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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

75-77

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hofmann, Peter:

Titel/Untertitel:

Die Bibel ist die Erste Theologie. Ein fundamentaltheologischer Ansatz.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2006. 462 S. gr.8°. Kart. EUR 59,00. ISBN 3-506-71369-8.

Rezensent:

S. Peng-Keller

Wenn in der katholischen Theologie gegenwärtig ein Trend zu erstphilosophischen Begründungsversuchen zu beobachten ist, so positioniert sich der in Koblenz lehrende Fundamentaltheologe P. Hofmann in pointierter Abgrenzung zu dieser Strömung: »Der hier vertretene Ansatz geht von einem anderen Begriff der ðLetztbegründungÐ aus, die nur als ein geschichtliches und konkretes Datum von Gott her gegeben sein kann und, eben als ein solches Datum, schon in Anspruch genommen (nicht vorausgesetzt!) wird, soll die Frage nach ihm überhaupt sinnvoll gestellt werden können« (348). H. präsentiert eine Fundamentaltheologie, die dezidiert beim Datum des zweigeteilten Schriftkanons ansetzt.

Anders als es der Titel erwarten lässt, beginnt H.s Buch jedoch nicht mit einer systematischen Exposition seines Entwurfs, sondern mit sieben in sich geschlossenen Kapiteln zu verschiedenen fundamentaltheologischen Problemfeldern. In diesem aus »Ansätzen und Aufsätzen« (6) entstandenen ersten Teil finden sich bereits manche Passagen und Gedanken, die im systematisch aufgebauten zweiten Teil wieder aufgenommen und weitergeführt werden. Auf diese Weise lässt sich lesend nachvollziehen, auf Grund welcher Intuitionen, Schwerpunkte und Anliegen H.s Ansatz entstanden ist. Dieser Aufbau hat jedoch seinen Preis: Die Entscheidung, den programmatischen Teil nicht an den Anfang zu stellen und Wiederholungen stehen zu lassen, beeinträchtigt den Spannungsbogen des Buches und die Prägnanz seiner Thesen.

Von den drei Kapiteln des systematischen zweiten Teils kommt dem ersten die Aufgabe zu, die bereits im Buchtitel angekündigte These näher auszuführen. H. postuliert im Anschluss an den canonical approach eine »Geburt der Theologie aus dem Geist des biblischen Kanons«: »Der christliche Kanon und die systematische christliche Theologie werden gleichzeitig geboren. Sie entspringen derselben Frage und Frontstellung: Wo wird theologische Erkenntnis gewonnen, und welche Gnosis ist wahr« (296)? Die Aufgabe der Fundamentaltheologie sei es, die Erste Theologie der kanonischen Schrift als Prinzip der Theologie aufzuweisen und zur Geltung zu bringen. Die faktische Kanonpluralität und die Polyphonie der vom Kanon zusammengestellten Texte erachtet H. nicht als grundlegendes Problem für eine solche Aufgabenstellung: »Der eine normative Kanon der Schrift zeigt sich tatsächlich in den verschiedenen und bedingten Versuchen, die Schriften zu kanonisieren« (286). Als normatives Prinzip stehe der Kanon in einer bleibenden Spannung zu jeder seiner möglichen Erfüllungen.

H. vergleicht den Text der Schrift mit einer Partitur, die der »Aufführung« im liturgischen Vollzug ebenso bedarf wie einer »amtlich-verbindliche(n), nämlich identifizierbare(n) und Identität stiftende(n) Erklärung im Sinne von Proklamation und Auslegung« (278). Der Kanon, der ein theologiegeschichtliches Datum darstelle, sei eine kirchliche Norm, die schriftbildend und traditionsregulierend wirke, in der Liturgie lebe und im Lehramt, das ihr diene, ihrerseits ihr Regulativ habe (287). Diese pointiert katholische Verhältnisbestimmung der loci theologici veranschaulicht H. mit einem einprägsamen Bild: Wie die kanonische Schrift sich mit einer Verfassungsurkunde vergleichen lässt, so das Lehramt mit einem »Verfassungsgericht, das die Legitimität von Lehre und Verkündigung garantieren soll« (306). ­ Wer wie H. die Schrift in ihrer kanonischen Gestalt als eine polyphone und vielsprachige Erste Theologie beschreibt, der muss natürlich auch die Frage nach den sekundären Gestalten von Theologie beantworten. Nach H. realisiert sich die Zweite Theologie zunächst in impliziter Weise als Übersetzung der Schrift in andere sprachliche Kontexte. Ihre ausdrückliche Form findet die Zweite Theologie dann in systematischen Kommentaren zur Schrift.

