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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

56-60

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bucer, Martin:

Titel/Untertitel:

Deutsche Schriften. Bd. 8: Abendmahlsschriften 1529­1541. Bearb. v. S. E. Buckwalter.



Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2004. 515 S. gr.8° = Martini Buceri Opera. I. Lw. EUR 128,00. ISBN 3-579-04894-5.



Rezensent:

Irene Dingel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Bucer, Martin: Deutsche Schriften. Bd. 11/1: Schriften zur Kölner Reformation. Bearb. v. Ch. Strohm u. Th. Wilhelmi unter Mitarbeit v. S. E. Buckwalter. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1999. 500 S. m. Abb. gr.8° = Martini Buceri Opera. I. Lw. EUR 115,00. ISBN 3-579-04387-0.

Bucer, Martin: Bibliographie. Erstellt v. H. Pils, S. Ruderer u. P. Schaffrodt unter Mitarbeit v. Z. Faragó-Günther. M. Unterstützung d. Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. v. G. Seebass. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 751 S. m. 1 Abb. gr.8°. Lw. EUR 168,00. ISBN 3-579-04893-7.

Nachdem Bd. 11,2 zur Kölner Reformation schon in einer der letzten Nummern der ThLZ rezensiert wurde, greift diese Sammelbesprechung noch einmal in frühere Erscheinungsjahre der Bucer-Edition zurück und holt Versäumtes nach. Schon 1999 kam der erste Teilband der Schriften zur Kölner Reformation heraus. Er bietet fünf Stücke, von denen das zentrale B.s »Entwurf einer Reformation im Kurfürstentum Köln« aus dem Spätsommer 1543 darstellt (Nr. 3). Diese umfangreiche, auf Neuordnung des Kölner Kirchenwesens zielende Schrift wird umrahmt von zwei Verteidigungsschriften (Nr. 1: Erste Verteidigungsschrift Bucers, März 1543; Nr. 2: Bucer/ Melanchthon, Christliche und ware Verantwortung, Mai/Juli 1543) sowie zwei weiteren Stücken aus dem unmittelbaren Kontext, nämlich der vom Kölner Domkapitel an der Berufung des Straßburgers geäußerten Kritik (Nr. 4: Sententia delectorum, 3.2.1543) und einer auf Abschaffung der Prozessionen und deren Ersatz durch Betgottesdienste zielenden Reformschrift Hermanns von Wied (Nr. 5: Christliche Verbesserung der Creutzgheng, April/Mai 1543).

Die edierten Texte dokumentieren nicht nur die Spannungen, die durch das Handeln des Kölner Erzbischofs ausgelöst wurden, sondern auch B.s Entschlossenheit in der Durchführung jener Aufgabe, für die ihn Hermann von Wied berufen hatte. Denn nachdem der Abschied des Regensburger Reichstags von 1541 die geistlichen Herren dazu angehalten hatte ðeine christliche Ordnung und Reformation vorzunehmen und aufzurichten, die zu guter Š Administration der Kirche Š dienstlich seiÐ (vgl. 70, Anm. 300), hatte der Erzbischof den Straßburger Rat dazu bewegen können, B. vorübergehend für diese Aufgabe zu beurlauben, obwohl sich das Kölner Domkapitel und die Universität Köln dagegenstellten. Es kam unverzüglich zum Streit über B.s Berufung. Die in diesen Zusammenhängen geäußerte Kritik (Nr. 4) nahm der Reformator in seiner Ersten Verteidigungsschrift (Nr. 1) auf. Er stellte also nicht nur ausführlich die von ihm in Bonn und im Erzstift Köln vertretene reformatorische Lehre dar, und zwar unter Akzentuierung all jener Themen, an denen ausschlaggebende Differenzen zur altgläubigen Lehre zu Tage traten und verständlich gemacht werden mussten (Frage der guten Werke, Verehrung und Anrufung der Heiligen sowie Abendmahlsverständnis), sondern in Aufnahme persönlicher Invektiven äußerte er sich auch zu seiner erneuten Eheschließung und damit zur Frage des Zölibats. Der sich daran anschließende kurze Schlussteil scheint weniger ­ wie dies im editorischen Kommentar anklingt ­ eine Mahnung zur unverzüglichen Abstellung der Missstände zu sein als vielmehr eine seelsorgerliche Versicherung der für die Reformation Gewonnenen darüber, dass Predigt und Maßnahmen in der Heiligen Schrift zweifelsfrei begründet und deshalb legitimiert seien.

