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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

256–258

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Penner, Todd C.

Titel/Untertitel:

The Epistle of James and Eschatology. Re-reading an Ancient Christian Letter.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1996. 331 S. gr.8° = Journal for the Study of the New Testament. Suppl. Series, 121. Lw. £ 53.­. ISBN 1-85075-574-4.

Rezensent:

Christoph Burchard

Als die Literaturflut den Jakobusbrief erreichte, statusgerecht verzögert, kamen zuerst die Aufsätze. Inzwischen mehren sich die Monographien, meist aufgrund von Dissertationen (unter den älteren deutschsprachigen ist eine, die den Druck auch gelohnt hätte: Klaus Kurzdörfer, Der Charakter des Jakobusbriefes. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen von A. Meyer und M. Dibelius, Tübingen 1966, Doktorvater Ernst Käsemann). Auch Penners Buch scheint so entstanden zu sein (bei L. Hurtado an der University of Manitoba, Kanada). Es ist aber keine Spezialuntersuchung, sondern eine literarische und theologische Neuinterpretation des ganzen Briefes, die zudem ein Beitrag zur Geschichte der Anfänge des Christentums sein soll. Von ihr geht P. aus (Kap. 1: Introduction: Christian Origins and the Epistle of James, 15-32), auf sie kommt er im Schlußkapitel zurück. Dazwischen geht es um Jakobus.

Kap. 2 (James in Contemporary Research: Caveats and Criticisms, 33-120) bespricht kritisch die Forschungstendenzen, die dazu geführt haben, Jak in einem diasporajüdisch geprägten, nachpaulinischen Milieu außerhalb Palästinas zu verorten und als paränetische Sammlung aufzufassen: die angeblich im palästinischen Judenchristentum undenkbare Sprache, die direkte oder indirekte Abhängigkeit von Paulus, die traditionsgeschichtliche Zuordnung zum griechischsprachigen Diasporajudentum, die Betonung weisheitlicher Züge zum Schaden der prophetisch-eschatologischen. Mit der Grundrichtung der Kritik (nicht allen Konsequenzen) wären heute viele einverstanden, nur nicht was Paulus angeht. Aber gerade hier hat P. wohl recht. In 2,14-26 und anderswo kritisiert Jak nicht Paulus oder Paulinismus, authentischen oder verzerrten, sondern eine endogene Fehlhaltung, und die Berührungen mit Paulus erklären sich durch gemeinsame Tradition; deshalb ist 2,14-26 auch nicht das Zentrum des Briefes (vgl. unabhängig von P. gegen die Mehrheitsmeinung jetzt auch Matthias Konradt, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief, Diss. theol. Heidelberg 1996, im Druck).

Im übrigen zieht P. auch nicht den Umkehrschluß, daß mit seiner Kritik frühes Datum, palästinischer Ursprung und Echtheit des Briefes bewiesen seien (er behauptet auch nicht, daß Paulus Jak unbekannt gewesen sei), sondern folgert nur, daß eine Neuuntersuchung in der Gegenrichtung angebracht ist.

Kap. 3 (The Eschatological Framework of the Epistle of James, 121-213) ist der Kern des Buchs. Er verbindet eine literarische Analyse mit einer theologischen. P. gliedert Jak in den brieflichen Rahmen 1,1; 5,13-20 und den Hauptteil 1,2-5,12 dazwischen, mit 1,2-12 als "summarizing exposition" (nach Hermann von Lips, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, 1990, 422-427) und 4,6-5,12 als korrespondierendem Schlußteil (daß P. 5,7-12 vom Briefschluß trennt, ist ungewöhnlich und leuchtet mir noch nicht ein). In Exposition und Schlußteil dominiert nach P. die Warnung vor dem nahen Gericht. Was dazwischen steht, ist im Licht dieses "eschatological framework" zu lesen; 1,13-4,5 stellt mit seinen Mahnungen zu Standhaftigkeit, Vollkommenheit und ungespaltener Gesinnung die "Weisheit von oben" (1,5; 3,13-15) dar, die die Adressaten gemeinsam durch das Gericht hindurchführt. "The Epistle of James may be regarded as a paraenetic letter of community instruction ... for the people living in the ’last days’, awaiting the imminent return of the Judge, and desiring to be found perfect and complete at the time of judgment" (212).

