,7b­15; 15; 16,14­23; 18,8­16; 28,3­25 durch einen Verfasser der Samuelbücher VSam unter Verwendung alter Überlieferung. Ihm lag ein älteres Grundkonzept des Königtums vor ­ nach dem JHWH durch seinen Geist an dem von ihm erwählten Königsanwärter Saul wirkt, dieser göttlich erwählt und dann in sein Regierungsamt eingesetzt wird ­, das VSam zu einem kunstvoll durchgestalteten Komplex verarbeitet, worin er das Königtum in Israel anhand der Einsetzung Sauls re flektiert (250). Den Kern des königstheologischen Konzeptes von VSam bildet die göttliche Erwähnung des Monarchen; sie steht demjenigen der Achämeniden nahe, nach dem der König durch ein Charisma begabt wurde, um Gerechtigkeit herzustellen (41.382 f.). VSam schafft eine theologische Grundlage für die Beurteilung des Verhaltens eines Königs gegenüber der göttlichen Forderung. An der Saulfigur wird dabei die Situation des frühnachexilischen VSam abgebildet, mit einem möglichen aber nicht zu Stande gekommenen Neuanfang unter den Davididen. Religionsgeschichtlich arbeitet VSam mit dem Vorstellung des Königtums Gottes über Israel, das dem menschlichen Königtum entgegensteht, und wird nach der Entstehung von Jes 40­55 und vor dem theokratischen Gedankengut von Chr angesetzt. Das kritische, durch die Figur des Samuel vermittelte Bild vom Propheten als Mittler und Bewahrer der Tora (Dtn 18, 15 ff.) setzt die Prophetie Ezechiels voraus.

Der erste exegetische Abschnitt ermittelt Vorlage und Redaktion des VSam in 1Sam 8­12. W. untergliedert fünf Szenen (21), die thematisch um die Einsetzung des Königtums gruppiert sind: I 8,1­22 (Rama); II 9,1­10,16; III 10,17­25 (Mizpa); IV 10,26­11,13; V 11,14­12,25 (Gilgal). Die literarhistorischen Ergebnisse sind: Szene I, das Volksbegehren nach einem König, 1Sam 8: als ältere Quelle V 11*­17, als Er gänzungen des VSam 8,1­7.8­10.11a ­22; als dtr 8,8.

Die zweite Szene, Salbung zum nag¯id und Zurüstung des Königs mit dem Geist Gottes: 9,1­10,16 ist eine »in sich kohärente und perfekt funktionierende Erzählung«, die »durchweg einer fiktiven literarischen Gestaltung entspringt« (59) und möglicherweise Kreisen des Nordreichs entstammt, jedoch, da sie auf eine Weiterführung nach 10,16b angelegt ist, Teil eines bereits in vorexilischer Zeit geschlossen vorliegenden Textkomplexes mit eigener Vorgeschichte bildete (60 f.), in den Aussagen über Befähigung und Ausrüstung des von JHWH legitimierten Herrschers zum Amt hineinverwoben wurden. Ergänzungen von VSam sind 9,9; 10,8.9a?.

Die dritte Szene, die göttliche Erwählung Sauls durch Loswahl und öffentliche Akklamation in 10,17­25 will W. auf Grund von 10,24 als durchaus posi tive Beurteilung des Königtums verstehen. 10,17.18a (Redeeinleitung).19b­25a sind alte Quelle, während VSam 18.19a.25b ergänzte (73­87).

Die vierte Szene zur Einführung des Königtums, Zweifel und Bewährung, 10,26­11,13, ist abgesehen vom Nachtrag »Samuel« 11,7 ganz von VSam, und zwar als »frei erfundene Episode im Stile der ðRichterÐ-Erzählungen« (97), die die Taten des Königs als letztlich durch das Charisma ermöglicht und damit als gottgewirkt ausweisen soll (97­102).

Die fünfte Szene, die Einsetzung Sauls als König in Gilgal und die Predigt Samuels 11,14­12,25, besteht aus Quellenmaterial (11,14­15; 12,*1­*5.*6) und wurde von VSam um 12,7­25 ergänzt sowie mit späteren Einfügungen in V. 12 versehen. Die Predigt von VSam in 7­25 ist nicht pauschal als antimonarchisch zu verstehen, sondern als Kritik am Bruch mit der Tradition der charisma tischen Herrscher (12,7­11) und bedeutet letztlich eine Verwerfung JHWHs selbst (12,12b); doch wird das eingeführte Königtum als Geschichtssetzung JHWHs verstanden (11,14–­12,6); zugleich wird auf die Möglichkeit der Delegitimation in 12,14 f.25 hingewiesen (140).

Die Delegitimation Sauls in 1Sam 13­2Sam 1 stellt der zweite Abschnitt des exegetischen Teils I, 254­383 dar. 1Sam 13,7b­15 werden abgesehen von einer Eingangsformulierung 13,7a.15b VSam zugewiesen (146­159), ebenso die zweite Verwerfung 1Sam 15,1­35, mit älterem Material in 15,22­23.33 und späteren Ergänzungen in 28 (159­189), die als Paradebeispiel narrativer Theologie Saul als Prototyp der gegenüber JHWHs Willen ungehorsamen Könige präsentiert werden (189). Von den Erzählungen um den Entzug des Geistes und damit der Befähigung für das Königsamt 1Sam 16,14­23; 18,6­16 geht 16,15­23 im Wesentlichen auf ältere Quellen zurück; von VSam stammt V. 14 sowie die Ergänzung 19b , alte Quellen finden sich in 18,6­9.13­16; VSam V. 6a .10­11 (189­216). Die dritte Verwerfung Sauls 1Sam 28,3­25 besteht in 28,*3­*8.11.*13­*16.*19.*20.21.22. 23­25 aus alter Vorlage, VSam 3.8.9.10.12.*13.*16.17­18.*19.*20.*21.*22.

