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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

251–253

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Tighchelaar, Eibert J. C.

Titel/Untertitel:

Prophets of Old and the Day of the End. Zechariah, the Book of Watchers and Apocalyptic.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. X, 278 S. gr. 8° = Oudtestamentische Studien, 35. Lw. $ 95.50. ISBN 90-04 10356-2.

Rezensent:

Erich Bosshard-Nepustil

Die leicht überarbeitete Fassung der in Groningen bei A. van der Woude verfaßten Dissertation (1994) endet wie sie beginnt: mit kritischen Überlegungen zu Positionen der Apokalyptik-Forschung, in der nach T. oft zu wenig reflektiert und zu schnell behauptet und geschlossen wird. Die kritisch abwägende Haltung von T. prägt das ganze Buch und damit seinen eigenen Versuch, mit sorgfältigen Beobachtungen an einer begrenzten Anzahl von datierbaren Texten in der Frage einer "description of apocalyptic" auf festeren Boden zu gelangen. So konzentriert sich T. im Anschluß an einleitende Bemerkungen nacheinander auf Sach 1-8, Sach 9-13, das "Buch der Wächter" im Äthiopischen Henochbuch und Sach 14, bevor er die Texte vorsichtig miteinander vergleicht.

Die Einleitung (Kap. 1) thematisiert zwei Probleme in der Apokalyptik-Forschung. Zum einen werden die Bedeutungen von "apocalyptic" und "(genre)apocalypse" und die Implikationen einer wenig differenzierten Verwendung dieser Termini entfaltet. Zum anderen wird auf die Notwendigkeit eines historischen Zugangs hingewiesen ­ "the study of the genre apocalypse is ... really the study of the genre in successive periods" (9). Vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungssituation ergibt sich für T. die Aufgabe, die Übereinstimmungen, Differenzen und historischen Entwicklungen zwischen Sach 1-8, Sach 9-13; 14 und dem ältesten Teil von äthHen zu untersuchen. "My first concern is to understand these texts as such, and I will only return to the primary question of whether they are apocalyptic in one way or another after completing the description of the chosen texts" (14).

Bei Sach 1-8 widmet sich T. am eingehendsten den Nachtgesichten und unter ihnen der zentralen, literarisch einheitlichen Vision Sach 4 (Kap. 2). Das Grundproblem der Exegese von Sach 4 ­ "the relationship between the image of the vision and its meaning" (25) ­ vor Augen, geht T. den einzelnen Elementen der Vision entlang. Ein Fazit: "Zechariah’s central vision annonces the high point of Yahweh’s new beginning with his people, a fresh start linked to the construction of the new temple. The angel’s reference to the primeval stone underlines this new beginning and guarantees that Yahweh will take residence in the temple" (46). In ähnlicher Weise, aber knapper und eklektischer durchschreitet T. die übrigen Visionen (Kap. 3), die er öfter von ugaritischen oder anderen kanaanäischen Texten her erhellt. Sach 1,2-6 schließlich (Kap. 4) hält T. für eine zusammenfassende Liste der "essential points of Zechariah’s speech" (73), die dtr Passagen aus Jer paraphrasiert.

Nach einem kurzen Blick auf exegetische Probleme von Sach 9-14 insgesamt wendet sich T. zunächst Strukturfragen von Sach 9-11 zu, um sich dann auf 10,3-12 und seine Relation zu Sach 9 zu konzentrieren (Kap. 5). "Zech. 10:3-12 as a whole is a later addition to Zech. 9 in which the author, by referring to and commenting on an other oracle, wanted to confirm that not only the promise concerning the Judahites had come true, but that the Ephraimites would return too" (109). In Sach 11-13 (Kap. 6) behandelt T. zunächst die Hirtenallegorie Sach 11,4 ff. (vgl. 13,7-9), danach die durch Formeln gegliederte Passage 12,1-13,6, die "deals with two roughly connected issues: the assault and deliverance of Jerusalem and Judah, and the purification of the land" (132).

