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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

146-148

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Galor, Katharina, Humbert, Jean-Baptiste, and Jürgen Zangenberg [Eds.]:

Titel/Untertitel:

Qumran ­ The Site of the Dead Sea Scrolls: Archaeological Interpretations and Debates.

Verlag:

Proceedings of a Conference held at Brown University, November 17­19, 2002. Leiden-Boston: Brill 2006. X, 308 S. m. zahlr. Abb. 4° = Studies on the Texts of the Desert of Judah, 57. Lw. EUR 109,00. ISBN 90-04-14504-4.

Rezensent:

Roland Bergmeier

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Hirschfeld, Yizhar: Qumran ­ die ganze Wahrheit. Die Funde der Archäologie­ neu bewertet. Aus d. Engl. übers. v. K. H. Nicolai. Deutsche Bearb. v. J. Zangenberg. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006. 348 S. m. 136 Abb. u. Ktn. gr.8°. Geb. EUR 29,95. ISBN 978-3-579-05225-0.

Hirschfelds Buch, dessen amerikanische Originalausgabe 2004 un ter dem angemesseneren Titel »Qumran in Context. Reassessing the Archaeological Evidence« erschienen ist und nun in einer aktualisierten deutschen Ausgabe vorliegt, markiert, so zumindest Zangenberg in seiner Einführung (7­22), einen deutlichen Wendepunkt in der internationalen Forschung: Es interpretiert die materialen Befunde, ohne a priori von einer Verbindung oder Beziehung zwischen Siedlung, Schriftrollen und Essenern auszugehen (7). Von außen gesehen ist eher zu sagen: Es interpretiert die Befunde unter der Prämisse, dass eine Verbindung nicht besteht. Ob es dadurch zur »ganzen Wahrheit« gelangt, ist nicht entschieden. Solange die vollständige Übersicht über alle bei den Grabungen de Vaux¹ in Qumran und Ain-Feshka gefundenen Objekte in ihrem ursprünglichen archäologischen Kontext noch fehlt, bewegt sich die Debatte »auf allen Seiten auf recht dünnem Eis« (Zangenberg, 11). Wozu dann der marktschreierische Titel? Hirschfeld kritisiert de Vaux¹ unzulängliche bzw. unprofessionelle Grabungsmethoden (90.92) und legt im Anschluss an Humberts Chronologie ein neues Schema der Besiedlungsperioden Qumrans dar: »Die späte Eisenzeit (Stratum I)« (99­102), »Die hasmonäische Periode (Stratum II)« (102­132), »Die herodianische Periode (Stratum III)« (132­218) und »Qumran nach 68 n. Chr. (Stratum IV)« (218­223). Zu Stratum II und III äußert sich Hirschfeld auch im zweiten hier angezeigten Buch (= »The Site«), 223­239: »Qumran in the Second Temple Period ­ A Reassessment«, zu Stratum IV J. E. Taylor: »Khirbet Qumran in Period III« (133­146, III nach de Vaux¹ Zählung). Als Dependence von Qumran gilt Hirschfeld das Landgut von Ain-Feshka (241­270), die herodianische »villa rustica«, als Zentrum für Plantagen von Dattelpalmen und Balsamstauden. In deren »industriellem Komplex« wurden wohl Dattelwein, Dattelhonig und Balsamparfümessenz produziert. Wahrscheinlich bildete dann »Qumran das Zentrum der Parfümherstellung in der Region und war der Ort, von dem aus die Handelsgüter auf die Märkte in Judäa und anderenorts verteilt wurden« (270).

Die angesprochene Thematik wird in »The Site« kontrovers diskutiert von J. Patrich: »Agricultural Development in Antiquity: Improvements in the Cultivation and Production of Balsam« (241­248), M. Broshi and H. Eshel: »Was There Agriculture at Qumran?« (249­252), M. Bélis: »The Production of Indigo Dye in the Installations of Ain Feshkha« (253­261).

