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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

258–260

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vogel, Manuel

Titel/Untertitel:

Das Heil des Bundes. Bundestheologie im Frühjudentum und im frühen Christentum.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 1996. 392 S. gr.8° = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, 18. Kart. DM 86,­. ISBN 3-7720-1869-6.

Rezensent:

Christoph Levin

Die von Klaus Berger betreute Heidelberger Dissertation vom WS 1994/95 bietet eine begriffsexegetische Untersuchung von diathéke/berît in der frühjüdischen und urchristlichen Literatur einschließlich ihrer alttestamentlichen Vorgeschichte. Behandelt werden die Belege in den Apokryphen und Pseudepigraphen, in den Qumranschriften, bei Philo, bei Pseudo-Philo, im Neuen Testament und im Barnabasbrief. Nicht einbezogen sind die Targume, die rabbinische Literatur und Justin.

Die wesentliche Besonderheit liegt darin, daß der Vf. die frühjüdische und die urchristliche Literatur literaturwissenschaftlich und religionsgeschichtlich als Einheit behandelt. Der weite Rahmen ist für das Verständnis der traditionsgeschichtlichen Zusammenhänge des Neuen Testaments von großer Bedeutung. Er wurde freilich mit einer erklärten Absicht gewählt. Die Untersuchung steht "im Interesse unvoreingenommener Wahrnehmung ... unter programmatischer Nichtbeachtung der neutestamentlichen Kanongrenze wie auch der Unterscheidung Judentum/Christentum" (30.60 u. ö.). Ein solches Programm ist alles andere, nur nicht unvoreingenommen; zumal es als Beitrag zur Debatte über das Verhältnis von Christen und Juden gemeint ist, wie sie in jüngerer Zeit auch mit historischen und exegetischen Begründungen heftig geführt wird. Die Prämisse, die der Vf. sogar bei Paulus wiederfindet, lautet: "Biblischer Glaube und jüdische Identität sind ... eine untrennbare Einheit" (233). Der ständige Rückgriff der frühen Christen auf das Alte Testament belege deren jüdisches Selbstverständnis. Die Christusbotschaft selbst sei Ausdruck jüdischer Identität (so 350). Wenn das Neue Testament gleichwohl antijüdische Kontroversen enthält, soll die gemeinsame Betrachtung von christlichen und frühjüdischen Texten zeigen, daß sie sich von der widerspruchsvollen Meinungsvielfalt in der frühjüdischen Literatur, ja bereits im Alten Testament nicht grundsätzlich unterscheiden.

Zweifellos kann man das frühe Christentum, gemessen an seinen Trägern wie an seiner biblischen Grundlage, als eine jüdische Sekte unter anderen ansehen, wie sie das Judentum des 1. Jh.s auch sonst geprägt haben. Nicht von ungefähr wurde die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum als Streit um das "wahre Israel" geführt. Aber damit ist nichts erklärt. Die entscheidende Frage ist vielmehr: Wie wurde es möglich, daß mit der Heidenmission alsbald die gemeinsame Grundlage verlassen wurde: die Tora? Die antijüdische Polemik des Neuen Testaments ist von da an keine innerjüdische Angelegenheit mehr. Die theologische Reflexion aber erkennt, daß das im Christusglauben von vornherein so angelegt war. Die neutestamentlichen Schriften bezeugen den Rechtfertigungsdruck, den die unvermeidliche Trennung vom Judentum hervorgerufen hat (und der noch in der heutigen Debatte fortwirkt).

Da der Zugang, den der Vf. gewählt hat, eine Entwicklung des Begriffs eher ausschließt, ist die Untersuchung nicht begriffsgeschichtlich, sondern deskriptiv angelegt. Der Vf. ordnet die Belege nach vier Hauptaspekten: I. Bund als soteriologische Kategorie (33-106), II. Bund als Geschichtskonzept (107-161), III. Bund als Ausdruck der Gottesgemeinschaft (163-221) und IV. Bund als Inbegriff jüdischer (bzw. jüdisch-christlicher) Identität (223-350). Die vier Hauptteile sind in insgesamt 15 Kapitel nach Einzelthemen gegliedert, die jeweils in der Regel frühjüdische und neutestamentliche Belege im Verbund behandeln. Der Vf. hat die Untersuchung gut erschlossen. Jeder Hauptteil beginnt mit einer "Vorbemerkung", jedes Kapitel schließt mit einem "Ertrag". "Die Ertrag-Teile der einzelnen Kapitel sind zusammen mit den Einleitungen zu den vier Hauptteilen als fortlaufender Text konzipiert, der den Gesamtertrag der vorliegenden Studie so knapp wie möglich und so ausführlich wie nötig zur Kenntnis zu nehmen erlaubt" (351) ­ auf etwa 32 Seiten.

Aus der Fülle des Textmaterials nenne ich drei Beispiele dafür, wie die "programmatische Unvoreingenommenheit" sich auswirkt: Wie kommt der Vf. unter seinen Voraussetzungen mit Gal 4 zurecht, wo Paulus im Bild der beiden Bundesschlüsse den Nomos als die Verheißung in Christus und den Nomos als das an sein Ende gekommene Gesetz gegeneinander stellt, um die Gesetzesfreiheit der Heidenmission zu begründen (68-77)?

