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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

152-153

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Horst, Pieter W. van der:

Titel/Untertitel:

Jews and Christians in Their Graeco-Roman Context. Selected Essays on Early Judaism, Samaritanism, Hellenism, and Christianity.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. X, 352 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 196. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-148851-2.

Rezensent:

Tobias Nicklas

Der Sammelband mit Arbeiten des unlängst emeritierten Utrechter Exegeten Pieter W. van der Horst ist insgesamt bereits der neunte dieser Art und hoffentlich nicht der letzte. In seiner Einleitung beschreibt H. die Auseinandersetzung mit einem Aufsatz Willem C. van Unniks als ein Schlüsselerlebnis für seine eigene Arbeit: Bei der Lektüre sei ihm aufgegangen, welche Bedeutung fundierte Kenntnisse der antiken griechisch-römischen wie auch der jüdischen Literatur um die Zeitenwende für das Verständnis des Neuen Testaments haben.

Wer das ‘uvre des Jubilars auch nur ein wenig kennt, weiß, dass sich H. diese Kenntnisse wie kaum ein zweiter angeeignet hat. Und dies wird auch in den hier gesammelten Beiträgen deutlich. Ich kann hier nur einige der insgesamt 30 Arbeiten, von denen ein Großteil auf die vergangenen fünf Jahre zurückgeht, näher vorstellen.

Der Band wird durch eine Reihe von Beiträgen eröffnet, in denen H. die Geschichte jüdischer Gemeinschaften in verschiedenen Teilen des Römischen Reichs nachzeichnet. Dabei zeigt er sich als Meis ter der Interpretation auch knappster Hinweise in den Quellen. Typisch für die Arbeitsweise H.s erscheint mir etwa im Beitrag über die Juden Kretas die ausführliche Interpretation von Socrates, h.e. VII 38, über eine jüdisch-messianische Bewegung im Kreta der 30er Jahre des 5. Jh.s: Diese wird von H. nicht einfach isoliert betrachtet, sondern meisterlich in den Kontext der weiteren Zeitgeschichte wie auch übergreifender Fragen eingeordnet. Mit großer methodischer Umsicht interpretiert H. auch immer wieder epigraphische Zeugnisse, von denen viele nur spärliche Hinweise ergeben. Dass sich die genaue Suche trotzdem lohnt und manch unscheinbar wirkendes Zeugnis ein Geschichtsbild ins Wanken bringen kann, zeigt H. exemplarisch an der Inschrift CIJ 731c = Inscr.Jud.Or.Cre3, in der eine Sophia aus Gortyn als presbytera und archisynagôgissa bezeugt ist. Ähnlich Faszinierendes bringt H. auch in seinen Untersuchungen über die Juden Zyperns und Siziliens oder die Inschriften der Synagoge von Sardis ans Licht.

Auch an Fragen der oft verwirrenden Rezeptionsgeschichte biblischer Texte und Motive zeigt sich H. immer wieder interessiert: Ein Beispiel hierfür ist etwa der Beitrag ðHis Days Shall be One Hundred and Twenty YearsÐ: H. stellt hier, beginnend mit der LXX, die Rezeption von Gen 6,3 im frühen Judentum und Christentum dar. Dabei wird nicht nur die Vielfalt spätantiker Interpretationen des schwierigen Textes illustriert, es kommen auch interessante Verbindungslinien zwischen antiken jüdischen und christlichen Exegeten zutage.

Eine breite Rolle nimmt bei H. die Auseinandersetzung mit Philo von Alexandrien ein. Interessant ist z. B. sein Vergleich zwischen Philos In Flaccum und der kanonischen Apostelgeschichte: Er untersucht hier z. B. die sehr unterschiedlichen Porträts, die beide Autoren von Agrippa I. entwerfen, die aber in ihrer Struktur und Argumentation deutliche Parallelen zeigen ­ der entscheidende Unterschied besteht darin, dass dem Agrippa in der Apg die Rolle des Verfolgers Flaccus zugeschrieben ist: »The significant thing is that, according to Philo, king Agrippa is the opponent of the theomachos, where as according to Luke he is the theomachos himself who dies a death that is typical of many ðGottesverächterÐ, namely being Þ Ô , eaten by worms« (101).

