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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

247–251

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Steins, Georg

Titel/Untertitel:

Die Chronik als kanonisches Abschlußphänomen. Studien zur Entstehung und Theologie von 1/2Chronik.

Verlag:

Weinheim: Beltz Athenäum 1995. 582 S. gr.8° = Bonner Biblische Beiträge, 93. Pp. DM 118,­. ISBN 3-89547-030-9.

Rezensent:

Uwe Gleßmer

Bei dem vorzustellenden Band handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die 1993 in Münster angenommen wurde. Im Unterschied zum damaligen Titel "König ­ Tempel ­ Leviten. Untersuchungen zur Entstehung und Theologie der Chronikbücher" betonen die neuen Bestandteile in der Benennung das Darstellungsinteresse und den besonderen Akzent, den der Vf. aufgrund seiner Analysen in die Diskussion einbringt: der vorliegende Chr-Text ist auf dem Hintergrund des Zusammenwachsens biblischer Texte im 2. Jh. v. Chr. zu deuten. Vom Kontext der Spätzeit her erklärt sich der Umgang mit vorgegebenen älteren Materialien aus Tora und Propheten, der die Eigenart der Chronik als Zusammenführung innerhalb der "Schriften" ausmacht.

Dieser große Zusammenhang wird in vier Kapiteln ausführlich erarbeitet, die den Bogen ausgehend (1.) von Erwägungen zur Textbasis über (2.) grundsätzliche Methodenentscheidungen und forschungsgeschichtliche Vorgaben zu (3.) konkreten Textanalysen und (4.) schließlich zu einem auswertenden Schlußkapitel spannen. In dem über 500 Seiten umfassenden Textteil des Buches nehmen dabei die Analysen im dritten Kapitel über 300 Seiten ein und geben damit eine umfangreiche Basis für die Folgerungen ab.

Im Einzelnen werden im ersten Kapitel "Voraussetzungen der Chronikexegese" entfaltet. Aus zweierlei Richtungen sind entscheidende Implikationen für die Auslegung der Textbasis gegeben. Auf der einen Seite stellt die unverkennbare Übereinstimmung mit anderen Teilen der biblischen Überlieferung vor die Frage, wie diese Eigenart zu beurteilen ist: Kann 1. die Kategorie "Auslegung" angewandt werden, wie sie aus jüdischer Tradition bekannt ist, oder hilft 2. die aus dem sprachwissenschaftlichen Bereich übernommene Bezeichnung "Intertextualität" eher, um das Verweissystem und die Art der Bezugnahmen zu charakterisieren? Oder wäre 3. der in Chr selbst begegnende Terminus "Midrasch" bzw. die in der Spätzeit des Zweiten Tempels begegnende Literaturproduktion von "rewritten bible" besser als Kennzeichnung geeignet? ­ Der Vf. entscheidet sich in seinen methodischen Folgerungen zur Vorsicht gegenüber allen drei Optionen, um "anachronistische Interpretationen und ungerechtfertigte Systematisierungen zu vermeiden" (40). Statt dessen kommt es ihm für die Beurteilung des Beziehungsgeflechts darauf an, an "möglichst vielen Einzeltexten dieses Verhältnis zu untersuchen" (40).

Daraus ergibt sich jedoch sofort die Frage nach der Textbasis für die Einzelanalysen solcher Beziehungen, die als zweite Seite der Voraussetzungen benannt wird: Wie können angesichts der inzwischen verfügbaren Kenntnisse über die Vielfalt von Textformen in der Spätzeit jeweils die Vergleichstexte eingegrenzt werden? Der Vf. nimmt mit der Mehrheit in der neueren Chr-Exegese an, daß in Chr die Texte der Vorderen Propheten verarbeitet sind. Dabei bildet jedoch nicht notwendig der masoretische Text die Vergleichsbasis, sondern die aus Qumrantexten neu bekannten Textformen, vor allem 4QSama und der Vergleich der Fassungen von 2Sam 24,16-17 (wo MT‚Q) mit 1Chr 17,15-17, mahnen zur Vorsicht: Es läßt sich "nicht in jedem Fall sicher ermitteln, daß eine bestimmte Änderung erst vom Chronisten vorgenommen worden ist" (48). Deshalb wird erst durch "Untersuchung eines größeren Textabschnitts ein hinreichendes Maß an Einsichten in die chronistische Redaktionstätigkeit" (48) möglich. Zudem ergibt sich erst aus der Vermittlung der Einsichten, die aus synoptischer Lektüre gegenüber dem Text der Vorderen Propheten gewonnen sind, mit denen aus der "Analyse der nichtsynoptischen Partien ..., was als chronistisch gelten kann" (48).

