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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

83-85

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Fetzer, Joachim:

Titel/Untertitel:

Die Verantwortung der Unternehmung. Eine wirtschaftsethische Rekonstruktion.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2004. 416 S. m. Abb. 8° = Lenken. Leiten. Gestalten, 14. Kart. EUR 39,95. ISBN 3-579-05306-X.

Rezensent:

Alexander Dietz

Mit der Untersuchung »Die Verantwortung der Unternehmung« schließt F. eine Lücke in der (spärlichen) theologischen Literatur zur Unternehmensethik. Er fragt, unter welchen Bedingungen die ­ faktisch zunehmende ­ Rede von Unternehmensverantwortung überhaupt sinnvoll sein könne. Traditionell werde der Verantwortungsbegriff mit individuellen Akteuren verbunden (darum gibt es in der Bundesrepublik kein Unternehmensstrafrecht). Daraus folge jedoch, dass in unserer heutigen arbeitsteiligen Gesellschaft mit ihren komplexen Handlungsketten und Entscheidungssituationen jegliche spezifische Verantwortung zu verschwinden drohe. Insofern ist die Frage interessant, ob auch Unternehmen als Verantwortungssubjekte wahrgenommen und angesprochen werden können.

Zunächst analysiert F. sehr sorgfältig die Begriffe »Unternehmen« und »Verantwortung«. Ausgehend von der Organisationstheorie definiert er Unternehmen ­ sehr weit ­ als »identifizierbare Organisationen, d. h. durch Mitgliedschaft bzw. mitgliedschaftsanaloge Mechanismen abgrenzbare Interaktionssysteme, die mit Zielsetzungen verknüpft sind, welche aus Bedürfnissen außerhalb der Organisation erwachsen« (68). Der relativ junge Begriff der Verantwortung sei vielschichtig (soziale, rechtliche, ökonomische usw. Verantwortung) und habe das Potenzial zum Integrationsbegriff, der verschiedene ethische Ansätze bündeln könne. Gleichzeitig sei er leider auch anfällig für belanglose Appelle, insbesondere dann, wenn nicht die Notwendigkeit beachtet werde, dass stets ein konkretes Verantwortungssubjekt, ein konkretes Verantwortungsobjekt sowie eine sinnvoll begrenzte Verantwortungsreichweite benannt werden müssten.

Die Anwendung des Verantwortungsbegriffs auf Unternehmen sei, so F., notwendig, damit dieser Begriff seine traditionelle Funktion in der wirtschaftsethischen Diskussion erfüllen könne (um z. B. das Verursacherprinzip in solchen Fällen anwendbar zu machen, in denen Unternehmensverhalten die nichtintendierte Folge verketteter Einzelhandlungen ist). Kritikern der Rede von Unternehmensverantwortung, wie Herms oder Velaquez, wirft F. eine individualistisch verengte Definition des Verantwortungsbegriffs vor. Er legt dar, dass die logischen Voraussetzungen dafür gegeben seien, Unternehmen als Verantwortungssubjekte zu behandeln, nämlich Identifizierbarkeit, Abgrenzbarkeit und Zurechenbarkeit. Umfassende Personalität sei demgegenüber kein notwendiges Kriterium. Dabei betont er, dass Unternehmensverantwortung von Kollektivverantwortung abzugrenzen sei und dass sich Unternehmensverantwortung und die Mitverantwortung von Individuen (als Rollenträger) nicht ausschlössen.

Als Inhalte der Unternehmensverantwortung nennt F. die Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen, Ehrlichkeit und Schutz des Schwächeren, die Beachtung gesetzlicher Bestimmungen, die Einhaltung universal gültiger moralischer Normen sowie die Gestaltung der internen Rahmenordnung und des Personalmanagements. Adressaten der Unternehmensverantwortung seien alle Stakeholder (zu denen auch die Shareholder gehören), wobei die Relevanz der Ansprüche der verschiedenen Adressaten und das Verhältnis von Adressaten und normativen Instanzen situativ bestimmt werden müssten. Die Verantwortungsfähigkeit von Unternehmen sei Aufgabe eines Managementprozesses (Regelsysteme, Mitarbeiterentwicklung, Ethik-Stabstellen, Vorbildfunktion der Führungskräfte).