Die miteinander verwandten Anlagen von Khirbet Qumran und Ain-Feshka sind nach Hirschfeld im Kontext des allgemeinen Siedlungsbildes der Region am Toten Meer zu interpretieren (271­293; in »The Site«, 263­277, vgl. R. Bar-Nathan: »Qumran and the Hasmonaean and Herodian Winter Palaces of Jericho: The Implication of the Pottery Finds on the Interpretation of the Settlement at Qumran«): »Die Könige von Judäa, zuerst die Hasmonäer und später die Mitglieder der herodianischen Dynastie, gründeten am Toten Meer Paläste und Festungen und betrieben große Landgüter als Wirtschaftsunternehmen« (271). Im Schnittpunkt der Straßen von Jerusalem über Hyrkania und von Jericho nach En-Gedi wurde Qumran von den Hasmonäern als Fort gegründet. Architektonisch lässt es sich »als einen befestigten, rechtwinkligen, zweigeschossigen Komplex rekonstruieren, der mit einem großen, imposanten Eckturm ausgestattet war« (130). Seine Blüte aber erlebte der Ort in der herodianischen Periode als befestigtes Herrenhaus, Zentrum nicht einer jüdischen Sekte (was die Gemeinde der Qumrantexte ohnehin nicht war), sondern eines Landguts, das für die Parfümherstellung in der Region von Bedeutung war. Mit den Schriftrollen, sei es mit ihrem Inhalt, sei es mit ihrer Herstellung, hatte diese Anlage nichts zu tun. Allenfalls hat der Besitzer des Landguts beim Verstecken kooperiert und auch Krüge, in denen man einige der Schriftrollen fand, zur Verfügung gestellt, als Priester sadduzäischer Herkunft zwischen 66 und 68 n. Chr. Jerusalemer Bibliotheksbestände vor den Römern hierher in Sicherheit zu bringen versuchten. »Angesichts der gewaltigen Zahl von Schriftrollen lässt sich auch gut annehmen, dass eine ganze Karawane von Lasttieren nötig war, um sie nach Qumran zu transportieren« (309). Wer die Josephustexte zur Situation des Bürgerkriegs in Jerusalem kennt, kann sich über eine solche Theoriebildung nur wundern. »Wie steht es nun mit den Essenern?« (309). Sie gehörten wie andere jüdische Asketen wohl zum Siedlungsbild der Region am Toten Meer, konnten auf Plantagen wie denen von Qumran, Ain-Feshka, En-Gedi und Jericho ihren Lebensunterhalt verdienen. Aber sie hinterließen, so Zangenberg, »keine exklusiv mit ihnen in Verbindung stehenden materiellen Spuren« (16), es sei denn, dass, so Hirschfeld, die 200 m oberhalb des antiken En-Gedi gelegene Anlage, die er selbst 1998/99 ausgegraben hat, die essenische Asketenkolonie darstellt: »Die baulichen Überreste der Anlage entsprechen der Schilderung der Essenersiedlung bei Plinius« (301). Inakzeptabel wie diese Darlegungen ist die Schlussfolgerung, es gebe Quellenaussagen, die die Essener als Vegetarier bezeichneten (303, mit Anm. 88), so dass Ausgrabungsstätten mit Knochenfunden nicht essenischen Ursprungs sein könnten (155­159).

Mit den klassischen Quellen steht Hirschfeld auf Kriegsfuß. 1. Plinius, nat. hist. V,73, formuliert ausdrücklich, im Westen wichen die Essener von den Küsten zurück, soweit dieselben ungesund seien. Dann kann eine fruchtbare Oase wie En-Gedi schwerlich zwischen ihnen (»oberhalb von En-Gedi«, 297) und dem Toten Meer gelegen haben. 2. Bei Plinius ist nicht von einem Siedlungsort die Rede, sondern nur davon, dass am Toten Meer regional »im Wes ten die Essener« zu finden sind. 3. »Unterhalb von ihnen«, nicht von ihrem Wohnort, habe einmal die Stadt Engada gelegen, darauf (inde) folge die Festung Masada. Daraus ergibt sich nicht eine Bergab-, sondern eine Nord-Süd-Betrachtung (zum Verständnis von infra vgl. z. B. nat.hist.V,89). Die Behauptung von Hirschfeld (297), Plinius würde in einem solchen Fall a meridie schreiben, ist falsch, wie auch die Textbezüge, »dass Tarichea am See Genezareth »südlich von« Hippos und Bethsaida oder dass Arabien »südlich von« Machaerus liegt (297), falsch sind. In § 71 ist a meridie auf in lacum Š circumsaeptum oppidis, in § 72 auf proscipit eum (sc. Asphaltitem) zu beziehen. 4. Den Vegetarismus der Essener schöpft Hirschfeld (303, mit Anm. 88) aus »Porphyrius, De Abstinentia 4,3; Hieronymus, Contra Iovinianum 2,14«. Wahrscheinlich meint er de abst. IV,13, denn IV,3 bezieht sich auf die Spartaner. Will man nun wie Hieronymus aus der Porphyrius-Stelle IV,11­13 Enthaltung von Fleisch herauslesen, würde man allenfalls É ÔÊÉ ê Ôû d ¿ de abst. IV,12 anführen wollen. Wenn man IV,13 nennt bzw. meint, muss man Zellers Philosophie der Griechen III,2, 318 f., Anm. 7, zu Hilfe nehmen. Der erklärt, wenn Porphyr den Josephustext in seine Schrift aufnahm, hat er bei den Essenern wirklich die von ihm selbst geforderte Fleischenthaltung gefunden. Er deute dies auch IV,13 an. Nachdem er den griechischen Text im Übergang von IV,13 zu 14 zitiert hat, resümiert Zeller, gewisse Arten von Fleisch seien allen (sc. Juden), den Essäern sei das Fleisch überhaupt verboten. Diesen Satz fasst C. A. Skriver, Die Lebensweise Jesu und der ersten Christen, Bad Bellingen 1973, 24, fälschlich als Übersetzung und somit als Textbeleg auf. Und die Belegstelle ist bei ihm wie bei Hirschfeld de abst. »IV,3«. Da endlich Hieronymus den Porphyriustext, Porphyrius den Josephustext auslegt und dieser von Vegetarismus nichts weiß, ist die Tertiärquelle Contra Iovinianum 2,14 der einzige Text (geschrieben 393 n. Chr.), der expressis verbis essenischen Vegetarismus bezeugt. Sein Nebeneinander von vino et carnibus stammt wohl aus Röm 14,21 (man beachte das plurale ¤ !). Zur Beurteilung der Quellenfrage s. Ch. Burchard, Zur Nebenüberlieferung von Josephus¹ Bericht über die Essener Bell 2,119­161 bei Hippolyt, Porphyrius, Josippus, Niketas Choniates und anderen, in: Josephus-Studien, FS O. Michel, Göttingen 1974, 77–­96: 84–­86.

