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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

74-75

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Forde, Gerhard O.:

Titel/Untertitel:

A More Radical Gospel. Essays on Eschatology, Authority, Atonement, and Ecumenism.

Verlag:

Ed. by M. C. Mattes and S. D. Paulson. Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2004. XXVIII, 223 S. gr.8° = Lutheran Quarterly Books. Kart. US$ 22,00. ISBN 0-8028-2688-1.

Rezensent:

Henning Theißen

Die vier im Untertitel dieses Bandes genannten Themen sind an sich eher disparat. Die 14 Aufsätze und sieben Predigten des Vf.s, die die Herausgeber überwiegend erstmals zum Druck bringen, eint aber das Programm eines »radikaleren« Evangeliums in dem doppelten Sinne, dass es urwüchsig und kompromisslos verkündigt werden soll. Verkündigung ist das Programm des Vf.s (13), und ihr Inhalt ist das Evangelium samt der ihm allein gemäßen Anthropologie des unfreien Willens, wie der Vf. zum Thema Eschatologie (1­49) unter Berufung auf H. J. Iwand betont (11­13). Im stillen Dialog mit Iwand bezieht der Vf. dabei stets exponiert Stellung.

Z. B. das Thema Versöhnung (83­155): Während Iwand Versöhnung als Gottes Nein zum Menschen und des Menschen Ja zu diesem Nein beschrieb (in: Um den rechten Glauben, 214­221), sagt der Vf., dass Gott in Jesus den Menschen mit bedingungsloser Vergebung bejaht, der Mensch dies aber verneint (z. B. 142: »To this we say no«), und genau das ist für den Vf. das Urdatum theologischer Anthropologie: die Sünde, die nun in der Tat Gottes Nein verdient. Aus dem cantus firmus, dass der Sünder Gottes Ja verneint (»we would not have it«, 91 = 221), tönt so das Echo, dass Gott dieses Nein verneint (»God won¹t have it in the end«, 222), indem er dessen Bedingungen im Kreuz seines Sohnes den Boden entzieht (»He refuses to be the wrath that is resident in all our conditionalism«, 95) und sich so die Genugtuung verschafft, sein Ja durchgesetzt zu haben: Gott »won¹t be satisfied [!] until he succeeds in actually giving the concrete, unconditional forgiving he intends« (94). Für deutschsprachige Ohren mag es zufällig scheinen, gehört aber zum Programm, wenn hier die Satisfaktionslehre anklingt.

Da der Vf. das göttliche Nein und Ja mit Gesetz und Evangelium konnotiert (21), gehört zu diesem Programm auch das mit »Legal and Evangelical Authority« betitelte Thema Autorität (51­81). Während Iwand schon die Erkenntnis der Sünde, also den theologischen Gebrauch des Gesetzes, als Evangelium beurteilte (a. a. O., 23), ist für den Vf. diese Sündenerkenntnis (58) ein privates Urteilsvermögen des Gläubigen, das ihn wie auch das geistliche Schriftverständnis (64) noch nicht zur ­ stets öffentlichen ­ Verkündigung des Evangeliums autorisiert, denn diese »absolutely requires a proclaimer« (196). Bemerkenswert genug gegenüber sowohl europäischem als auch nordamerikanischem Luthertum fordert der Vf. hier trotz unüberhörbarer Anklänge an das Öffentlichkeitsargument aus CA XIV nicht die Autorität des Amtes, sondern die der Schrift, die sich selbst und darin den Amtsträger auslege, indem dieser sich unter die Schrift beuge und so seinerseits sie auslege (66.71). Auch ein Lehramt (»teaching office«) sieht der Vf. nicht an Ordination oder gar bischöfliche Sukzession (»magisterium«) gebunden (179 f.), sondern nur an die Schriftauslegung im genannten Sinne.

Überhaupt zum Thema Ökumene (157­199): Gegen das Programm »voller Kirchengemeinschaft« seiner eigenen lutherischen Kirche und gegen das Konzept »sichtbarer Einheit« ­ »the most unecumenical idea the world has ever seen« (175) ­ sieht der Vf. in der Kirche nach CA VII »a this-age entity« (167), die es in der Ewigkeit nicht mehr geben werde ­ »thank God!« (180)

Zu allen vier Themen bietet das Programm des Vf.s Denkanstöße, die teils bedenkenswert sind ­ vor allem zur Versöhnungslehre­, teils bedenklich: Das Höchste, was der Vf. auf dem Weg zu einer positiven Würdigung des Gesetzes (46 u. ö.) außer dessen politischem Gebrauch (dazu 154) zu sagen hat, ist, dass es den alten Adam im Gläubigen attackiert (135); und die ökumenische Position des Vf.s schmückt sich damit, »unekklesiologisch« zu sein (157), weil sie die Kirche als »self-limiting concept« versteht (168). An diesen beiden Beispielen wird die Schwäche des Programms deutlich: Es denkt die eschatologische Grenze von Kirche ­ wie von Gesetz und Ethik ­ rein negativ als Limit: »There will be no church« (168 = 180) ­ »their time will be over« (152). Sähe der Vf. diese Grenze ­ nämlich die in Christus versöhnte Welt ­ auch eminent positiv als den Horizont, in dessen Licht die Kirche steht, so müsste er das »radikalere Evangelium« nicht von den allzu dunklen Folien abheben, die etliche der Aufsätze (z. B. »Radical Lutheranism«, 3­16, »The Irrelevance of the Modern World for Luther«, 75­81, und »Luther¹s ðEthicsЫ, 137­155), aber auch die Predigten (z. B. »You Have Died«, 215­217) vom theologischen Gesprächspartner zeichnen. Gerade der stille Dialog mit dem Begründer der Göttinger Predigtmeditationen und so der Gesamteindruck des Bandes leiden darunter.