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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

154-155

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Schimanowski, Gottfried:

Titel/Untertitel:

Juden und Nichtjuden in Alexandrien. Koexistenz und Konflikte bis zum Pogrom unter Trajan (117 n. Chr.).

Verlag:

Münster-Berlin: LIT 2006. VI, 277 S. 8° = Münsteraner Judaistische Studien, 18. Kart. EUR 34,90. ISBN 3-8258-8507-0.

Rezensent:

Stefan Krauter

Zum alexandrinischen Judentum, insbesondere zum umstrittenen rechtlichen Status der Juden in Alexandria, ist seit gut 100 Jahren eine wahre Flut wissenschaftlicher Untersuchungen veröffentlicht worden. Eine all diese bündelnde, einen verlässlichen historischen Überblick gebende (deutschsprachige) Monographie ist allerdings bislang nicht geschrieben worden. Auch das Buch von Sch. ist ­ wie dieser selbst im Vorwort in auffälligem Gegensatz zu dem Text auf der Einbandrückseite klarstellt (3) ­ nicht diese Monographie, sondern eine Sammlung von »Bausteinen« dazu. Entstanden sind diese in Zusammenhang mit der kommentierten zweisprachigen Ausgabe von Josephus¹ Contra Apionem im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereiches »Funktion von Religion in antiken Gesellschaften des Vorderen Orients«. Einige wurden auch schon vorab in etwas anderer Form veröffentlicht.

Diese »Bausteine« sind ganz unterschiedlicher Natur: teils religionsgeschichtliche Skizzen (zum Sarapiskult und zu den Dionysosmysterien), teils ausführliche Textinterpretationen zum griechischen Sirachbuch, zu Aristobulos, zum 3. Makkabäerbuch, zum Aristeasbrief (den Sch. nach Münsteraner Gewohnheit mit dem seltsamen griechisch-lateinischen Mischnamen »Aristaeosbrief« bezeichnet, vgl. auch das ebenso eigenartige »Ptolemaeos« oder »Chaeremon«) und zu den sog. Alexandrinischen Märtyrerakten, teils thematische Literaturquerschnitte, etwa zum alexandrinischen Antijudaismus (Manethon, Lysimachos, Chairemon, Apion, verschiedene Papyri) oder zur Exodustradition (Artapanos, Eupolemos, Ezechiel Tragicus, Sapientia Salomonis), teils prosopographische Studien (zu Philon und Tiberius Iulius Alexander), teils rechtsgeschichtliche Darstellungen (Kapitel 3 zum Status der Juden in Alexandria), teils historische Darstellungen (Kapitel 4 zu den Pogromen und der Vernichtung der jüdischen Gemeinde).

Die Stärke von Sch. ist dabei, gestützt auf eine breite Kenntnis sowohl der Quellen als auch der internationalen Sekundärliteratur die oft zu Gunsten übergreifender Erklärungen hintangesetzten De tails ins Licht zu setzen: So stellt er dar, wie hinter der scheinbar positiven Beschreibung der ägyptischen Kulte bei Artapanos als von Mose selbst eingesetzt doch eine ironische Distanzierung von der ägyptischen Religion erkennbar ist (70­75). Er arbeitet heraus, dass nicht nur die bekannten in Josephus¹ Contra Apionem überlieferten Autoren, sondern auch Alltagstexte belegen, dass sich Juden und Ägypter ­ wohl auf Grund unterschiedlicher Speisetabus ­ wortwörtlich »zum Kotzen« fanden (59­61). Er destruiert anhand der Quellen im Anschluss an die neuere Forschung die lange Zeit sehr verbreitete, vor allem von V. Tcherikover entwickelte Hypothese, dass die Laographie eine entscheidende Rolle in den Konflikten zur Zeit Philons gespielt habe (154­165), und ebenso klar und sachlich interpretiert er das viel bemühte Claudiusreskript als das, was es tatsächlich ist, nämlich eine Ermahnung an alle Konfliktparteien zu Ruhe und Einhaltung des Status quo (165­175). Besonders ist Sch.s besonnene Würdigung der Karriere von Philons Neffe Tiberius Iulius Alexander in römischen Diensten zu nennen, die sich wohltuend von den in der Literatur verbreiteten emotionalen Urteilen über diesen angeblichen »Apostaten« abhebt. Sch. bietet insgesamt eine wahre Fundgrube an Beobachtungen und Erkenntnissen, auf die weitere Forschungen mit Gewinn werden zurückgreifen können.

Dennoch sind »Bausteine« (noch) keine Monographie: Sch. gibt keine zusammenhängende Darstellung der Ereignisse und Entwicklungen in Alexandria von der Gründung bis zur Vernichtung der jüdischen Gemeinde unter Trajan 117 n. Chr. und keine Gesamtdeutung. Freilich lassen sich schon wichtige Aspekte einer solchen erkennen: Die Zurückhaltung gegenüber globalen Hypothesen über die Lage der Juden in griechischen Poleis zu Gunsten einer genauen Analyse der spezifisch alexandrinischen Verhältnisse (221), die ausgewogene Berücksichtigung der verschiedenen ­ politischen, sozialen, religiösen und ethnischen ­ Konfliktursachen (220 ff.), passend dazu die Einbeziehung aller Konfliktparteien (Juden, Griechen, Römer, Ägypter) ­ woraus folgt, dass es nötig ist, deutlicher als bisher neben der alexandrinischen Judenfeindlichkeit auch die griechisch-römische und die jüdische Ägypterfeindlichkeit wahrzunehmen (224 f.), schließlich die Fähigkeit, aktuelle Konfliktanlässe und langfristige Entfremdungsprozesse zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zueinander in Beziehung zu setzen (229 f.). Es ist zu hoffen, dass Sch. es nicht bei den genannten Ansätzen wird bewenden lassen, sondern tatsächlich aus den »Bausteinen« in nicht allzu ferner Zeit eine Monographie zusammenfügen wird.

Ein hilfreicher zweisprachiger Textteil mit acht Papyri und Inschriften zum Umfeld der jüdischen Gemeinde in Alexandria, die im Werk ausführlich besprochen werden, ein umfangreiches Literaturverzeichnis und Register von Stichworten und antiken Namen (leider nicht von Stellen) schließen das Buch ab.

Ein ­ wohl eher dem Verlag als Sch. anzulastendes ­ Ärgernis ist, dass manche Teile des Buches offensichtlich vor der Drucklegung nicht Korrektur gelesen wurden. Insbesondere in Kapitel 1 erschweren auf jeder Seite zahlreiche Orthographiefehler, Sinn entstellende Grammatikfehler, stilistische Ungereimtheiten und ins Leere führende Literaturhinweise unnötig das Lesen.