Insgesamt ist zu kritisieren, dass in Hirschfelds Buch die archäologischen Befunde einseitig mit der »Essenerhypothese« konfrontiert werden, ohne dass das Gemeindebild aus den Primärquellen kritisch mit einbezogen würde. Gleichwohl sind Hirschfelds Darlegungen auch anregend. Die Straße Jerusalem­Qumran z. B. führt von der Seite Jerusalems, an der sich das von Josephus genannte Essenertor befinde (30), in die Essener-Region des Plinius. Die von Hirschfeld beschriebene Nähe der Priesterfamilie(n), die Qumran besaß(en), zu Herodes schlägt eine unbeachtete Brücke zur herodianischen Verbundenheit mit den Essenern nach Josephus, ant. 15,378. Dass die Bewohner Qumrans die Gebote der rituellen Reinheit strikt befolgten, was die in der Anlage gefundenen Mikwen und Steingefäße vermuten lassen (308), führt vielleicht dann doch wieder zu dem auffälligen »Dort« zurück, wonach die Gemeinde der Qumrantexte mit ihrem tora-observanten Leben in der Wüste Ihm den Weg bereiten wollte (1QS 8,13). Dass die sachgemäße Deutung der archäologischen Befunde heute mehr denn je umstritten ist, tritt in dem zweiten hier angezeigten Buch deutlich zutage. Aber im Unterschied zu Hirschfelds Rede von der »objektiven Begriffssprache der Archäologie« (25) heben mehrere Teilnehmer am Diskurs hervor, dass archäologische Daten mehrdeutig sind, der Interpretation bedürfen und wie alles Historische nicht zu objektiven Ergebnissen führen (»The Site«, 19­39: J.-B. Humbert, »Some Remarks on the Archaeology of Qumran«, 19.29; 55­113: Y. Magen and Y. Peleg, »Back to Qumran: Ten Years of Excavation and Research, 1993­2004«, 113; 159­178: S. Pfann, »A Table Prepared in the Wilderness: Pantries and Tables, Pure Food and Sacred Space at Qumran«, 159). Zwei Beispiele sollen die Extreme der kontroversen Debatte markieren: Qumran das regionale Gottesdienst-Zentrum »for a Jewish sect living around the Dead Sea« (Humbert, 20.38) ­ »Qumran das Zentrum der Parfümherstellung in der Region« (Hirschfeld, 270). Ähnlich kontrovers: Nach Hirschfeld war die herodianische Periode bis zur Zerstörung 68 n. Chr. nach Baumaßnahmen und Wohlstandsmerkmalen die wichtigste, nach Magen und Peleg gab es kaum bauliche Veränderungen (107). »During the first century C. E., the site suffered from considerable neglect and was turned into a pottery factory« (110).