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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

63-65

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Mantey, Volker:

Titel/Untertitel:

Zwei Schwerter ­ Zwei Reiche. Martin Luthers Zwei-Reiche-Lehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XIX, 334 S. gr.8° = Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 26. Lw. EUR 84,00. ISBN 3-16-148585-8.

Rezensent:

Christian Polke

Die sog. »Zwei-Reiche-Lehre« kann für den Bereich des lutherisch inspirierten Protestantismus als das sozialethische Leitparadigma zur Verhältnisbestimmung von Religion und Politik, Glaube und Öffentlichkeit gelten. Ideenpolitisch einflussreich und hoch umstritten war sie vor allem in den 20er und 30er Jahren des 20. Jh.s. Während radikalpolitische Kräfte zum Sturm auf die Weimarer Republik bliesen und der eigentliche »Gewinner« schon von Vorsehung redete, entbrannte in der Theologenzunft ein heftiger Streit zwischen Anhängern des Neuprotestantismus, dialektischen Theologen und konservativen Kulturlutheranern. Das (vorläufige) Ende der Geschichte ist bekannt. Spätestens nach 1945 hatte man sich in seinem politischen und kirchlichen Engagement zu entscheiden zwischen Karl Barths Programmformel von der Königsherrschaft Jesu Christi und den ­ nicht immer zu Unrecht ­ in Verruf geratenen Varianten lutherischer Zwei-Reiche-Lehre.

Es erstaunt daher umso mehr, dass traditions- und problemgeschichtliche Untersuchungen über die Herkunft dieser Lehre erst vor rund 30 Jahren einsetzten. Ulrich Duchrows einschlägige Studie Christenheit und Weltverantwortung aus dem Jahre 1970 sei stellvertretend genannt. Jetzt hat sich erneut ein junger Theologe daran gesetzt, die Herkunft der Zwei-Reiche-Lehre bei M. Luther aufzuklären. Seine Spurensuche führt uns ins Spätmittelalter. Im Zentrum steht dort die Rede von den zwei Schwertern (vgl. Lk 22,38).

Beginnend mit der Auseinandersetzung zwischen Papst Bonifaz VII. und Philipp dem Schönen von Frankreich zu Beginn des 14. Jh.s widmet sich Volker Manthey in seiner Dissertation zunächst ausführlich der Debattenlage zwischen Kurialisten und Antikurialisten (1­153). Neben den von ihm klar aufgezeigten politischen Hintergründen um die Bulle Unam Sanctam von 1302 gelingt es ihm aufzuzeigen, dass die Gründe für die unterschiedlichen Positionen in differenten Gewichtungen von päpstlichem Primat, naturrechtlichen Argumenten und dogmatischer Soteriologie zu suchen sind. M. befasst sich u. a. mit Heinrich von Cremona (31 f.), Jakob von Viterbo (33 ff.), Marsilius von Padua (84 ff.) und John Wyclif (125 ff.). Detailliert geht die Arbeit den unterschiedlichen Interpretationen einschlägiger Bibelstellen (Lk 22,38, Mt 26,52, Joh 18,11) nach. Hierin zeigt sich, mit wie viel Gewinn man nach wie vor Kirchengeschichte als Auslegung der Heiligen Schrift (G. Ebeling) betreiben kann. Auch wenn die Studie manchmal zu einer Nacherzählung zu werden droht, wird M. dem komplexen Ineinander von Sozial- und Theologiegeschichte gerecht. Überzeugend sind die Passagen zu Gabriel Biel, der für M. zu Recht als wichtige Brückenfigur für den inneren Werdegang Luthers gelten kann. Warum ihm ­ wie im Übrigen der kanonischen Dimension des Themas ­ zusammen kaum mehr als 10 Seiten (143 ff.) gewidmet sind, bleibt allerdings verwunderlich.

Die Entwicklung bei Martin Luther wird von M. im zweiten Teil der Arbeit bis hin zu den späten Auseinandersetzungen mit den Antinomern verfolgt (155­290). Die Ausführungen über die Vorgänge in den Jahren 1517­1521 nehmen breiten Raum (167­214) ein. Ähnlich wie bei den spätmittelalterlichen Autoren steht auch für Luther zunächst die Frage nach der päpstlichen Gewalt im Zentrum der Auseinandersetzungen. Von hier aus verschränken sich dann wiederum ekklesiologische, soteriologische und ethisch-politische Problemstellungen.

