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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

253 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jones, Ivor H.

Titel/Untertitel:

The Matthean Parables. A Literary and Historical Commentary.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. IX, 602 S. gr.8° = Supplements to Novum Testamentum, 80. Lw. hfl. 268,-. ISBN 90-04-10181-0.

Rezensent:

Hans-Theo Wrege

Der Vf. gibt sich im Vorwort als Schüler von Günther Bornkamm zu erkennen, weiß sich aber gleichzeitig den guten Geistern der englischen NT-Exegese verpflichtet. Bezüglich der Evangelienforschung reiht er sich in einen Prozeß der "Verfeinerung" der methodischen Maßstäbe bei der Unterscheidung von Tradition und Redaktion ein (8 ff., 11 ff.). Neben der Wortstatistik, die der Vf. keinen Augenblick vernachlässigt, ist darum die Frage zu bearbeiten, ob der Redaktor bestimmte Verbindungen einzelner Worte zu Redewendungen bzw. grammatikalischen Figuren bevorzugt oder vermeidet, bzw. ob diese geläufigen Wendungen als solche schon zum Stil der Textsorte "Gleichnisse" oder der Gattung Evangelium gehören. Ebenso muß die Rolle z. B. des Gen.absol., der Partizipien, der Aufbau und die Vernetzung der Wortfelder sowie deren Zuordnung zu bestimmten inhaltlichen Motiven berücksichtigt werden. Die Redaktionsarbeit kann damit unter zwei verschiedenen Vorzeichen gesehen werden: Denn die Frage stellt sich jeweils, ob der Redaktor eher eine konventionelle Sprache bevorzugt, oder ob er sich von dieser durch betont individuelle Kreativität zu unterscheiden trachtet (9)? Je mehr aber konventionelle bzw. traditionelle Sprachelemente auf der Ebene der Mikrostrukturen bei der Bestimmung der Redaktion berücksichtigt werden, um so weniger läßt sich Redaktionsarbeit objektiv kenntlich machen (13.15) ­ ein früher Hinweis darauf, daß der Vf. in seinen Einzelexegesen von der Qualifikation einer synoptischen Aussage als redaktionell vergleichsweise sparsamen Gebrauch machen wird.

Überhaupt bedürfen die Kriterien für die Redaktionsarbeit der Synoptiker einer umfassenden Überprüfung (11 f.) im Hinblick auf die Frage, ob und wieweit in diese Kriterien Elemente von übergreifenden (Quellen-)Theorien eingegangen sind, die ihrerseits einer weiteren Klärung bedürfen (12). Denn: "Wir können nicht sicher sein, daß Matthäus unseren kanonischen Markus benutzte, ebensowenig können wir sicher sein, welchen Text von Q er benutzte, wenn es je ein identifizierbares Q gegeben hat" (16). "As far both Mark and Q are concerned it appears likely that Matthew was using source material which was still being shaped by the process of tradition, so that we are hardly ever in a position to make clear-cut judgments about the form in which Matthew received the sources, or to argue, as the pioneers of redaction criticism did, from precise sources to redactional contributions" (30).

Die 2-Quellen-Theorie wird also vorausgesetzt, jedoch nicht als sakrosanktes "Dogma". Der Vf. geht mit Q im Grunde um wie mit einer Fatamorgana, deren Bild ihn von ferne fasziniert, das sich aber der Konkretisierung und Annäherung entzieht.

Als Beispiel sei hier auf die exegetische Behandlung des Gleichnisses von den Talenten Mt 25,14-30/Lk 19,12-27 hingewiesen (463-480): Zunächst wird die Mt-Fassung in 4 "Sektionen" aufgeteilt: I-Mt 25,14 f. (unter dem Einfluß von Mk 13,34f. formuliert); II-Mt 25,16-18 (eine Erweiterung von I, die aber kaum erst auf Mt selbst zurückgeht); III-Mt 25,19 ff. (hier sind die sprachlichen Anklänge an Lk 19,15 ff. besonders eng, so daß Q Einfluß anzunehmen ist); IV-Mt 25,26 ff. (Erweiterung von III, notwendig als Abschluß des Erzählfadens des Gleichnisses unter Verwendung von Q-Material). Kern und Ausgangspunkt der Genese dieses Gleichnisses liegt für den Vf. in Section III. Die Kombination von Mk (I) und Q (III) bezeichnet er als vor-mt (480). Der Ausbau des Erzählfadens ist zugleich ein Stück seiner Selbstinterpretation: as a rising crescendo moving toward the Final Judgment (ebd. mit Verweis auf Mt 25,14 ff.).

Über Einzelergebnisse hinaus scheint mir diese Arbeit darin anregend zu sein, daß sie die Redequelle Q nicht als ein End-, sondern als ein Durchgangsstadium des Traditionsprozesses ansieht, was für den Vf. zur Folge hat, daß er sich hinsichtlich dieser Quelle auf die Bereiche offensichtlicher Übereinstimmungen zwischen den Mt/Lk-Texten beschränken kann. So werden die mühsamen Suchprozesse nach einem Mt und Lk in identischer Form zugrundeliegenden Q-Text dort vermieden, wo die Mt/Lk-Texte deutlich voneinander abweichen, und wo diese Divergenzen Rekonstruktionen veranlassen, deren exegetische Konsensfähigkeit in der Regel gering bleibt.

Diesen Vorzügen stehen m. E. aber auch bemerkenswerte Schwächen gegenüber. So z. B. muß der Vf. immer wieder Hypothesen über vorredaktionelle Gleichnissammlungen (z. B. 430 ff.) ins Spiel bringen, die im Rahmen seiner Argumentation zwar ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit gewinnen, aber aus Höflichkeit dem Leser gegenüber doch im Konjunktiv formuliert sind.

Die Arbeit schließt mit einem ’Appendix’, in dem Wortstatistik und grammatikalische Mikrostrukturen in vorbildlicher Übersichtlichkeit tabellarisch dargeboten werden (482 ff.). ­ Insgesamt liegt ein sehr bedeutsamer Brückenschlag zwischen der englisch- und der deutschsprachigen Synoptiker-Exegese vor.