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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

159-161

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Miller II, Robert D.:

Titel/Untertitel:

Chieftains of the Highland Clans. A History of Israel in the Twelfth and Eleventh Centuries B. C. Grand Rapids-Cambridge:

Verlag:

Eerdmans 2005. XIX, 186 S. m. Abb. gr.8° = The Bible in Its World. Kart. US$ 28,00. ISBN 0-8028-0988-X.

Rezensent:

Hermann Michael Niemann

Wer den Untertitel und die Lobeshymne auf dem hinteren Deckel ernst nimmt, das Buch »tells us what early Israel was really like«, die Anfänge Israels seien nicht mehr »a dark age«, wird nach der Lektüre enttäuscht sein. Hauptthese des Buches: Dem monarchischen (nach Meinung des Rezensenten zu Unrecht zugleich als staatlich betrachteten) Israel ab dem 10. Jh. v. Chr. ging im samarischen Bergland im 12.­11. Jh. v. Chr. die Gesellschaftsform des complex chiefdom voraus. Vor allem drei Merkmale habe ein complex chiefdom: »tribute mobilization« durch den Häuptling, auf Grund derer er z.B. für Kult und Ritual sorge, Streit schlichte sowie Güter mit Nachbar-Eliten tausche, womit sein Status und die Stabilität seines Häuptlingtums gestärkt würden, auch durch Weiterverteilung von Gütern an und durch Unter-Häuptlinge; »cycling« meint u. a. die Fluktuation zwischen den Ebenen chief, subchiefs, people, die z. B. zum Sturz des Häuptlings und Aufstieg eines Unterhäuptlings führen könne; schließlich legitimierende »sacralization«, z. B. durch Ge nealogie und deren Manipulation; Vergöttlichung von Dynastiegründern; Beziehungen zu Heiligtümern. Neu ist dieser Vorschlag nicht. Der Rezensent hat ihn 1990 in seiner Habilitationsschrift (Druckfassung »Herrschaft, Königtum und Staat«, FAT 6, Tübingen 1993) ausführlich behandelt, andere haben ihn diskutiert.