Auf eine Übersicht über Fragen der Textgeschichte und der Datierung, über Textausgaben und Übersetzungen von äthHen (Kap. 7) läßt T. sein Modell der Entstehung des "Buchs der Wächter" (äthHen 1-36) folgen (Kap. 8): angefangen beim Verhältnis zwischen äthHen 6-11 und 12-16 und den Zusätzen äthHen 17-19 über äthHen 20 und 21-32 bis zur Schlußredaktion mit äthHen 1-5 und 33-36. Die darauf basierende Behandlung "of a few topics pertinent to the subject of this study" (164) konzentriert sich zunächst auf den Bereich äthHen 6-11 (Kap. 9) und dort auf das Verhältnis zwischen der Semyaza- und der Asa’el-Tradition. T. gemäß ist äthHen 6-11 "rather the product of an author who joined several traditions into a literary text than the result of the consecutive adding and interpolating of traditions" (176). Das Sachverhältnis zu äthHen 12-16, dem zweiten genauer betrachteten Textkomplex von äthHen (Kap. 10), umschreibt T. folgendermaßen: "1En 6-11 mentions the Watchers’ desire for the women and blames them for teaching evil and harmful knowledge, and begetting the murderous giants. 1En 12-16 emphasizes a completely other aspect: the Watchers’ sin is that they ’left heaven’ and ’did what the sons of earth do’ in order to beget sons" (193). In äthHen 12-16 vermutet T. außerdem antisamaritanische Polemik.

Die Betrachtung von Sach 14 (Kap. 11) nach dem "Buch der Wächter" begründet T. mit der Absicht "to underscore the fact that chronologically these texts are from about the same period, and that typological datings should not be confused with chronological ones" (215). Sach 14 wird interpretiert als "an attempt to merge different aspects of the day of Yahweh" (218), wobei der Text auch auf bereits vergangene Tage des Tuns Jahwes Bezug nimmt und den Tag Jahwes implizit und explizit mit dem Laubhüttenfest verbindet.

Unter dem Titel "Consider All These Works" (Kap. 12) setzt T. die untersuchten Texte zueinander in Beziehung. Entsprechungen, Unterschiede und Entwicklungen zwischen ihnen werden dargestellt etwa unter den Aspekten des Traditionsbezugs ("revelation is the interpretation of tradition" [244]) und des Geschichtskonzepts, der Darstellung von himmlischer und irdischer Welt, der Frage "whether imagery is to be read in a metaphorical or in a literal way" (254). Ist die Bezeichnung "(proto)apocalyptic" diesen Texten denn nun angemessen? T. läßt sich insofern darauf ein, als er Sachfelder benennt ­ Offenbarungskonzepte der Texte, zeitliche und räumliche Reichweite, Verhältnisse Symbol/Realität, Bild/Identität ­, vor denen das Problem griffig wird. Am Schluß der Studie steht die hier eingangs erwähnte differenzierende Kritik an der verbreiteten Hypothese, Apokalyptik verdanke sich der Unterdrückung in hellenistischer und römischer Zeit.

Den von T. begangenen Weg, der, an Schlagwörtern einer ausufernden Forschung vorbei, den Texten selbst folgt, nimmt man gerne unter die Füße. Auch wenn bei soviel Unvoreingenommenheit in den Textanalysen nicht immer deutlich ist, warum die Reise gerade so verläuft, wie sie verläuft, und wo sie enden soll; auch wenn man sich angesichts des Ertrags des letzten Kapitels etwas wundert, daß dafür so viel Arbeit an den Einzeltexten nötig war; und auch wenn man sich schließlich fragt, ob T. die Möglichkeiten der Exegese, bei aller Umsicht, wirklich ausgeschöpft hat oder ob etwa eine stärkere Beachtung des literarischen Kontextes seiner Texte und von literarischen Zusammenhängen zwischen den Texten nicht zu eindeutigeren Ergebnissen geführt hätte.