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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

62-63

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hamm, Berndt:

Titel/Untertitel:

Lazarus Spengler (1479­1534). Der Nürnberger Ratsschreiber im Spannungsfeld von Humanismus und Reformation, Politik und Glaube.

Verlag:

M. e. Edition v. G. Litz. Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XII, 472 S. m. Abb. gr.8° = Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 25. Lw. EUR 89,00. ISBN 3-16-148249-2.

Rezensent:

Armin Kohnle

Nicht eine Gesamtbiographie Lazarus Spenglers, auf die die Forschung seit dem vor über 70 Jahren erschienenen, nur bis zum Jahr 1524 reichenden Spengler-Buch Hans von Schuberts wartet, sondern eine Sammlung von zehn Einzelstudien bietet der von Berndt Hamm vorgelegte stattliche Band, der eine Zwischenbilanz seiner langen Beschäftigung mit der Person und dem Umfeld des Nürnberger Ratsschreibers bieten soll. Neun der zehn Kapitel basieren auf zuvor schon veröffentlichten Aufsätzen, die formal vereinheitlicht sowie mit Querverweisen, Literaturverzeichnis und Register miteinander verzahnt wurden. Neu hinzugekommen sind ein Kapitel über Spengler und Dürer sowie eine Edition des in der Tradition der Nürnberger Geschlechterbücher stehenden »Familienbüchlein[s] Spengler«, das in knappen Einträgen die Geburts- und Sterbedaten, Tauf-, Firm- und Heiratstermine der Spenglerschen Familie über den Zeitraum eines Jahrhunderts (1468­1570) aufführt.

Als »Theologe unter den Politikern der Reformationszeit« ­ so die von H. an vielen Stellen verwendete Formel ­ spielte Lazarus Spengler in der inneren und äußeren Politik der Reichsstadt Nürnberg während der frühen Reformationszeit eine Schlüsselrolle. Er gehörte zu den ersten Rezipienten der Theologie Martin Luthers, die er schon 1519 öffentlich verteidigte und deren Verbreitung im süddeutschen Raum er im Rahmen seiner Möglichkeiten förderte. Als Ratsschreiber stand er zwischen Bürgertum und Nürnberger Patriziat, als theologisch gebildeter Laie zwischen den professionellen Theologen und dem Rat. Seine multiple Zwischenstellung macht Lazarus Spengler zu einer für die Reformationsforschung ausgesprochen interessanten Gestalt. Die durchweg weiterführenden und tief eindringenden Einzelstudien H.s machen sich den Umstand zu Nutze, dass sich an der Person Spenglers, die einmal stärker und einmal weniger stark im Zentrum der Untersuchungen steht, zahlreiche für die Reformationsgeschichte grundlegende Fragenkomplexe und Problemzusammenhänge untersuchen lassen.

Unter der Überschrift »Humanistische Ethik und reichsstädtische Ehrbarkeit« spürt H. eingangs dem Phänomen des spätmittelalterlichen reichsstädtischen Humanismus nach, den er im Nürnberger Fall als »Humanismus der Ehrbarkeit« oder als »Honoratiorenhumanismus« (25) charakterisiert, mit dem erst die Reformation gebrochen habe. Der eschatologische Charakter der Ethik, so H.s These, war die Entscheidungsfrage, die zu einem Humanismus in der Reformation, gegen die Reformation oder zwischen den entstehenden konfessionellen Lagern führen musste (vgl. 70). Spengler ging den ersteren Weg. Im Abschnitt »Spengler und Dürer«, der von Dürers 1526 entstandenem Gemälde »Vier Apostel« ausgeht, konstatiert H. eine »Geistesverwandtschaft«, die vor allem im starken Interesse beider an einer ordnenden Gestaltung komplexer Lebenswirklichkeiten von einer normierenden Mitte her zum Ausdruck kam, die letztlich im Wort Gottes gründete. Der reformationszeitliche »pneumatologische Antiklerikalismus« und die Frage der Lutherrezeption stehen im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts, in dem H. im Nürnberger Material weder Laus These vom Wildwuchs der frühen Reformation noch Moellers These von der lutherischen Engführung bestätigt sieht. Das Kapitel »Spengler und Luther« führt in das Zentrum der Spenglerschen Glaubensentwicklung und befasst sich näher mit seiner Schutzrede für Luther aus dem Jahr 1519. Die Anziehungskraft Luthers erklärt H. vor allem mit Spenglers im Gewissen begründeter »Normperspektive« (182). Spenglers Ordnungsdenken im Spannungsfeld von bürgerlicher Religion und christlichem Glauben steht auch im Mittelpunkt des 5. Kapitels, das Spengler als Typ des akademisch gebildeten Rats aus dem Laienstand konturiert und sein Ordnungs- und Wertedenken näher in den Blick nimmt. Im 6. Abschnitt, in dem die Ausprägung der reformatorischen Obrigkeitslehre bei Spengler im Mittelpunkt steht, und im 7. Abschnitt, der Spengler als »Rechtsdenker und Advokat der Reformation« vorstellt, werden die Themen Rechtsauffassung und Ordnungsverständnis vertieft und mit der Haltung anderer städtischer Ratsschreiber verglichen. Abschnitt 9 führt noch einmal zurück zu Spenglers individueller Glaubensentwicklung, die anhand eines in drei Fassungen aus den Jahren 1527 bis 1533 erhaltenen persönlichen Glaubensbekenntnisses nachgezeichnet wird. Martin Luther ließ den Text in seiner letzten Fassung nach Spenglers Tod im Jahr 1534 in Wittenberg drucken.

Als Summe und Synthese der vorausgehenden Abschnitte lässt sich das letzte Kapitel verstehen, in dem H. den Vorschlag unterbreitet, die Reformation als »normative Zentrierung von Religion und Gesellschaft« zu interpretieren. Die damit gemeinte »Ausrichtung auf eine bestimmende und maßgebende, grundlegend orientierende, regulierende und legitimierende Mitte hin« (314), die H. schon bei Spengler beobachten konnte, will er als Signum des Reformationszeitalters insgesamt verstanden wissen. Theologie und Frömmigkeit wurden durch den reformatorischen Umbruch zu den maßgebenden Bezugsgrößen. Die vom 15. zum 17. Jh. sich steigernde normative Zentrierung ist für H. der Schlüssel zur Erklärung des Übergangs vom Spätmittelalter zur Neuzeit und letztlich auch eine Möglichkeit, Wirkung und Bedeutung der Reformation neu zu begreifen. Mit diesen erwägenswerten Überlegungen führt das Buch am Ende über die Person Lazarus Spenglers weit hinaus. Für dessen noch zu schreibende Biographie werden die gesammelten Aufsätze H.s eine wichtige Ausgangsbasis bilden. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Erlanger Kirchenhistoriker nach Abschluss des dritten Bandes der unter seiner Leitung edierten Spengler-Werke auch an diese große Aufgabe machen wird.