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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

112-114

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wendt, Reinhard [Hrsg.]: An Indian to the Indians? On the Initial Failure and the Posthumous Success of the Missionary Ferdinand Kittel (1832­1903).

Titel/Untertitel:

An Indian to the Indians? On the Initial Failure and the Posthumous Success of the Missionary Ferdinand Kittel (1832­1903).

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2006. 354 S. gr.8° = Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika). Studies in the History of the Non-Western World, 9. Kart. EUR 68,00. ISBN 978-3-447-05161-3.

Rezensent:

Friedrich Huber

Ferdinand Kittel gehört zu den Missionaren, deren Name in ihrer Heimat nahezu unbekannt ist, während sie im Land ihres missionarischen Wirkens auch 100 Jahre nach ihrem Tod noch einen hohen Bekanntheitsgrad genießen. In Karnataka werden über Ferdinand Kittel Bücher und wissenschaftliche Arbeiten geschrieben, Bildungseinrichtungen sind nach ihm benannt, und im Jahr 2002 enthüllte der Ministerpräsident von Karnataka in der Hauptstadt Bangalore eine Statue Ferdinand Kittels. Über die Bedeutung Kittels in Karnataka informiert ausführlich der Aufsatz »Kittel in Modern Karnataka« von Majan Mulla, mit dem der hier angezeigte Band schließt (329­354). Die Hochschätzung in Karnataka gilt allerdings weniger dem Missionar als dem Sprachforscher Kittel.

Der Band vereinigt Beiträge zu einem Symposion, das im Mai 2003 unter dem Titel »Ferdinand Kittel (1832­1903) and the Cultural Dialogue with India« in Stuttgart durchgeführt wurde. Vom »Cultural Dialogue« ist in den Beiträgen allerdings weniger die Rede, weshalb es sachgemäß war, den Titel des Buches stärker auf die Person von Ferdinand Kittel zu konzentrieren. Aspekte seines Schaffens werden behandelt und in den weiteren Kontext des Wirkens der Basler Mission und der abendländischen Geistesgeschichte gestellt.

Besonders hervorzuheben ist das große Eingangskapitel von Reinhard Wendt (9­110). In den hier abgedruckten Dokumenten tritt in höchst eindrücklicher Form die Gestalt Kittels vor Augen, seine Erfahrungen bei der missionarischen Tätigkeit, seine Auseinandersetzung mit der Leitung der Basler Mission, besonders mit »der Committee« und dem Inspektor Joseph Josenhans, seine unkonventionellen Vorstellungen von missionarischem Wirken in Indien, deren Verwirklichung von der Missionsleitung in schärfster Form untersagt wurde, und schließlich seine intensive Beschäftigung mit Religion, Sprache und Literatur. Dabei wird deutlich, dass Kittel »distanced himself from the European pietistic missionary milieu, without ever leaving it completely behind« (11), worauf vielleicht auch das Fragezeichen hinter dem Titel des Buches hinweisen soll.