Von dieser ausführlichen Darlegung unterscheidet sich die auf Melanchthon und B. zurückgehende »Christliche und ware Verantwortung« (Nr. 2) insofern, als der Straßburger und der seit Mai 1543 ebenfalls in Bonn im Sinne der Reformation wirkende Wittenberger hier entschieden und knapp jene Angriffe widerlegten, die die Universität Köln dem Erzbischof über den Rat der Stadt zugeleitet hatten. Wichtigstes Stück des Bandes aber ist der Kölner Reformationsentwurf (Nr. 3: Einfaltigs Bedencken), den B. im Auftrag Hermanns von Wied während seines Aufenthalts in Bonn seit Januar 1543 auszuarbeiten begonnen hatte. Seit Mitte Mai 1543 stand ihm Melanchthon darin zur Seite. Der auf den Reichsabschied von 1541 verweisende Beschluss der Schrift stammt ­ so der Bearbeiter ­ von Hermann von Wied selbst. B. hat sich mit diesem Entwurf in Teilen an bereits rechtskräftige Kirchenordnungen angelehnt, auf die in den sachlichen Anmerkungen verwiesen wird, so dass der Benutzer der Edition in die Lage versetzt wird, die verschiedenen Einflüsse weiterzuverfolgen. Interessant ist der »vorkonfessionelle« Charakter des Entwurfs, der für die Wittenberger Reformation typische Elemente mit solchen der oberdeutschen Reformation kombiniert. So bietet B. zwar die reformierte Zählung der Zehn Gebote mit dem Bilderverbot als zweitem Gebot, behandelt hier aber keineswegs die Bilderfrage, sondern falschen Gottesdienst, Abgötterei und entsprechenden ðMissbrauch der KreaturenÐ. Bei der Taufe behält der Exorzismus im Ritus seinen festen Platz. Die Konfirmation erscheint als Element kirchlichen Lebens und Handelns. Auch in den ausführlichen Darlegungen zum Abendmahl spiegeln sich die für B. typischen Züge.

Der Band erlaubt dem Benutzer einen tiefen Einblick in die geplanten weitreichenden reformatorischen Maßnahmen, die bekanntlich letzten Endes scheiterten. Damit wird nicht nur eine bisher viel zu wenig beachtete Phase in der Geschichte der Reformation quellenmäßig zugänglich, sondern auch B.s Lehre und sein Wirken erhalten einmal mehr durch die edierten Schriften und deren gute sachliche Kommentierung scharfe Konturen.

Ein wenig störend ist, dass das tadellose editorische Profil ­ wohl durch die Beteiligung verschiedener Bearbeiter ­ nicht einheitlich durchgehalten ist. So fällt die ungewöhnliche Wiedergabe des deutschen langen »s« bei der Titelaufnahme auf, die später aber zu Recht aufgegeben wird. Gelegentlich beginnen neue Absätze nach vorhergehendem Punkt in Minuskelschreibung (Nr. 5). Ungewöhnlich ist, dass bei Seitenfall die Zählung der Druckbögen zusätzlich zu der vorhandenen Blattzählung angegeben wird, wie dies z. B. beim Kölner Reformationsentwurf der Fall ist, dessen mitediertes zeitgenössisches Inhaltsverzeichnis sich aber eindeutig auf die Blattzählung bezieht. Einfacher für den Benutzer wäre auch ein einheitliches Verfahren bei der Angabe der Bogenzählung (statt Beibehaltung römischer Ziffern besser arabische; statt »Avia« besser A6a). An vielen Stellen sind die gebotenen Worterläuterungen überflüssig. Unüblich ist es, zwei Fußnoten hintereinander zu setzen (vgl. 272, Anm. 580 und 581). Sprachliche Unebenheiten sind auf S. 147, Z. 5, und S. 447, Z. 4, stehen geblieben.