Ein Ergebnisteil fasst die narrativen Diskurse um göttliche Legitimation, Delegitimation und die Kategorien Geist und Tora im ersten Samuelbuch zusammen (251­252).

Teil II der Untersuchung widmet sich dem Konzept vom Königtum in 1Sam und den Königsideologien der Umwelt unter den Aspekten Legitimation durch Berufung, Gottessohnschaft, Gottähnlichkeit und Verpflichtung bzw. Möglichkeit der Normverfehlung und des Scheiterns, jeweils in Mesopotamien, Ägypten, Syrien, bzw. »Kanaan«, Ugarit (254­273), um dann Königstheologie und -legitimation Israels innerhalb der Traditionen seiner Umwelt darzulegen (273­281). Die Funktionen des Königs in Israel werden in Abgrenzung gegenüber der Umwelt bestimmt, z. B. hält W. die gegenüber den älteren Umwelttraditionen strengere Subordination des Königs unter den Willen JHWHs und die strenge Unterscheidung zwischen Monarch und Gottheit sowie die geringere Bedeutung des Königs für Rechtsinstitute fest (276­278). Berührungen mit der Umwelt ermittelt W. besonders in der göttlichen Berufung und Erwählung (279). Die Königsideologie der persischen Großkönige wird sodann in ihren Beziehungen zur Saulüberlieferung ausführlich dargestellt (287­332). Sie konvergieren bezüglich der strengen Diastase zwischen Gott und König, der göttlichen Erwählung des menschlichen Herrschers, dem königlichen Charisma als von Gott verliehene Fähigkeit; der Durchsetzung der göttlichen Ordnung durch den König. Als Unterschied hebt W. mit Verweis auf 1Sam 12,14 f.25 die Gleichstellung des Königs in der Verantwortungsgemeinschaft hervor (331­332).

Zusammenfassend diskutiert W. (384­404) das Verhältnis von Geistlegitimation und Tora (Ps 51; 1Chr 10,1­14) sowie das konzeptionelle Verhältnis von Geist und Toraobservanz. Der Legitimationsakt wird nach W. von VSam als Form der Veränderung verstanden (1Sam 10,6.10b; 10,26­11,13) und als alte israelitische Form der Legitimation in Num 11; Ri 3,10; 6,34; 11,29 u. a. eingeordnet (389­390). Die »Zurüstung des menschlichen Herzens« 1Sam 10,9a ist nach VSam als Form der Einwirkung des Geistes zur besseren Entsprechung gegenüber JHWHs Willen in das Königtumskonzept eingefügt (399). Literaturverzeichnis, Stellenregister, Textübersetzungen mit Vorstufenrekonstruktionen sowie 12 Abbildungen beschließen den mit vielen Übersichten versehenen, gut lesbaren, ausführlichen Band.

Besonders die Verschränkung zwischen dem Konzept der Herrschaftslegitimation und der literarhistorischen Arbeit ist anspruchsvoll. In der Durchführung setzt die anregende Arbeit zur Saulüberlieferung in der Auswahl (z. B. der Delegitimationstexte, 145) sowie bei der Zuordnung der Texte eigene Akzente, die im Einzelnen zu diskutieren sind. So weist W. den Philisterüberlieferungen historische Priorität gegenüber der Ammoniterüberlieferung zu; ein Urteil, das seine Zuweisung von 10,25b­11,13 als fiktionale Erzählung des VSam beeinflusst und sich auf ein Bild vom frühen Staat stützt (vgl. 98 mit Anm. 281 unter Berufung auf Alt, Staatenbildung), das W. an anderer Stelle auf Grund seiner Ergebnisse hinterfragt (282). Was spricht für den zweifelsfreien Quellencharakter von 9,1­10,16, wenn 1Sam 10,27­11,13 erfundene Fortschreibung (97) ist? (Vgl. auch die literarischen Abhängigkeitsverhältnisse: 1Sam 10,26­11,13 hängt von Richtererzählungen ab, die Legitimationsaussagen 1Sam 10,6.10 gelten jedoch als alte Überlieferung trotz Bezügen auch zu späten Texten Ri 14,6.19 neben Ri 3,10; 6,34; 11,29. Ob die VSam am Ende des 6. Jh.s zugewiesenen Abschnitte (1Sam 15 in toto inklusive der Amalekiterüberlieferung, neben 10,26­11,13) nicht in sich Schichtungen aufweisen, wird sicher ebenso Gegenstand der Auseinandersetzung sein, wie die vermutete eigenständige Ent wick lung eines isolierten ersten Samuelbuches (vgl. 360­364).

Trotz dieser Fragen stellt die klar verfasste Untersuchung einen wichtigen Beitrag zur Forschung dar, nicht zuletzt wegen vieler weiterführender einzelner Überlegungen (vgl. nur die bedenkenswerte Etymologie von nagž-d von der qal-Bedeutung »jemand einer Sache gegenüberstellen/berichten«, 66­68). W. setzt besonders auf Grund seiner detailliert begründeten, eigenständigen literargeschichtlichen und religionsgeschichtlichen Einordnung der Saulüberlieferung sowie auf Grund der gelungenen Verbindung der Frage der Königslegitimation und der literarischen Entwicklung einen über weite Strecken eigenständigen Akzent in der Erforschung des frühen Königtums und der Literargeschichte von 1Sam, der von künftigen Arbeiten zu berücksichtigen ist.