Einen Überblick über Kittels Wirken in Indien bietet Majan Mulla (111­129). Sehr weit holt S. D. L. Alagodi bei seinen Ausführungen über die Basler Mission in Mangalore aus (131­164). Bis zum Ersten Weltkrieg genossen die Missionare nachhaltige Unterstützung von Seiten der englischen Kolonialbeamten, die dann allerdings in Misstrauen und Ablehnung umschlug. Besondere Beachtung verdient die Haltung der Basler Mission zur Kastenordnung, eine Frage, die unter den Missionaren in Indien für viel Diskussion und Streit sorgte. Die Basler Mission verlangte von den Christen eine uneingeschränkte Aufgabe aller Kastenvorbehalte. Zu hinterfragen ist die Bemerkung, dass nach hinduistischer Tradition die vier varnas von den Teilen Brahmas hergeleitet werden, vermutlich eine Anspielung auf den bekannten Purusha-Hymnus in Rig Veda X, 90 (141). Unter dem Stichwort »dialogue between religions« behandelt K. S. Shivanna die Gespräche von Basler Missionaren mit hinduistischen Gesprächspartnern (165­193). Um Dialoge im heutigen Sinn handelt es sich dabei freilich nicht. Shivanna zeigt auf, dass sich die Gesprächslage durch das Aufkommen der neohinduistischen Reformbewegungen im letzten Viertel des 19. Jh.s signifikant änderte, wobei deren Entstehung ­ jedenfalls zum Teil ­ auf die Begegnung mit den Missionaren zurückzuführen sein dürfte. Die teilweise recht leidvolle Beziehung von Ferdinand Kittel zur Leitung der Basler Mission ist das Thema der Aufsätze von Paul Jenkins und Thorsten Altena. Jenkins (195­209) macht deutlich, dass Kittel in dieser Hinsicht nicht allein stand. Kittels Position wurde gestärkt durch das Interesse, das indische und englische Instanzen seinen Sprachforschungen entgegenbrachten. Zudem schien »die Committee« mehr Sinn für die Arbeiten Kittels zu haben als der Inspektor Schott, der Kittels erneuten Aufenthalt in Indien nicht genehmigen wollte, aber überstimmt wurde. Altena geht der Frage nach, warum Kittel bei der Basler Mission so wenig Anerkennung fand (211­230), wobei freilich der Ausdruck einer »damnatio memoriae« (213) reichlich übertrieben ist. Auch die Hinweise auf Kittels geographischen, bildungsmäßigen und religiösen Hintergrund müssten in ihrer Tragweite überprüft werden. Wurde in Basel wirklich eine »personal epiphany« (214/215) verlangt? Dass Kittel im Kreis der Missionare ein Außenseiter blieb (235), ist zwar richtig, es darf aber auch manche Zustimmung von Seiten seiner »Missionsbrüder« nicht außer Acht gelassen werden. Den weitesten Rahmen spannt Matthias Frenz, der Kittels Begeisterung für Sprachen in den Zusammenhang der abendländischen Geistesgeschichte stellt (301­311), wobei er auf die Verbindung von Aufklärung und Pietismus weist. Allerdings: Die Aussage, dass die Missionare »always closely in touch with the European Zeitgeist« (S. 306) waren, bedürfte der Spezifizierung.

Mehrere Aufsätze des angezeigten Bandes befassen sich mit einzelnen Arbeiten Kittels und mit seiner Beschäftigung mit indischer Kultur. Katrin Binder analysiert Kittels Darstellung des Lebens und der Botschaft Jesu anhand einer Übersetzung bzw. Nacherzählung ausgewählter Texte des Neuen Testaments (231­253). Binder gibt eine ausführliche Inhaltsangabe von Kittels Buch im Vergleich mit dem literarischen Vorbild, den »Zwey mal zweyundfünfzig biblische[n] Geschichten für Schulen und Familien« von Christian Gottlob Barth. Folgerungen für die Intention Kittels werden freilich kaum gezogen (vgl. aber 243), weshalb es sich fragt, ob diese Inhaltsangabe nötig gewesen wäre. Wichtiger sind die Hinweise auf Elemente der hinduistischen Vorstellungswelt, die Kittel einbezieht (239.247.248). Rolf Hocke bespricht Kittels Beziehung zu Singen und Musik und den Niederschlag, den dieses spezielle Interesse in Kittels Sammlung von Kinderliedern und besonders in seinen Vorschlägen zur Missionsmethode (293­298; vgl. dazu 70­73) gefunden hat. Sehr aufschlussreich sind Hockes Bemerkungen zum Verhältnis von Ästhetik und Mission und zur Bedeutung von Liedern in Indien. Eine knappe, aber instruktive Einführung in einige Formen der kanaresischen Musik bietet Hannibal Cabral (255­264) und Srinivas Havanur stellt Kittels Beiträge zu Indologie und dravidischer Sprachforschung dar (313­328), wobei er über die gelegentlich recht abwertenden Schlussbemerkungen Kittels, in denen dieser die Unterlegenheit des Hinduismus gegenüber dem Christentum betont, mit souveräner Großzügigkeit hinweggeht. Sehr zutreffend ist Havanurs Formulierung, dass Kittel »was obsessed with words« (321).

Reinhard Wendt weist in seiner Einführung bescheiden darauf hin, dass auch nach dem hier vorgelegten Band die »Würdigung Ferdinand Kittels lückenhaft« bleibt (7). Das ist bei einem Symposion-Band, der ja keine umfassende Biographie bieten will, auch nicht anders zu erwarten. Jedenfalls vermitteln die im vorliegenden Buch gesammelten Arbeiten eindrucksvolle Aspekte des Wirkens und Denkens von Ferdinand Kittel, und sie zeigen Gesichtspunkte des Hintergrundes auf, von dem her Kittel zu verstehen ist.