Bereits im Alten Testament liege ein analoger "Streitfall" vor: zwischen der gesetzlichen Fassung des Bundes in der deuteronomistischen Theologie und der gnadentheologischen Fassung des Bundes in der Priesterschrift. Das "Oszillieren des Bundesbegriffs zwischen Verheißung und Gesetz" sei also traditionell. Mag man das so gelten lassen, trifft es doch keineswegs den Kern der paulinischen Sache. Die Gnadentheologie der Priesterschrift lebt von der kultischen Vermittlung und von der heilsinstitutionellen Beschränkung auf Israel. Sie konnte im Pentateuch mit der Gesetzestheologie eine derart enge Verbindung eingehen, daß das "sola gratia" der Priesterschrift heute eine exegetische Entdeckung ist. Für Paulus dagegen hat die Verheißung den eindeutigen Vorrang vor dem Gesetz. Das Oszillieren hat ein Ende ­ und damit der Nomos als Zugang des Heils. Wer wollte das unter jüdische Theologie subsummieren!

Eph 2,11-22 betont den vormaligen Unterschied zwischen Heidenchristen und Judenchristen, um daran zu erinnern, daß der Zaun zwischen Heiden und Juden in Christus abgebrochen ist. Der Vf. sieht darin "eine deutlich jüdisch gewichtete judenchristliche Position" (239). "Die vormals fehlende Gemeinschaft mit Israel kommt nun durch die Gemeinschaft mit den Judenchristen zustande" (238). Wie soll eine Gemeinschaft mit Israel aber möglich sein, wenn derselbe Text voraussetzt, daß Beschneidung und Gesetz abgetan sind? Der Vf. definiert die neue Gemeinschaft als "eschatologisch entgrenztes Judentum" (240). Ein entgrenztes und damit um den heilsinstitutionellen Vorrang beraubtes Judentum ist aber kein Judentum mehr, sondern die Kirche.

Den Hebräerbrief schreibt der Vf. einem "christlichen Juden" zu (323) ­ was immer das sei. Im Rahmen der theologischen Konzeption des Briefes bilde der Bundesgedanke ein Gegengewicht zu der Überlegenheit des Hohepriesteramts Christi und der damit verbundenen heilsinstitutionellen Diskontinuität. "Der Autor verankert auf diese Weise das Christusbekenntnis und damit auch die religiöse Identität seiner Träger in einer biblischen Kategorie, die traditionell für das Wesentliche und Ganze jüdischen Glaubens steht" (331 f.). So gelte für Hebr wie für die paulinische Fassung der Abendmahlsworte, "daß ... die Deutung des Todes ... Jesu als Inkraftsetzung des ’neuen Bundes’ für die Integration christlichen Heilsverständnisses in jüdische Denkzusammenhänge steht" (337). Wenn man sich darauf einläßt, den Rückbezug auf die alttestamentliche Verheißung als "Integration in jüdische Denkzusammenhänge" zu bezeichnen, ist dem nicht zu widersprechen. Doch ist es nur die halbe Wahrheit: Mit der Kontinuität geht die Diskontinuität einher. Warum sonst werden nicht die zahlreichen Verheißungen des immerwährenden Bundes, sondern wird die eine Verheißung des neuen Bundes zitiert?

Die Beispiele zeigen, daß die "programmatische Nichtbeachtung der Unterscheidung zwischen Judentum und Christentum" darauf hinausläuft, daß die beiden Größen nicht regelrecht definiert werden. Manches scheint gegenüber der gewohnten Exegese lediglich eine Frage des Sprachgebrauchs. Aber nicht nur: Die Betonung der Kontinuität verleitet den Vf., das komplizierte Geflecht von Anknüpfung und grundsätzlichem Widerspruch zu übersehen, mit dem das frühe Christentum seiner jüdischen Herkunft gegenüberstand. Hier herrscht gerade keine heilsinstitutionelle Kontinuität. Man kann es am Gegenstand der Untersuchung sehen: "Bund", sofern der Begriff die heilsgeschichtliche Kontinuität ausdrückt, spielt im Neuen Testament nur eine Nebenrolle, wie die geringe Zahl und große Streuung der Belege zeigen. Bei nicht wenigen tritt das Spezifische des Neuen Testaments gar nicht heraus; sei es, daß es Zitate oder übernommene Stücke sind, sei es, daß nur das traditionelle Begriffsfeld wiedergegeben wird.

Die unterschiedslose Behandlung der frühjüdischen und christlichen Belege für "Bund" hat nicht den Erkenntniswert, den der Vf. ihr beimißt. Man versteht die Religionsgeschichte nicht besser, sondern begreift sie gerade nicht mehr. Wäre der Unterschied zwischen der urchristlichen und der frühjüdischen Literatur marginal, so wäre die Trennung der Religionen ein Zufall gewesen, und die Tragik, die in ihr liegt, ein Mißverständnis. So leicht bekommt man das Problem nicht vom Halse!