Für das zweite Kapitel, "Das entstehungsgeschichtliche Problem der Chronik", ergibt sich für die Bestimmung, was chronistisch ist, in Auseinandersetzung mit Forschungsmeinungen die Frage: Was ist in dem alternativen Nebeneinander "Chronik und ’Chronistisches Geschichtswerk’" als größere Textformation vorauszusetzen? Nach Durchsicht der immanenten und externen Gesichtspunkte werden wiederum methodische Folgerungen gezogen. Um Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen 1/2Chr und Esr/Neh zu erklären, ist nicht vorauszusetzen, daß beide Werke auf eine gemeinsame Verfasserschaft im Sinne des chronistischen Geschichtswerkes der älteren Forschung zurückgeführt werden müssen, ebenso scheidet aus die "Annahme verschiedener Verfasser, die zu unterschiedlichen, aber nicht weit voneinander entfernten Zeitpunkten tätig waren" (82). Es gibt jedoch "Hinweise auf direkte literarische Beziehungen verschiedener Art", nämlich 1. "Übernahmen aus Esra/Neh in 1/2 Chr" und 2. "ähnliche Bearbeitungen beider Werke". Diese Verhältnisbestimmung blickt zum einen auf die Analysen in Kapitel 3 voraus, zum anderen ist sie bedingt durch weitere methodische Vorentscheidungen zu den folgenden Fragen der Rekonstruktion von Textwachstums- und Überarbeitungsschichten.

In Auseinandersetzung mit den redaktionsgeschichtlichen Entwürfen von Freedman und Cross, Williamson, Galling, Noth und Rudolph sowie Willi werden deren unterschiedlichen Vorstellungen vorgetragen. Darüber, was jeweils als chronistischer Grundbestand und was als zusätzliche Bearbeitung und deren Hintergrund angesehen wird, bestehen zwar deutliche Differenzen. Trotzdem kann der Vf. bei fast allen referierten Positionen darauf hinweisen, daß sie mit ihren zeitlichen Verortungen der letzten Bearbeitungsstufen nicht fern von der eigenen liegen. Im Unterschied zu den meist eher geringschätzigen Behandlungen dieser "Zusätze" liegt dem Vf. durchaus an diesen jungen Materialien zur Bestimmung der chronistischen Eigenart. Dabei gelänge mit "dem Modell ’Schule’" immerhin, "Kontinuität literarischer Arbeit in einem Kreis von Verfassern" (100) positiv zu verstehen. Allerdings wäre auch für die Wachstumsvorgänge auf dem Hintergrund einer "chronistischen Schule" mit ihrem "beachtenswerten literatursoziologischen Rahmen für die Erklärung der Komplexität des Textes" das Problem verbunden, daß ein solches Modell "weitgehend auf die Identifizierung dieser Vorgänge am Text" (101) verzichtet.

Deshalb schildert der Vf. den von ihm eingeschlagenen methodischen Weg als "diachrone Kompositionskritik" in "Aufnahme älterer Ansätze ... von Steck und seiner ’Schule’" (101). Als Maßstab fungieren bei diesem Zugang auf Einzeltexte und Gesamtwerk die zu erhebenden Indizien "Geschlossenheit" bzw. "Kohärenzstörungen" (103). Dabei gewinnt das sich ergebende Bild von der Textentwicklung zwangsläufig an Plausibilität, je mehr Abschnitte in eine entsprechende Analyse einbezogen werden. Grenzen einer "sich an Kohärenzstörungen orientierenden Literarkritik ... hinsichtlich der Rekonstruktion von Bearbeitungsprozessen" (105) werden zwar vom Vf. artikuliert. Diese Grenzen können seiner Meinung nach jedoch mittels eines Verfahrens erweitert werden, das er ",indirekte’ Literarkritik" nennt und das als Rückschlußverfahren aufgrund der Redaktionskritik zu verstehen ist. Es erlaubt, "auch Textabschnitte, die spannungsfrei in einen Text eingebunden sind, entstehungsgeschichtlich von diesem zu trennen und einer Redaktion zuzuweisen" (105).

