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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

157-159

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bauks, Michaela:

Titel/Untertitel:

Die Feinde des Psalmisten und die Freunde Ijobs. Untersuchungen zur Freund-Klage im Alten Testament am Beispiel von Ps 22.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2004. 198 S. 8° = Stuttgarter Bibelstudien, 203. Kart. EUR 24,90. ISBN 3-460-03034-8.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Bei dem Buch von Michaela Bauks handelt es sich um die Habilitationsschrift der Verfasserin, die 2003 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Straßburg akzeptiert wurde.

B. beschreibt im Vorwort ihr Arbeitsfeld so: »Die Diskussionen im interdisziplinären Rahmen um das Verständnis von Ps 22 haben mich dazu angeregt, den traditions- und literaturgeschichtlichen Spuren, die in diesem Psalm zusammenlaufen, ausführlicher nachzugehen« (9), was die Suchbewegungen der Untersuchung treffend beschreibt. Den roten Faden bildet die Frage, welche Bedeutung die in Ps 22 dargestellten sozialen Beziehungen für die Erfahrung von Sinn auf Seiten des Psalmenbeters haben. Diese Frage wiederum fächert sich auf in die Fragen nach der Identität des Beters, nach der Wertung, die das Gegenüber des Beters in den Klagen erfährt (handelt es sich um Feinde oder um Freunde, die als treulos empfunden werden?), die Frage nach der Rolle der Gemeinde und die nach der Gottesbeziehung des Beters, sowie die Frage, wie alle diese Beziehungen im Erleben des Beters korreliert sind und welche Dynamik sie im Verlauf der Klage entwickeln. Zur Klärung der letztgenannten Frage bedient B. sich eines »psychologisch« oder auch »anthropologisch-biographischen« Deutungsschemas, das sie von O. Keel bzw. D. Erbele-Küster übernimmt. Der Lesbarkeit des Buches hätte es gut getan, wenn sie diese Ansätze im Buch noch einmal kurz skizziert hätte.

Den Schwerpunkt legt B. auf die Frage nach dem unmittelbaren Gegenüber des Beters, den sie in Ps 22 zu verstehen versucht vor dem Hintergrund der ambivalenten Rolle, welche die Freunde im Hiobbuch spielen, und im Dialog mit weiteren Psalmenaussagen und mesopotamischen Texten.

Die Studie ist in drei Teile gegliedert, wobei die Teile A (Ps 22 und sein exegetisches Umfeld) und B (Die Feind-Funktion der Freunde in den Ijobklagen [Ijob 3 und 30] und im Psalter) die exegetischen Grundlagen erarbeiten, während C (Die Bemächtigung des Feindes in Ijob und in Ps 22) die Synthese aus diesen Grundlagen vollzieht und das Erarbeitete historisch einordnet.

Der erste Teil widmet sich ganz der Analyse des Ps 22, stellt diesen zuerst als Gesamttext mit seinen Schwierigkeiten dar. Darauf folgt ein Abschnitt, der sich die Klagen, unterschieden nach dem jeweils in ihnen anvisierten Gegenüber, vornimmt, und schließlich betrachtet B. die Übergangsstelle von der Klage zum Lob und die Wechsel in der Sprechrichtung. Das Ergebnis dieses analytischen Teils formuliert ein »Résumé«: Im Beter des Psalmes sieht B. »Š die Darstellung eines leidenden Gerechten im Sinne der weisheitlich beeinflußten passio iusti -Tradition« (52). Der Psalm präsentiert und steuert in seinem Ablauf den seelischen Weg des Beters. »So integriert sich der Beter in gewisser Weise selbst nach seiner Erhörung. Diese muß demzufolge ein innerer Prozeß sein und nicht etwa ein öffentlicher Akt, von dem der Text an keiner Stelle etwas andeutet« (52). Eine gewisse Schlüsselfunktion kommt der Beobachtung zu, dass das hebräische Wort, das das menschliche Gegenüber des Beters bezeichnet, in der hier vorliegenden Pluralform ambivalent ist: die µy[rm td[ kann sowohl die Versammlung der Freunde (von h[r II) als auch die Versammlung der Übeltäter (von [[rII) bezeichnen: »Hier kann man gegen die absolute Mehrheit der Exegeten auch für die Übersetzung ðFreundeÐ statt ðÜbel- oder MissetäterÐ plädieren« (53). Außerdem schließt B. aus der universalen Ausweitung, die der Psalm im abschließenden hymnischen Teil (Ps 22,28­32) aufweist, dass dieser Psalm sich paradigmatisch auf das ganze Gottesvolk bezieht.

Angesichts dieser weiten Bedeutung des Psalms untersucht B. im folgenden Abschnitt weitere Texte des Alten Testaments danach, ob sich in ihnen analoge Phänomene finden lassen. Das Hiobbuch ist als Vergleichstext ­ zumindest nach B.s Vorarbeit in Abschnitt A ­ naheliegend. Die Klagen Hiobs, so B., weisen in jeder der belegten Formen auf Gott als denjenigen, der für Hiobs Geschick verantwortlich ist. Aus dem Psalter zieht B. die Psalmen 31.35.38.41.55.69 und 88 zum Vergleich heran. Die Freund-Klage, die B. zu einer Unterkategorie der Feindklage erklärt, hat in den betreffenden Psalmen eine ähnliche Funktion wie die Feindklage: »Im Vordergrund steht das Verhältnis des Beters zu Gott. Das Feind-Thema dient als Folie zur Darstellung von Qualität und Dringlichkeit des Konflikts« (78).