M. hat schon in einer früheren Arbeit Orte gesammelt, die im samarischen Bergland in die Eisenzeit I (traditionell 12.­11. Jh.) zu datieren seien; dabei wird die einschlägige, von I. Finkelstein angestoßene Diskussion zur sog. »low chronology« nur sehr kurz gestreift und ohne nähere Begründung abgewiesen. M. sichtet die Orte in Kapitel 5 (29­90) nach »settlement patterns«, »mortuary prac tices« (»meagre«, 69­73), »architectural styles«, »distinction of wealth« in Siedlungen, um so »ascriptive rank«, »residential evidence«, »settlement hierarchy«, »abundance of resource for sustenance«, »monumental architecture or similar constructions«, »evidence of warfare or defense« und »mobilization of goods« als Kennzeichen von chiefdoms festzustellen. Um ihre Beziehungen, Hierarchie und Interaktion darzustellen, nutzt er das sog. »Gravity Model« (20 definiert), das Zentralorte von Durchschnitts- und Kleinsiedlungen unterscheidet und ihren Zusammenhang zeigen soll. Es funktioniert nur bei Kenntnis aller Orte einer Region und deren Größen, was nicht der Fall ist. M. hilft sich mit einer Klassifizierung der Orte (26). Es ergeben sich sechs Regionen der »israelitischen« Besiedlung, die sich um Zentren (mit zwei bis drei untergeordneten Ortsebenen) gruppieren: am bedeutendsten Tell Balata (Sichem) und zusätzlich die Region Benjamin im Süden (ein Netz von simple chiefdoms mit ummauerten Städten, das in Tell en-Nasbe einen Vorratssammelort besessen habe); bescheidener H˜ irbet Seilun (Silo) und Tell Dothan (Dothan) sowie Tell el-Fara Nord (Tirza), die vielleicht dimorphic chiefdoms seien (d. h. complex chiefdoms mit einem Stadtstaat als Zentrum). Andere Ortsgruppen (das sog. »Attil System« und das »H˜iirbet Tibne System«) seien allenfalls simple chiefdoms. »The evidence shows that not all of Israel was of the same type of society simultaneously«. Dem wird kaum jemand widersprechen. Dem Schluss, »that the ethnic distinction of the highland settlement, which has been supported in Chapter 1 by the Merneptah Stele and by the continuity with Iron II archaeologically, and earlier in this chapter for stylistic reasons, is further supported by economic reasons« (90), kann der Rezensent so nicht folgen. Dass (ver-) gleich(bar)es archäologisches Fundmaterial Kontinuität (?) sowie Ökonomie ethnische Identität beweise, bedarf weiterer Faktoren, Materialien und umfassenderer Prüfung. Einen nützlichen Beitrag bietet die Skizze der Ökonomie der Zonen des samarischen Berglandes (52­63). Wenig überzeugend wirken dagegen die S. 64 ff. u. ö. undiskutiert übernommenen Datierungen, die M. aus z. T. sehr alten Grabungsberichten übernimmt (z. B. für Bethel von J. L. Kelso). Fragwürdig ist die pauschale These, Monumentalbauten, Befes tigungen u. Ä. seien Belege für »conscripted labor« (75 ff. u. ö.) und damit Zeichen etablierter Herrschaft mit Sanktionsgewalt. Was meint M. mit »conscripted labor«? Im Rahmen von Staatlichkeit ist es Zwangsarbeit, eine Art Natural-Steuer. Fronarbeit (statt Geldzahlung) kann von einer Ortsgemeinde z. B. für die Ortsbefestigung selbst festgelegt werden. Der Fund von Waffen kann kaum pauschal als Zeichen von institutionalisierter Herrschaft gelten. Kapitel 7 bietet eine sozialgeschichtliche Zusammenfassung der Bergland-Gesellschaft von Kleinfamilien innerhalb einer Sippenstruktur in selbstversorgenden Dörfern, die die »Zentren« mit Lebensmitteln und Zwangsarbeit(ern) belieferten. Das Ganze bilde eine Ethnie (97­103). Wie drückt eine solche Gesellschaft ihre soziopolitische Realität in Texten aus (Kapitel 8)? Es finden sich keine entsprechenden Texte, denn »literature was oral« (109). Im 9. Kapitel vergleicht M., wie das biblische Richterbuch soziale Realität zeichne, mit seinem Modell des complex chiefdom und findet ­ sehr allgemeine ­ Übereinstimmung. Ri 9 und 1Sam 2 böten ein Bild, das der Struktur eines complex chiefdom entspreche, Eli das eines chief (123 f.). Die Bibel bestätige, dass Silo entsprechend dem rekonstruierten archäologischen Bild »was somehow central to all of Israel«, wenn auch kein »amphictyonic center« (119). Sichem sei bedeutend gewesen, wie Ri9 zeige. 1Sam reflektiere u. a. die Zerstörung von H˜ irbet Raddana ca. 1025, Ri 20 Ereignisse von 1125 v. Chr. Die kurzen »conclusions« (125 f.) bekennen als Defizit der Studie die Nichteinbeziehung von »Ideologie« in die Rekonstruktion des 12./11. Jh.s, obwohl viel ikonographisches Material vorhanden sei, dessen Deutung aber Probleme bereite. Die vielen einschlägigen Werke von Othmar Keel und seinem Schülerkreis sind M. aber keiner Erwähnung wert.

Das Buch mit hohem Anspruch (Untertitel!), begrüßenswerter Einbeziehung sozioanthropologischer und ethnographischer Forschung, Methodeninteressiertheit, aber auch undiskutierten Voraussetzungen, hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Was soll das Neue der Studie sein? M. hat viel europäische Fachliteratur herangezogen. Die Monographie des Rezensenten von 1993, die sich exakt der soziokulturellen Frage widmet, aus welchen soziologischen Strukturen das monarchische Israel in eine staatliche Struktur hineinwuchs, mit welchen Mitteln das geschah, ab wann man von einem Staat sprechen könne, ist M. entgangen.

Erklärungsmodelle (complex chiefdom u. Ä.) sind und bleiben Hilfskonstruktionen. Ein Streit, welche sozialanthropologische Bezeichnung für Israel im 12.­11. Jh. angemessen sei, führt allein nicht weiter. Es müssen Komponenten, Strukturen und Prozesse einer Gesellschaft und ihrer sozialen Organisation im Kontext beobachtet und Gründe für die Vielfalt der konkreten Beispiele von Gesellschaftstypen analysiert werden. Dazu hat M. beigetragen.