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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

155-157

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Barré, Michael L.:

Titel/Untertitel:

The Lord Has Saved Me. A Study of the Psalm of Hezekiah (Isaiah 38:9­20).

Verlag:

Washington: The Catholic Biblical Association of America 2005. X, 294 S. gr.8° = The Catholic Biblical Quarterly. Monograph Series, 39. Kart. US$ 12,00. ISBN 0-915170-38-8.

Rezensent:

Melanie Köhlmoos

Der katholische Alttestamentler und Professor für Heilige Schrift an der St. Mary¹s University in Baltimore legt mit dieser Studie das Ergebnis langjähriger Beschäftigung mit Jes 38,9­20 vor. Es handelt sich um die erste monographische Untersuchung des Textes seit J. Begrichs Darstellung von 1926 (FRLANT 25). Untersucht wird der Psalm in seinem Eigenwert; Entstehungs- und Kontextfragen sind für die Studie von nachrangiger Bedeutung.

Das Buch enthält eine Einleitung (1­21), zehn Kapitel (23­256), einen Anhang (257­263), eine Bibliographie (264­282) und Register (283­294). Die Einleitung bietet einen Forschungsbericht (1­4) sowie die methodischen Prämissen der Arbeit (5­17). Im Hinblick auf den problematischen Text von Jes 38,9­20 ist eine Wahrnehmung der einzelnen Textzeugen unabdingbar (6­7). Konjekturen sind unvermeidlich zur (Wieder-)Herstellung eines konzisen Textes (9­12). Gleichberechtigt daneben steht die detaillierte Wahrnehmung der Textgestalt als ein Werk hebräischer Poesie (12­17).

Der Struktur des Textes ist das 1. Kapitel (»Structure«: 23­34) gewidmet. Aus der masoretischen Textgestalt ermittelt B. den Aufbau von Jes 38,9­20. Er gliedert sich in eine Überschrift (V. 9), zwei Hauptteile (V. 10­14; 15­19) und eine Coda (V. 20). Diese Gliederung ergibt sich aus dem Umschwung der Klage in Reflexion und Lob ab V. 15 sowie aus dem Leitwort ¹ ¯amar V. 10.11.15 (24­26). Die Tiefenstruktur wird organisiert durch das chiastisch angeordnete Wortpaar y¯am–im//s¯an–ot (V. 10.15.20). Jes 38,9­20 thematisiert somit die Lebenszeit des Beters in Not und Rettung (26­28). Anhand der Metrik und der verwendeten Stilmittel gelangt B. zu einer detaillierteren Gliederung: Die beiden Hauptteile V. 10­14; 15­19 lassen sich weiter unterteilen in Teil IA (V. 10­11); IB (V. 12­14); IIA (V. 15­17); IIB (V. 18­19).

Kapitel 2 (»A Miktam by Hezekiah«: 35­50) analysiert die Überschrift V. 9, deren erstes Wort nicht mikt¯a, sondern mikt¯am lautet. Diese Überschrift verdankt sich nicht der Einfügung des Psalms ins Jesajabuch, wie ihre Sperrigkeit gegenüber dem Kontext erweist. Hiskias Psalm war vielmehr mit dieser Überschrift Teil einer »(now) lost collection of poems« (48), wurde dieser entnommen und in Jes 36­39 integriert.

Die Kapitel 3­7 (51­211) bieten eine detaillierte Analyse der er mittelten Einzelabschnitte des Psalms. Dabei ist der größte Teil dem Ziel gewidmet, den Grundtext zu erreichen, der von der masoretischen Textfassung nur unbefriedigend repräsentiert wird. Im Anschluss an die Textrekonstruktion erfolgt jeweils eine stilistische und inhaltliche Analyse.

B. nimmt an 25 Stellen Textänderungen bzw. Umvokalisierungen vor, d. h. er entscheidet zu etwa 20 % gegen MT. Bei seinen Vorschlägen folgt er meist 1QIsab<, 1QIsab, LXX, Aquila, Symmachus, Theodotion, Vulgata, Peschitta oder Targum. Die methodische Grundlegung für dieses Verfahren ist in der Einleitung dargestellt (6).Tatsächlich lehrt ein Blick in den Apparat der BHS, dass eine exegetische Erschließung von Jes 38,9­20 ohne sorgfältige textkritische Arbeit nicht zu haben ist. Die souveräne Handhabung der Methodik versetzt B. in die Lage, einen konzisen Text zu (re-)konstruieren und sogar einen Vorschlag für den »exegetischen Alptraum« (Wildberger, BK, 1444) in V. 16 vorzulegen. In einem sorgfältigen Subtraktionsverfahren (153­163) rekonstruiert B. aus ¹ad¯onay Œal–ehem yihyu –ulekol-b¯ahen .hayye ru.h–i als Grundtext ¹ad¯onay Œelì hamma.hayeh kol l¯eb hamma.hayeh r–ua.h.