Unter den so geschilderten Voraussetzungen werden für eine Entstehungsgeschichte im dritten Kapitel die "Analysen ausgewählter Textkomplexe" durchgeführt. Zu vier größeren Einheiten sowie zu einigen zusätzlichen Einzelabschnitten werden detaillierte Diskussionen auch der Sekundärliteratur geboten, die regelmäßig von der Präsentation wichtiger Textelemente ausgehen, die die Struktur erhellen. Im zweiten Schritt folgen darauf jeweils die ungleich umfangreicheren Abschnitte zur Textentstehung und zu entstehungsgeschichtlich vergleichbaren Passagen ­ vor allem aus Esr/Neh. Die Auswahl der Textkomplexe orientiert sich dabei nicht an der Chr-Abfolge, sondern bietet nacheinander für die späte Königszeit 1. die umfangreiche Hiskija- (2Chr 29-32) und 2. die Joschija-Erzählung (2Chr 34-35), die beide u. a. von hervorgehobenen Pessach-Feiern am Tempel handeln. 3. bilden die David- (1Chr 23-29) und 4. die Salomo-Erzählung (2Chr 1-9) für die Anfänge der Königszeit die Grundlage, um die Schilderungen des Beginns der kultischen Institutionen des Tempels zu untersuchen. Die zusätzlichen Abschnitte bringen mit 1Chr 9 Abstammungslisten (u. a. von Tempelpersonal) aus der "genealogischen Vorhalle" in die Analyse ein, deren Zuordnung zur Entstehungsgeschichte des Endtextes gerade auch in Auseinandersetzung mit neueren Entwürfen von Interesse ist. Ähnlichen Interessen verdankt sich auch die übrige Auswahl von 2Chr 13,9-11 mit der Abgrenzung der Kultfunktionäre im Konflikt zwischen Abija und Jerobeam, von 2Chr 20,14.18-22.28 mit Joschafats "Kultprozession" sowie von 2Chr 26,16-21 mit dem kultischen Konflikt zwischen Usija und Priestern.

Wie sich dem Vf. diese ausführlichen eigenen Analysen sowie die Auseinandersetzung mit Meinungen aus der Sekundärliteratur zu einem Gesamtbild verdichten, wird im vierten Kapitel vorgestellt: "Entstehung und Theologie der Chronik im Horizont des Kanons". Obwohl der "Bearbeitungsprozeß zwischen einer hypothetischen Grundgestalt ... und der Endgestalt ... als ein in sich vielgestaltiger und vielschichtiger Vorgang vorzustellen" (417) ist, sieht der Vf. vor allem drei wichtige Bearbeitungsebenen. Dabei ist die Vorstellung nicht etwa so, daß von den jüngeren Bearbeitungsebenen ganz fremde Vorstellungen dem Text hinzugefügt werden, sondern "das kultische Interesse ist ... die ’Klammer’, die den Zusammenhang zwischen der Grundschicht und den Bearbeitungen gewährleistet" (418). Konkret sind es besonders zwei Elemente, die "alle Stufen der Textentwicklung durchziehen ... die Stilisierung Davids als ’neuer Mose’" (418) und die damit "eng ... zusammenhängende Betonung der historischen und funktionalen Kontinuität zwischen dem mosaischen Wüstenheiligtum und dem salomonischen Tempel" (418). Für den Vf. stellen sich Gemeinsamkeiten und Differenzen der Ebenen so dar, daß "die sekundären Textelemente ... formal ... als ’Fortschreibungen’ zu charakterisieren sind" (419). "Inhaltlich liegen in den Bearbeitungen Ergänzungen, Entfaltungen oder Weiterführungen des jeweils vorgegebenen Bestandes vor" (419). Derartige "thematische Entwicklungen und Verschiebungen des thematischen Interesses in der Abfolge der Bearbeitungen" faßt der Vf. in den drei Bearbeitungsebenen zusammen:

1. Rein umfangsmäßig stehen an erster Stelle Ergänzungen betreffs des Kultpersonals, die in verschiedenen Bearbeitungen eingetragen wurden.

