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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

108-110

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Harms, Ludwig:

Titel/Untertitel:

In treuer Liebe und Fürbitte. Gesammelte Briefe 1830­1865. 2 Teilbde

Verlag:

Bearb. v. H. F. Harms u. J. Reller nach Vorarbeiten v. H. O. Harms. Münster: LIT 2004. Teilbd. 1: Einleitung und Briefe 1830­1859. 630 S. m. Abb. gr.8°; Teilbd. 2: Briefe 1860­1865. Münster: LIT 2004. 597 S. m. Abb. gr.8° = Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-luth. Missionswerkes in Niedersachsen. 12. Geb. EUR 59,90. ISBN 3-8258-7982-8.

Rezensent:

Peter Zimmerling

Pastor Ludwig Harms (1808­1865) gehörte zu den prägenden Gestalten der norddeutschen konfessionellen Erweckungsbewegung des 19. Jh.s. Er begründete 1849 die damalige Missionsanstalt in Hermannsburg bei Celle, deren Erbe das Evangelisch-Lutherische Missionswerk in Niedersachsen weiterträgt.

Die beiden voluminösen Bände eröffnen einen besonderen Zugang zu H.: Sie zeigen ihn als Briefschreiber. Aus Berichten von Zeitgenossen geht hervor, dass er ein sehr fleißiger Schreiber gewesen sein muss: Pro Jahr hat H. im Schnitt mindestens 3000 Briefe verfasst. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass er im Laufe seines Lebens insgesamt 50000 Briefe, andere, dass er sogar 70000 Briefe geschrieben hat (Bd. 1, 63). Auch wenn man zu berücksichtigen hat, dass es zu H.s Lebzeiten noch kein Telefon, erst recht kein Internet gegeben hat und auch das interkontinentale Reisen äußerst beschwerlich war, man also auf den Brief als primäres Kommunikationsmittel angewiesen war, liegt diese Leistung doch weit über dem Durchschnitt. Die »Gesammelten Briefe« enthalten insgesamt 830 Briefe; abgesehen von Kindheit und Jugendzeit stammen sie aus allen Lebensphasen H.s (Bd. 1, 67). Die beiden Bände dokumentieren sämtliche gefundenen Briefe von H., von denen bisher nur die Hälfte veröffentlicht worden ist: entweder in der von seinem Bruder Theodor Harms herausgegebenen Briefausgabe von 1879 oder verstreut an den unterschiedlichsten Orten. Die vorliegende Briefausgabe stellt somit auch im Hinblick auf die Quellenlage einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem bisher zugänglichen Bestand an Briefen dar. Die beiden Herausgeber halten es dabei für möglich, dass trotz bisheriger intensiver Suche in Zukunft vereinzelt noch weitere Briefe von H. auftauchen können (Bd. 1, 6).

Da H. außerhalb der Hannoverschen Landeskirche heute weithin unbekannt ist, haben die Herausgeber gut daran getan, der Briefedition eine biographische Skizze von H. voranzustellen (Bd. 1, 13­34). Sie führt in die wichtigsten Stationen seines Lebens ein: Kindheit und Jugend, Kandidatenzeit, Hilfspredigerzeit in Hermannsburg bei seinem Vater, die Zeit als Pastor und Missionsgründer in Hermannsburg und das Krankheits- und Todesjahr 1865. Daraus ergeben sich die wesentlichen Aspekte seines Wirkens (Bd. 1, 21­34): Gemeindepastor, Missionsgründer, Seelsorger, Missionsleiter, Missionsverwalter, Kirchenmann, Autor. Schon diese wenigen Stichworte lassen die Bedeutung von H. erahnen. H. wirkte nicht nur im Dorf Hermannsburg, sondern von Lauenburg in Schleswig-Holstein über Hamburg und ganz Nordwestdeutschland bis nach Hessen. Z. B. predigte er am 29.5.1861 in Marburg vor ca. 7000 Menschen, unter denen 200 Pfarrer waren. In volkstümlicher Predigt vermochte er große Teile der Landbevölkerung in ihren Alltagsproblemen mit dem Evangelium anzusprechen. Bis heute gibt es eine Reihe von Gemeinden vor allem der Hannoverschen Landeskirche, die durch H. entscheidend geprägt wurden. Weit über Deutschland hinaus bekannt wurde H. durch die Gründung der Hermannsburger Bauernmission, deren bedeutendstes Missionsfeld Südafrika war. Ein wesentliches Charakteristikum dieser Mission bestand darin, dass die in Hermannsburg in der Missionsschule ausgebildeten hauptamtlichen Missionare zusammen mit Kolonistenfamilien ausgesandt wurden, die für den Lebensunterhalt zuständig waren. Dadurch konnten die Spenden für die Missionsarbeit auf ein Minimum reduziert werden.