Die Ausgabe der Deutschen Schriften Martin Bucers hat auch in den darauf folgenden Jahren zügige Fortschritte gemacht. Im Jahre 2001 erschien Bd. 10 mit den Schriften zu Ehe und Eherecht, und 2003 mit Bd. 11,2 die Fortsetzung der Schriften zur Kölner Reformation (vgl. die Besprechungen in ThLZ 129 [2004], 654­656, und 130 [2005], 1081­1083). Darauf folgte im Jahre 2004 Bd. 8 mit den Abendmahlsschriften aus den Jahren 1529­1541. Zwar findet sich ­ dies ist der Genese der Ausgabe geschuldet ­ die Abendmahlsthematik auch in anderen bereits erschienenen Bänden der Edition, aber eine ausführliche, dem im Folgenden besprochenen Band vorangestellte Einleitung stellt die notwendigen Zusammenhänge her, und ein alphabetisches Gesamtverzeichnis zu den Deutschen und den Lateinischen Schriften ermöglicht ein Aufsuchen all jener Stücke, die für eine lückenlose Nachzeichnung der Entwicklung von B.s Abendmahlstheologie notwendig wären. In dem hier vorliegenden Band werden insgesamt zehn Dokumente mit Beilagen zugänglich gemacht. Sie lassen in B. den politisch klugen und diplomatisch handelnden Theologen erkennbar werden, wenn es z. B. um Bündnisfragen ging (vgl. Nr. 2) oder darum, die Übereinstimmung von Confessio Augustana und Confessio Tetrapolitana nachzuweisen. B.s Bekenntnis (oder Gutachten?) für den Schweinfurter Tag von 1532, der die Unterschrift der Straßburger unter die CA brachte, untermauert z.B., was die Straßburger Kreise um Johann Sturm in ihrer späteren Ablehnung von Konkordienformel und Konkordienbuch immer wieder behaupteten, nämlich dass die Unterschrift unter die CA seinerzeit keineswegs die Aufgabe der Tetrapolitana nach sich gezogen habe (vgl. Nr. 3).

Die edierten Schriften zeigen den Straßburger zugleich als gesprächsbereiten und unermüdlichen Vermittler zwischen den in der Abendmahlsfrage sich bildenden verschiedenen Lagern (vgl. Nr. 4, 6, 8­10), der sich vor allem für die Lösung der internen Konflikte in Augsburg, aber auch in den dort aufgetretenen Unstimmigkeiten mit Luther verdient gemacht hat (vgl. Nr. 5, 7). Deutlich wird darüber hinaus, ein wie großes Zutrauen B. in die Wittenberger Konkordie hatte, deren Ergebnis er für einen weiterhin zu erstrebenden Konsens sehr hoch bewertete. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in seiner Bereitschaft, eigene frühere Fehleinschätzungen der Theologie Luthers einzugestehen (vgl. Nr. 8 und 9). Vor dem Hintergrund späterer Entwicklungen in Bekenntnis und Lehre ist vor allem B.s Hochschätzung von Luthers Schrift »Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis«, 1528, interessant. Aber nicht allen kamen die vermittelnden Aktivitäten B.s gelegen. Bullinger und die Zürcher Prediger z. B. empfanden B.s (und Capitos) Aktivitäten zu Gunsten einer Verständigung mit den Wittenbergern als Einmischung in die eigenen Positionen (vgl. Nr. 6). Auch an den Schriften für den Churer Reformator Johannes Comander und dessen Kollegen wird deutlich, dass die Unterzeichnung der Wittenberger Konkordie eine Entfremdung zwischen den Zürcher Theologen und B. gebracht hatte.

In allen hier edierten Stücken tritt die für B. typische Abendmahlslehre deutlich hervor: Betonung der »unio sacramentalis« von Leib und Blut Christi mit den Abendmahlselementen und damit die Aufnahme eines von Luther verwandten Terminus, den B. für in hohem Maße geeignet hielt, um einerseits grob leibliche Vorstellungen auszuschließen, andererseits die wahre Mitteilung der Gemeinschaft mit dem am Kreuz gestorbenen und erhöhten Herrn auszudrücken. Leib und Blut werden nach B. als »himmlisches Gut« den Jüngern des Herrn, d. h. den Glaubenden, wahrhaft dargereicht. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Frage von Himmelfahrt und Erhöhung zur Rechten Gottes sowie deren christologische Bedeutung zwischen den Zürchern und B. diskutiert. Der Straßburger vertrat zwar nicht eine Lehre von der Omnipräsenz der Menschheit Christi, er hielt aber, gemäß Mt 28,20, an einer Gegenwart Christi (in Gottheit und Menschheit) bei seinen Gläubigen fest. Übereinstimmend mit Luther distanzierte er sich von einem lokalen Verständnis der Himmelfahrt, wie es die Zürcher lehrten.