Ein an die Behandlung der Psalmentexte neben Ps 22 sich anschließender Abschnitt über die Frage des Kontextes im Psalter ist beim derzeitigen Stand der Debatte wohl unumgänglich, erbringt im vorliegenden Fall aber keine grundlegend neuen Erkenntnisse.

Zu Beginn des Abschnittes C (Die Bemächtigung des Feindes in Ijob und in Ps 22), der die Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitte integriert und systematisiert, zieht B. den Kreis der betrachteten Texte noch einmal weiter: Nun werden aus der mesopotamischen Gebetsliteratur die Handerhebungsgebete und die Herzberuhigungsklagen sowie der ­ oft mit dem Hiobtext vergli chene ­ Text ludlul b¯el n¯emeqi zum Vergleich herangezogen. Viele Elemente der biblischen Klagepsalmen finden sich auch in den mesopotamischen Texten, doch ist die Freund-Klage selten belegt, sie fand sich innerhalb der betrachteten Texte nur im literarischen Text des ludlul b¯el n¯emeqi , nicht jedoch in den im Vollzug mit magischen Ritualen verbundenen Beschwörungstexten. Ob für die Psalmen auch mit einer entsprechenden magischen Verwendung gerechnet werden muss, formuliert B. lediglich als Anfrage. Die Gestalt der Freunde/Feinde läuft in Ps 22,12b letztlich auf Gott zu, das eigentliche Gegenüber des Beters.

Der in Ps 22 (aber eben nicht nur dort) zu verzeichnende Stimmungsumschwung ist nach B. ein Element, das aus der Funktion des Klagepsalms zu erklären ist: In und mit dieser Textsorte gelingt es dem Beter, sein Leid zu akzeptieren und zugleich im Übergang von der Klage zum Lob zu überwinden. Dieser Übergang von der Klage zum Lob, der die Errettung des Beters begleitend trägt, führt zur Wiedereingliederung des im Leid vereinzelten Beters in die Gemeinde. Durch diese Wiedereingliederung des Leidenden, der in Ps 22 wie im Hiobbuch ein leidender Gerechter ist, wird auch die Gemeinschaft wiederhergestellt. Ps 22 bietet somit gerade keine Darstellung individuellen Leids: »Demgemäß ist das Schicksal eines Gerechten ­ und von explizit begangenen Verfehlungen oder gar gottlosen Frevlern handelt keiner der Texte ­ für den Fortbestand der gesamten Gesellschaft bedeutsam« (147).

Ehe B. ihre Ergebnisse in einer »Schlussbetrachtung« zusammen trägt, geht sie noch auf die Septuagintafassung des Psalms 22 (Ps 21 in der LXX) ein. Die griechische Fassung stellt für sie eine frühe Interpretation (Relecture) des protomasoretischen hebräischen Textes dar, die den Psalm eschatologisch liest.

In die Studie ist eine Reihe von Exkursen eingestreut, die einzelne Nebenthemen behandeln. Die Arbeit bietet an vielen Punkten anregende Beobachtungen und frische Einsichten und Einschätzungen. Dies gilt ungeachtet einiger geringfügiger Einschränkungen:

Skepsis ist etwa angebracht bei B.s Neigung, qatal -Formen mit etwas leichter Hand zum direkten performativen Akt (20) oder zum Koinzidenzfall (137) zu erklären und präsentisch zu übersetzen. Für diese Übersetzung mag es interpretatorische oder theologische Gründe geben, die Grammatik reicht dafür nicht aus, schon weil in beiden Fällen (Ps 22,22.32) keine erste Person steht ­ die entsprechenden Beispiele bei Joüon, den B. für V. 32 zitiert, weisen alle eine erste Person aus (bei der Übersetzung von V. 32 in der zweiten Person (46) dürfte ein Versehen vorliegen). Auch die Erklärung, die Verbformen in V. 13­16a seien als Stative präsentisch zu übersetzen, mag verwundern, wenn man sich die entsprechenden Verben ansieht. Die präsentische Übersetzung erbringt darüber hinaus in diesen Fällen keine andere Sicht des Textes als eine Übersetzung mit einer Präteritumform. Manchmal ist die Darstellung recht knapp und nicht ganz präzise in den Formulierungen. Letzteres mag allerdings mit der Entstehungssituation des Buches zusammenhängen. Es wurde geschrieben, während B. in Montpellier lehrte. Diesem Umstand verdankt der Leser des Buches dann allerdings auch die ausführliche Diskussion mit der französischsprachigen Literatur, die sonst in deutschsprachigen Publikationen nicht immer zu ihrem Recht kommt. In diesem Zusammenhang sei auch auf das Literaturverzeichnis hingewiesen, das zahlreiche französische Werke nennt und darüber hinaus manche an entlegener Stelle publizierte Arbeit aufführt.

Wenn auch an der einen oder anderen Stelle Fragen an die Studie gestellt werden könnten, so wird das doch den Gesamteindruck nicht trüben: B. hat eine Studie vorgelegt, die vielfältigen Aspekten der Texte nachgeht, die ihre Textauswahl klug auf einen zentralen Text fokussiert und von ihm ausgehend andere Texte mit in den Blick nimmt. Ihre Beobachtungen und auch ihre Interpretationsweise sind geeignet, neue Diskussionen anzufachen. Ein ausführliches Stellenregister rundet den Band ab.