Anhand des Phasenmodells nach Kohlberg verortet F. verschiedene wirtschaftsethische Ansätze, wendet sich jedoch gegen eine Monopolisierung des Moralbegriffs durch die Diskursethiker (Ulrich), auch wenn diese nach dem Phasenmodell die höchste Stufe repräsentierten. F. unterstellt Ulrich ein »gelegentlich anmaßendes elitäres Ethos« (234) und hält dessen Ansatz bei den kategorialen Differenzen zwischen ökonomischer und ethischer Vernunft für »so intellektuell interessant wie praktisch fruchtlos« (235). Auch wenn F.s irenischer Anspruch eines konstruktiven Dialogs zwischen Ökonomik und Ethik auf gleicher Augenhöhe durchaus sympathisch ist, stehen seine Ausführungen m. E. manchmal in der Gefahr, die (marktwirtschaftliche) ökonomische Vernunft zu unkritisch zu beurteilen.

Anschließend setzt sich F. damit auseinander, wie die Vorstellung von Unternehmensverantwortung theologisch rezipiert werden könne. Theologische Rede von Verantwortung in der Wirtschaft sei in der Vergangenheit häufig defizitär und individualistisch verengt gewesen. Nach F. geht es bei einer Theologie der Unternehmung darum, die Gegenwart für die Erfahrungen des Glaubens durchsichtig zu machen. Die Theologie solle sich einerseits am unternehmensethischen Diskurs beteiligen und die christliche Tradition in diesen Diskurs einbringen. Andererseits müsse sie in diesem Zusammenhang auch das Verständnis von Kirche reflektieren und eine Verhältnisbestimmung von Kirche und Unternehmen leisten.

Im Anschluss an Niebuhr setzt sich F. kritisch mit verschiedenen Verhältnisbestimmungen von Christentum und Gesellschaft bzw. (Markt-)Wirtschaft auseinander: »Christ against Culture«, »Christ of Culture«, »Christ above Culture«, »Christ and Culture in Paradox« und »Christ the Transformer of Culture«. Varianten der letzten Position, die bei amerikanischen Theologen verbreitet sind und auf das Bundesmodell zurückgreifen, schließt er sich an.

Die Föderaltheologie, die alle Beziehungen als Bünde interpretiert, ist nach F. besonders geeignet (insbesondere besser als die Kategorie der Schöpfungsordnungen oder eine falsch verstandene Zwei-Regimenten-Lehre), um moderne, dynamische Gesellschaftsstrukturen, darunter Unternehmen, angemessen theologisch zu beschreiben. Als Netz von Vertragsrelationen und den daraus entstehenden kooperativen Selbstverpflichtungen sei das Unternehmen als spezifischer Bund im Verweisungszusammenhang übergreifender Bündnisse zu interpretieren. Der übergreifende gemeinsame Bundeszweck aller Gesellschaftsorganisationen sei das Gemeinwohl, aber der jeweilige unternehmerische Bundeszweck sei spezifisch im Blick auf den »Beruf« des Unternehmens. Was genau verantwortliches Handeln für ein Unternehmen bedeutet, müsse situativ stets neu bestimmt werden, wobei drei Orientierungsmuster genannt werden (Selbstbegrenzung, vertrauensbildendes Verhalten, auf das Ausgegrenzte achten).

Nach F. sind nicht nur Unternehmen Teil des weltlichen Regiments Gottes, sondern auch Kirchen. Mit guten Gründen problematisiert er den traditionellen doppelten Kirchenbegriff, der bei der inneren Kirche ansetze und zu einer Beeinträchtigung der Identifizierbarkeit und Steuerbarkeit der Kirchen führe. Unter Bezug auf die innere Kirche würden mitunter bestehende Regelungen der Diskussion entzogen. F. definiert demgegenüber (m. E. unter problematischer Ausblendung der inneren Kirche) Kirchen als Bünde, als menschliche Organisationen, als Unternehmen (im oben genannten Sinne). Insofern kann er es auch nur begrüßen, wenn Kirchen heute verstärkt unternehmerisches und ökonomisches Know-how erlangen. Wenn dadurch theologische Fragen in ein neues Licht gerückt werden, müsse das keine Verfälschung bedeuten. Diese vielleicht etwas einseitige Sicht wird immerhin später durch die Forderung eingeschränkt, dass die Kirchen nicht aufhören dürften, nach den spezifischen Differenzen zu Wirtschaftsunternehmen zu fragen und dass sie ihre Abgrenzungsmechanismen und Bundesregeln im Blick auf ihre Tradition selbst definieren müssten.

Am Schluss dieses insgesamt sehr lesenswerten und gut lesbaren Buches findet man eine übersichtliche Thesen-Zusammenstellung.