Auch dort, wo B. ohne Anhalt an der Textgeschichte konjiziert, kommt er zu konzisen Vorschlägen, etwa in V. 17a (163­168); auf dem Weg der Semantik gelangt er ebenfalls zur Lösung schwieriger Probleme, etwa in V. 13 (111­114). Gleichwohl sind manche dieser semantisch begründeten Vorschläge sehr weitreichend, etwa B.s Lesung von V. 10b (58­64). Ähnliches gilt für das Verständnis von d¯or–i (V. 12) als »Lebenszeit« statt des meist vertretenen Aramaismus »Hütte« (77­82). Insgesamt gelangt B. mit seiner Methodik zu einem lesbaren, verständlichen und konzisen Text. Ob seine Rekonstruktion wirklich die älteste erreichbare Textgestalt repräsentiert, wird sich fragen lassen (vgl. auch Ingrid Hjelm, RBL 1/2006).

Auf dem Weg der Textrekonstruktion gewinnt B. in Jes 38,9­20 die Gestalt eines sorgfältig strukturierten Textes. In ihm klagt Hiskia zunächst nach Art einer vorweggenommenen Totenklage um das vorzeitige Ende seines Lebens. JHWH zermalmt ihn wie ein Löwe ­ eine Umkehrung des guten Hirten von Ps 23. Gleichwohl bittet Hiskia JHWH, sein Bürge zu sein (V. 10­14). Unvermittelt wendet sich Hiskia in aller Demut an Gott mit der Bitte um Wiederherstellung. Der Verweis darauf, dass die Toten JHWH nicht preisen, dient als argumentative Untermauerung (V. 15­19); der Psalm mündet in Rettungsgewissheit (V. 20: 254­255).

Kapitel 8 (212­230) befasst sich mit »Form, Date, Authorship« von Jes 38,9­20. Die Zuordnung zur Gattung Danklied ergibt sich aus der Überschrift, dem Kontext und dem (konjizierten) Lobpreis für die Rettung in V. 20 (212­216). Die gesamte Sprachgestalt des (rekonstruierten) Textes spricht nach B. für »Standard Biblical Hebrew«, d.h. für eine vorexilische Entstehungszeit (216­227). Die Frage nach dem Autor (227­230) lässt sich nicht beantworten.

In Kapitel 9 (231­251) wird Jes 38,9­20 in den Kontext von Jes 36­38 gestellt. Der Psalm ist sorgfältig mit seinem Kontext verknüpft, so dass die Voraussage von Jes 38,5 f. erfüllt und das Thema von Gebet und Erhörung aus Jes 37 fortgesetzt wird. Die Coda von Jes 38,20 etabliert einen theologischen Kontrast zwischen Hiskia und dem im Tempel ermordeten Sanherib. Das Fazit ist: »Thus the final verse of the prayer sounds the principal ðtheologicalÐ themes of chaps. 36­38 and brings them to conclusion.« (251)

B.s Studie über Jes 38,9­20 ist eine klassische, fast kommentar-artige Auslegung eines kleinen Textabschnitts. Die von Begrich gebahnten Pfade werden sorgfältig ausgebaut. Es ist ein kleiner Nachteil, dass der Text ­ mit Ausnahme der philologischen Beispiele ­ fast monolithisch in sich selbst steht. Die theologische Verknüpfung dieses angeblich vorexilischen Danklieds mit den anderen Vertretern dieser Gattung muss das Lesepublikum selbst leis ten. Offen bleibt, warum der Text Teil einer Sammlung gewesen sein soll ­ er ist ohne Abstriche an der Analyse auch als einzelne Komposition zu denken. Aus inhaltlich-theologischen Gründen lassen sich an die Datierung Anfragen richten: Die nächsten Parallelen zu den entscheidenden Aussagen von V. 12 f.16 liegen in Hi 4, 20 f.; Jes 57,15, die Nähe von Jes 38,9­20 zu Jon 2,3­10 ist bekannt. So ist eine (spät-)nachexilische Abfassung des Hiskiapsalms zumindest inhaltlich weiterhin gut begründbar (vgl. auch Hans-Peter Mathys, OBO 132, 227­229).

Gleichwohl wird die zukünftige Exegese von Jes 38,9­20 an dieser Studie nicht vorbeikommen; B.s Ergebnisse werden hoffentlich eine neue Debatte über diesen Text anregen. Das Buch sollte in keiner Seminarbibliothek fehlen.