In diesen Zusammenhängen, die vor allem für die Wirkungsgeschichte der Schriften B.s wichtig wurden, spricht der Bearbeiter von der Frage der »Ubiquität« und greift damit ­ statt der neutralen Bezeichnung »Omnipräsenz« ­ einen Terminus der Polemik auf, den Theodor Beza später abwertend zur Verunglimpfung der pointiert durch Johannes Brenz vertretenen Lehre von der Allgegenwart bzw. Omnipräsenz der Menschheit Christi verwandt hat. Darauf bezog sich auch die Kontroverse zwischen Brenz und Bullinger Ende der 1550er Jahre. Sie betraf nicht die »Ubiquität Christi« (wie z. B. S. 300 u. 339 erwähnt), dessen Allgegenwart als Gottessohn nicht in Zweifel stand, sondern strittig war einzig und allein die »Allenthalbenheit« bzw. Omnipräsenz/Ubiquität der Menschheit Christi, denn nur dies war im Blick auf eine realpräsentische Abendmahlstheologie relevant und wurde von den Gegnern polemisch als »Ubiquität« gebrandmarkt. Vorsicht geboten ist auch bei einer undifferenzierten Qualifizierung lutherischer Positionen wie sie in den 1580er Jahren auch in Straßburg vertreten wurden, als »lutherische Orthodoxie« schlechthin (341), denn neuere Forschungen haben die Vielfalt innerhalb des sich insbesondere in jenem Zeitraum erst konsolidierenden Luthertums herausgearbeitet. Aussagekräftig und interessant sind freilich die zwischen den sich bildenden konfessionellen Parteien verschiedenen Lesarten B.s, die letzten Endes wohl auf die nachträgliche Beurteilung der Wittenberger Konkordie (entweder als Annäherung an Luther oder aber als Wahrung eigener theologischer Identität im Sinne B.s) zurückzuführen sind. Selbst zum Calvinismus neigende Gruppen instrumentalisierten B.s Lehre im eigenen Sinne.

Insgesamt gilt für diesen Band wie für alle vorangegangenen, dass wertvolle Quellen zugänglich gemacht werden, die es erlauben, das theologische Profil, die politische Relevanz und nicht zuletzt die europäische Wirksamkeit eines viel zu lange unterschätzten, nicht selten verunglimpften oder für andere Positionen vereinnahmten Theologen zu erkennen und auszuwerten.

Flankiert wird die Ausgabe durch die Anfang 2005 erschienene Bucer-Bibliographie, die schon jetzt als ein überaus wertvolles Hilfsmittel gelten darf. Das sorgsam zusammengestellte Verzeichnis bietet in einer ersten Abteilung Schriften und Briefe B.s, die unter vier Abschnitten zunächst die zu seinen Lebzeiten gedruckten (bis 1551), sodann die nach seinem Tod bis zum Jahre 2004 veröffentlichten Schriften unter laufenden Nummern chronologisch auflisten. Der dritte Abschnitt führt solche Schriften an, die nicht mit Sicherheit auf den Straßburger Reformator zurückzuführen sind, und der letzte verzeichnet seine Briefe. Dem tritt in der zweiten Abteilung ein Nachweis der von 1526 bis 2002 erschienenen Literatur zu Martin Bucer zur Seite. Damit liegt eine Bibliographie vor, die alle vorangegangenen, überwiegend lückenhaften Zusammenstellungen überholt und an Zuverlässigkeit bei weitem übertrifft. Denn neben den diplomatisch getreuen Titelaufnahmen werden präzise Druckbeschreibungen geboten und Fundorte bzw. besitzende Bibliotheken verzeichnet. Quellen und Literatur sind nicht nur chronologisch, sondern auch über ein Personenregister bequem zu erschließen.

Die Ausgabe der Deutschen Schriften B.s zählt mit Recht zu den derzeit herausragenden Editionsunternehmen. Der kontinuierliche Erscheinungsrhythmus der Bände und der im Ganzen hohe Standard der Bearbeitung sind ein untrüglicher Qualitätsausweis. In einer Zeit, in der die Arbeit an den Quellen angesichts einer ständig wachsenden »sekundären« Informationsfülle zurückzutreten droht, ist der Wert einer Edition, die dem Benutzer primäre Zeugnisse mit Hilfe guter Einleitungen, informativer textkritischer und sachlicher Apparate und hilfreicher Register, wie sie hier geboten werden, aufbereitet und zugänglich macht, nicht hoch genug zu veranschlagen. Es handelt sich insgesamt um eine beachtliche Leistung auf dem Gebiet nach wie vor notwendiger Grundlagenforschung.