Die Thesen, die H. im ersten Kapitel im Rahmen einer theologischen Erkenntnislehre einführt, konkretisiert H. im zweiten und dritten Kapitel im Hinblick auf die drei klassischen Traktate der katholischen Fundamentaltheologie: Religion, Offenbarung, Kirche. Diese Abfolge entspreche einer heilsgeschichtlichen Logik: Die Religionsgeschichte Israels läuft auf die Christusoffenbarung zu, die der kirchlichen Bezeugung bedarf, um als solche erkannt zu werden. H. bestimmt Religion als »Heiligung des Konkreten« (verstanden als subjektiver und objektiver Genitiv) und grenzt das Gottesverständnis, das sich in der konfliktreichen Geschichte Israels erschließt, von einem metaphysisch-abstrakten Monotheismus ab. In einem zweiten Schritt thematisiert H. das christliche Offenbarungsverständnis in Entsprechung zu den beiden Leserichtungen des zwei-einen Kanons: Die erste liest die Schrift auf Jesus Christus hin, das Neue im Alten suchend. Gott »nennt und ruft ein sprechendes Gegenüber herauf« (377), indem er dem »Menschen sein Wort und darin sich selbst« gibt (379). In der zweiten Leserichtung, die von Ostern her die Geschichte Jesu rekapituliert, fügen sich nach H. die Einzelaspekte zu einer Gesamtgestalt, zum concretum universale, in dem sich Gottes Selbstmitteilung letztgültig verdichtet. Christen erkennen im Auferweckten die verheissene neue Schöpfung. Er ist der Erstling des anbrechenden Reiches, das Neuland, das »aus der Sünd- bzw. Todesflut auftaucht« (397).

Wenn man wie H. Religion als Heiligung des Konkreten und das Christusereignis als concretum universale beschreibt, dann liegt die Verbindung zum letzten fundamentaltheologischen Kerntraktat auf der Hand: »Das universale Heil hat in der Kirche eine konkrete Gestalt. Darin entspricht ihre ðLeiblichkeitÐ der Leibhaftigkeit, die durch Gottes Wort in Jesus Christus ihre Gestalt bildet, weil sie an ihm Anteil hat« (419). Die Kirche entspreche allerdings dem von ihr Bezeugten nur, wenn sie ihre ðErwählungÐ nicht als Privileg beansprucht und die Heiligung, die sie selber empfängt, vorbehaltlos allen anbietet. Denn das Christentum kann »nicht besessen, sondern nur weitergegeben werden« (416). Die Kirche kommt ihrem Auftrag nach, »indem sie in der Liturgie aktualisiert, in der Verkündigung ausdrücklich präsent hält und in ihrer Praxis zeigt, was das Christus-Ereignis für alle bedeutet« (416).

Was an H.s material- und einsichtsreicher Fundamentaltheologie am wenigsten einleuchtet, ist seine Hauptthese vom Schriftkanon als Erster Theologie. Denn steht wirklich das »kanonische Prinzip Š historisch am Anfang der Kirche« (287) und nicht vielmehr die Verkündigung Jesu und das Osterereignis? Und hat die Schrift, die »in communione traditionis« (345) entstanden und zu lesen ist, ihr initium und principium in einem abstrakten kanonischen Prinzip ­ und nicht eher in dem, den sie im Anschluss an die apostolische Tradition bezeugt? H.s Leitthese steht in Spannung zu dem, was er fundamentaltheologisch zur Geltung bringen möchte und wofür er prägnante Formulierungen findet: »Gott zeigt sich erkenntlich, und dieses Zeigen hat seinen konkreten Zeitindex« (274).