Erst jetzt (233 ff.) widmet sich M. der Obrigkeitsschrift von 1523, die bekanntlich als der klassische Text für unsere Fragestellung gelten kann. Hier nun offenbart sich die gravierendste Schwäche der Arbeit. Denn es gelingt M. nicht annähernd, die begrifflichen Transformationen der Zwei-Schwerter-Theorie zu Luthers Rede von den beiden Reichen historisch und systematisch aufzuhellen. Daran ändert auch der interessante Exkurs über die Rekonstruktion der Schrift von Johann von Schwarzenberg (236 ff.) nichts. Etwas überspitzt formuliert, verliert M. sein Thema. Zwar räumt er ein, dass bei Luther mit der Rede vom Schwert eigentlich nur noch der weltliche Bereich anvisiert wird (246), galt für ihn doch im Bezug auf den kirchlichen Bereich schon zu diesem Zeitpunkt das sine vi, sed verbo (CA 28); aber die entscheidenden Gründe hierfür bleiben unterbelichtet. Luthers genuin theologisches Interesse konzentriert sich auf die beiden Weisen göttlichen Handelns, die er als unterschiedliche Regierweisen mit aufeinander bezogenem Sinn versteht. Von hier aus nimmt er Stellung zur Aufgabe der weltlichen Obrigkeit und zum Gehorsam des Christen ihr gegenüber. Darum ist die Rede von den beiden Schwertern für ihn nachrangig. Nicht also die theorieimmanenten Schwierigkeiten der naturrechtlich angelegten Verhältnistheorien von Ockham (87 ff.) oder Schwarzenberg sind für Luther das entscheidende Problem (gegen 258). Vielmehr führen diese eine problematische Metaphorik mit sich, welche als gewichtiger Grund für die Transformation der Zwei-Schwerter-Lehre hin zur Lehre von den beiden Reichen angesehen werden darf. Davon liest man bei M. leider wenig. Statt dessen wird man gegen Ende Zeuge einer tour de force vom Bauernkrieg über die Auseinandersetzung mit Erasmus über den freien Willen bis hin zum Antinomerstreit Ende der 1530er Jahre (260­290). Völlig unnötig sind die Zusammenfassungen der Teilergebnisse nach jedem Abschnitt. Die abschließenden Ergebnisse (293 ff.) wirken für den Leser enttäuschend, da sie im Wesentlichen Lehrbuchwissen widerspiegeln. Dabei wäre in der wohltuenden Dichte der Arbeit Platz für mehr gewesen: Gerne hätte man z. B. Genaueres über die sprachlichen Verschiebungen der Bedeutungen von vis, auctoritas oder potestas im frühreformatorischen Schrifttum erfahren, wie sie M. zumindest für Teile der spätmittelalterlichen Zwei-Schwerter-Theorien (61 ff.) liefert. Doch das wäre ein anderes Thema.

M.s Verdienst bleibt es, sich der zeitlichen Lücke zwischen Augustin und Luther angenommen zu haben. Allzu häufig hat man bei diesem Thema bis dato die inhaltlichen Verschiebungen in der Wirkungsgeschichte Augustins im Hoch- und Spätmittelalter vernachlässigt. Trotz aller Kritik ist die detailreiche, quellenkundige und gut lesbare Arbeit in vielem aufschlussreich. Gelingt es ihr doch aufzuzeigen, inwiefern die faktischen Machtverhältnisse zwischen kirchlichen und weltlichen Autoritäten sowohl im Spätmittelalter als auch bei Luther (z. B. im Bauernkrieg, 266 ff.) Eingang in die jeweiligen theologischen Konzeptionen gefunden haben. Umgekehrt wird einmal mehr deutlich, dass die Geschichte von Ideen und Begriffen nicht einfach zur bloßen Ideengeschichte verkommen muss. Vielmehr kann die Geschichte selbst zum Prüfstein für adäquate Begriffe von Glauben, Macht und Kirche werden. Arbeit am Begriff ist gegenwärtig nicht vom Tisch. Ein Blick in die Debattenlage um 1500 kann sich auch für heutige Theologen und (Kirchen-) Politiker lohnen.