Das große Interesse H.s an der Geschichte der Samaritaner illus triert der Beitrag »Anti-Samaritan Propaganda in Early Judaism«. Dabei geht H. von der bekannten polemischen Passage in 2Kön 17 aus, die bereits in ihren frühesten uns bekannten Interpretationen (zu Unrecht) als Zeugnis über den Ursprung der Samaritaner gelesen wurde (vgl. schon Josephus, Ant. 9,277­291; b.Qidd. 75b). Er zeigt, inwiefern Josephus¹ Bericht über den Bau des Tempels auf dem Garizim die Illegitimität des Kults auf dem Garizim darzustellen sucht. Dies habe nicht unbedingt mit Jerusalemer Bemühungen zur Kultzentralisation zu tun. H. verweist hier vielmehr auf Neh 13,28­29 und schließt: »This illustrates that the issue of mixed marriages of priests or members of the high-priestly families was more significant in dividing the people into ­ say ­ an Ezra-Nehemiah party and a pro-Samaritan party in Judea« (139). Weitere Zeugnisse antisamaritanischer Polemik findet H. im Martyrium Isaiae ­ ich wäre hier allerdings extrem zurückhaltend, was die Möglichkeit der Rekonstruktion einer derartigen Schrift aus der Ascensio Isaiae betrifft ­ den Paralipomena Jeremiae mit ihrer interessanten Darstellung des Ursprungs der Samaritaner, sowie natürlich in rabbinischer Literatur.

Dass er sich auch für die frühe Forschungsgeschichte zu den Samaritanern interessiert, beweist H. mit einem bisher unveröffentlichten Beitrag, in dem er die Darstellung der samaritanischen Geschichte durch Jacques Basnage (1653­1723) untersucht und zu überraschenden Ergebnissen kommt: Basnage habe sicherlich die Vorurteile und Begrenzungen seiner Zeit geteilt, in manchen Beobachtungen aber ein hohes Maß an kritischer Sensibilität gezeigt, so etwa bei seinen Überlegungen zum Originaltext von Dtn 27 oder in seiner Beurteilung antisamaritanischer Polemik. Bewundernswert sei auch seine Offenheit in der Frage nach Toleranz gegenüber der samaritanischen Religion und seine Quellenkenntnis.

In einer Reihe von Miszellen diskutiert H. Detailprobleme neutestamentlicher Textpassagen (z. B. zum Ôî ¤, in Mt 28,17, zum Verbum ༠¯ É in Lk 16,22 oder zum d ԉ in Röm 11,26). Immer wieder zeigt sich auch die Fähigkeit zur kritischen, z. T. unbequemen Auseinandersetzung mit anderen Forschungsmeinungen ­ so z. B. in der Diskussion um die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod bei Ps-Phocylides. Das Spektrum der übrigen Arbeiten reicht weit: H. beschäftigt sich mit der gleichen Akribie mit Critias von Athen (geb. Mitte des 5. Jh.s v. Chr.) wie mit der Bedeutung des großen Pariser magischen Papyrus (PGM IV) für das Verständnis der Bibel.

Damit sind nur kleine Teile dieses Werks vorgestellt: H. ist sicherlich kein Exeget, der sich allzu lange mit hermeneutischen Vorerwägungen aufhält, er steigt direkt in die Quellen ein und lässt Facetten der ungeheuer reichen Welt der Antike »lebendig« werden. Dabei wird mit großer Akribie vorgegangen ­ selbst die Lektüre der Fußnoten, die häufig vor Informationen bersten, ist lohnend. H.s Werk hat häufig wenig mit dem zu tun, was man üblicherweise im Rahmen des Fachgebietes »Exegese des Neuen Testaments« zu tun pflegt. In seinen Arbeiten aber wird immer wieder deutlich, wie fremd das uns häufig allzu vertraut Wirkende eigentlich ist ­ eine Erkenntnis, die hilft, das Neue Testament mit neuen Augen zu lesen.