Aus den Wirkungsfeldern H.s ergibt sich der weit gespannte Adressatenkreis der Briefe (Bd. 1, 63 ff.): ehemalige Schüler in Lauenburg und Lüneburg; Kreise der Erweckungsbewegung vornehmlich in Norddeutschland; in- und ausländische Missionsgesellschaften; Adressaten im Zusammenhang mit der Hermannsburger Mission: Missionsfreunde/Spender, Missionare vor allem in Südafrika, Indien, Australien und Neuseeland; Amtsbrüder im In- und Ausland; kirchenleitende Behörden. Je nach Adressat wechseln die Gattungen der Briefe: die einfache Mitteilung wichtiger Fakten in Form des Missionsgeschäftsbriefs; Rundbriefe an Erweckte; Dankesbriefe für Missionsspenden; vertrauliche seelsorgerliche Briefe; amtliche Briefe z. B. an Kirchenbehörden. Dass dabei die Gattungen ineinander übergehen, ist natürlich, aber für H. als Briefschreiber besonders charakteristisch: So versichert er in Missionsgeschäftsbriefen die Adressaten seiner Fürbitte und vergisst nicht, ihnen den Segen Gottes zuzusprechen (z. B. Brief vom 5.10.1850). Häufig enthalten Dankesbriefe für Missionsspenden seelsorgerliche Passagen.

Im Folgenden sei exemplarisch kurz auf die Gattung der Seelsorgebriefe eingegangen. Der den Briefen beigegebene Artikel von Hans Otto Harms »Louis Harms als Seelsorger (mit besonderer Berücksichtigung seiner Briefe)« (Bd. 1, 35­60) bietet hierzu einen ersten instruktiven Einstieg. In diesen Briefen erweist sich H. als Vertreter der klassischen Seelsorgetradition. Angesichts der Diskussion um die Zukunft der kirchlichen Seelsorge in der Gegenwart bin ich der Überzeugung, dass eine stärkere Zurkenntnisnahme der klassischen Seelsorge helfen würde, dem zukünftigen seelsorgerlichen Handeln sowohl einen Zugewinn an seelsorgerlichen Mitteln und Möglichkeiten als auch an Profil zu verschaffen. H. war durch seine Lebensführung für die Seelsorge besonders begabt: »Ein seit der Lauenburger Zeit durch Krankheiten, aber auch durch die langen Jahre beruflicher Unklarheit heimgesuchter und gereifter Mann hat offenbar auch besondere Gaben seelsorgerlichen Verstehens für andere in Not Geratene« (Bd. 1, 68). Dazu kamen seine Erfahrungen aus einer langjährigen Gemeindearbeit, die sich vor allem durch eine Vielzahl von Hausbesuchen auszeichnete. H. war der Überzeugung, dass die spezielle Seelsorge für die Gemeindearbeit so wichtig wäre wie die Predigt (Bd. 1, 35).

Dabei vertrat er einen engeren Seelsorgebegriff: Obwohl seine Briefe durchaus auch die Dimension der Beratung erkennen lassen, besteht für ihn doch das primäre Ziel der seelsorgerlichen Begleitung darin, Menschen zu ihrer »Seelen Seligkeit« zu verhelfen. An den Briefen wird eine Reihe von Merkmalen seiner Seelsorge sichtbar: Herausragende Seelsorgemittel waren Bibel und Choral, wobei er selbst mit beiden lebte und auch bei den Adressaten damit rechnen konnte, dass diese in Bibel und Gesangbuch zu Hause waren (z. B. Bd. 1, 608). Kaum ein Brief schließt ohne das Versprechen der Fürbitte (Bd. 1, 594) und den Zuspruch eines persönlichen Segens (Bd. 2, 532). Schließlich fällt auf, dass alle Briefe vom Ton väterlicher Liebe geprägt sind. H. liebte die Menschen und versuchte, ihnen eine Brücke zu Gott zu bauen. Dabei war Gott selbst für ihn der entscheidende Hauptakteur in der Seelsorge. In einem pastoraltheologischen Brief an einen Amtsbruder schreibt er: »Und bei den Krankenbetten und Hausbesuchen gar keine Theorie, was noth ist, wird und muss der HErr dem Beter geben, und mit Gebet müssen Sie hingehen, dann macht sich Alles von selbst, oder vielmehr der HErr macht Alles, und der macht Alles gut; was man selbst macht, ist Alles dummes Zeug« (Bd. 1, 298). Eine Grenze der Seelsorge von H. besteht ­ einmal abgesehen von der patriarchalen Grundstruktur seines Denkens ­ darin, dass er bei anderen Menschen die gleiche Hingabe an die Sache des Evangeliums voraussetzt, die er selbst erkennen lässt.

Auch in formaler Hinsicht lässt die Briefedition keine Wünsche offen: Sie enthält eine Reihe von Illustrationen, die einen guten Einblick in die Welt H.s eröffnen. Vor allem aber erleichtern verschiedene Anhänge und Register, dass die Briefe bequem wissenschaftlich ausgewertet werden können: Dazu gehören ein biographischer Anhang, ein Sachregister, ein geographisches Register, ein Register der Personen und Institutionen und ein Register der Briefkorpora.