Kap. 4 (The Epistle of James in the Context of Early Jewish and Christian Texts, 214-256) soll bestätigen. Der gemeinte Kontext besteht vor allem aus 1QS und der Logienquelle. Sie verbinden nach P. ähnlich wie Jak Gemeindeunterweisung mit einem eschatologischen Horizont und zeigen, daß "the relationship between eschatology and ethics in James is related to a wider pattern of early Christian and Jewish religious expression and development" (214), das in nachexilischer Weisheit und Prophetie wurzelt und keineswegs spezifisch diasporajüdisch ist.

In Kap. 5 (Conclusion: The Epistle of James and Christian Origins, 257-281) kommt P. nach einer Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse (257-259) mit drei Überlegungen auf seine Ausgangsperspektive zurück. Die übliche Frage, ob Jak dem Herrenbruder zuzutrauen ist oder nicht, läßt P. außen vor (vgl. 263 f.). Statt dessen: a) Jak berührt sich mit 1QS, der Logienquelle, Paulus und Matthäus, ohne von ihnen abhängig zu sein (oder umgekehrt). Das erklärt sich bei frühem Datum und in Palästina besser als bei spätem in der westlichen Diaspora. b) Daß Christus nur an wenigen Stellen und da vor allem in der Funktion des Richters, die eigentlich Gottes ist, erscheint, ist ebenfalls ein früher Zug. c) Jak repräsentiert ähnlich wie Matthäus eine judenchristliche Gruppierung, die ihr eigenes Recht praktiziert (P. deutet 2,2-4 mit R. B. Ward, Partiality in the Assembly: James 2:2-4, HThR 62, 1969, 87-97, als Gerichtssitzung, was ich nicht sehe), aber noch innerhalb des Judentums steht ("a sectarian Jewish group", 270), und im Streit liegt mit einer jüdischen Gruppe, die sich hinter "den Reichen" verbirgt, was nach P. eine eher kontroverstheologische als soziologische Kategorie ist. "In the light of this evidence it is tentatively suggested that the proposition that the Epistle of James arises out of the situation of early Christian communities in Palestine at the middle of the first century CE be considered as a serious option in the situating of this letter" (277). Jak wäre dann kein Außenseiter und stünde dem, was Jesus wollte, nicht ferner als Logienquelle, Synoptiker und andere, die sich auf ihn beriefen.

So weit, so gut: Abgesehen von zahllosen Akzentfehlern ist das Buch methodisch besonnen, ausführlich dokumentiert (man erfährt eine Menge über die englischsprachige Jakobusliteratur) und angenehm im Ton. Man sollte P. hören. Aber es fehlt die altera pars, woraus er auch keinen Hehl macht. Das Register zeigt es schnell (die einschlägigen 322-324 sind nicht ganz aus Versehenungereimt aufgebaut, Philo z. B. erscheint unter "Qumran", "Christian Autors" enthält auch die wenigen paganen, darunter Papyri Oxyrhyncus). Angesichts der Beziehungen des Briefes zu Philo, Josephus und der Popularphilosophie einerseits, zu 1Pet oder Hermas andererseits ist P.s "serious option" doch wohl nur ein respektables, nützliches caveat, und Jak bleibt mit der (heute) konservativen Kritik ein Pseudepigraphon aus den letzten Jahrzehnten des 1. Jh.s, d. h. nicht aus Palästina (so zuletzt auch z. B. Matthias Ahrens, Der Realitäten Widerschein oder Arm und Reich im Jakobusbrief, 1995; Martin Klein, "Ein vollkommenes Werk". Vollkommenheit, Gesetz und Gericht als theologische Themen des Jakobusbriefes, 1995; Manabu Tsuji, Glaube zwischen Vollkommenheit und Verweltlichung. Eine Untersuchung zur literarischen Gestalt und zur inhaltlichen Kohärenz des Jakobusbriefes, 1997; Konradt, die P. nicht kennen konnte).