2. Als zweite Bearbeitungsebene gilt die Gemeinde-Schicht, bei der die Texte "Verlagerung des thematischen Interessenschwerpunktes von den Belangen des Kultpersonals zu den Aufgaben und Leistungen der Gemeinde und ihrer Oberen" (429) erkennen lassen.

3. Als drittes wird zu "einer Bearbeitungsphase ... cum grano salis" zusammengefaßt, was zuvor getrennt als Kult-Schicht und als Nordreich-Polemik bezeichnet wurde.

Für den Vf. läßt sich trotz der inhaltlichen Diskontinuität der drei Bearbeitungsebenen die formale Kontinuität durch den Begriff "Prozeß" integrieren: "Die Entstehung ist prozeßhaft zu denken, ... als literarischer, genauer: schriftgelehrter Prozeß" (437), wobei "die Zeitdauer des Prozesses ziemlich gering anzusetzen" (437) sei. Mit dieser Charakterisierung ergibt sich eine "literatursoziologische Brücke" zu Vorstellungen, wie sie Albertz über die Träger der Chr als Schriftgelehrte geäußert hat.

Ähnlich ergibt sich für das Gegenüber von Esr/Neh zu Chr eine Zusammenführung, die keine exklusive Verhältnisbestimmung bedeutet: Chr verwendet Esr/Neh, es seien aber auch umgekehrt in Esr/Neh "Einträge erfolgt, die mit den Bearbeitungen in 1/2Chronik zusammenhängen" (443).

An zwei Beispielen führt der Vf. vor, wie Chr sich zu "kanonischen Vorgaben" (444) verhält: Einerseits läßt die Bundestheologie in Chr erkennen, wie Verheißungen gegenüber David immer stärkeres Gewicht erhalten. Andererseits ist mit den speziellen Akzentsetzungen in Chr jedoch nicht eine absichtliche Zurückdrängung etwa der Exodusüberlieferung verbunden, wie z. T. in der Literatur behauptet wird. So ergibt sich für den Vf. die Gelegenheit, abschließend seine Datierung und Deutung der Chr im Zusammenhang der Entstehung des dritten Kanonteils als ein kohärentes Ganzes vorzustellen. Das Verzeichnis der Literatur und Stellenregister erlauben, auch formal diesen weiten Bogen nachzuvollziehen.

Die inhaltliche Verarbeitung dieses Werkes, das immanent einen sehr geschlossenen Eindruck hinterläßt, ist stark davon abhängig, wie die Voraussetzungen beurteilt werden. Und hier liegt eine der Stärken der Arbeit: ihre Voraussetzungen deutlich zu markieren und damit zu kritischem Diskurs herauszufordern. Denn die Voraussetzungen sind z. Z. in der Chr-Exegese nicht eindeutig klärbar, so daß sich logisch zwingende Folgerungen ergeben müßten: Weder Spätdatierung noch Frühdatierung sind wirklich zu erweisen, ebenso wie weder für das zweite Jh. vor unserer Zeitrechnung noch für die Jamnia-Periode ein Kanonabschluß dokumentiert ist. So bleiben Argumente aus der Konvergenz mehrerer Annahmen.

Vom eigenen Kontext der Lektüre ergibt sich (bei grundsätzlicher Sympathie für die Spätdatierung und das Ernstnehmen des gesamten Textes als chronistisch) als offene Frage vor allem: Ist die vorausgesetzte Vorstellung vom Kanonisierungsprozeß nicht zu einlinig? Stellt das Nebeneinander von MT und LXX sowie vor allem Qumran nicht gerade die Abweichungen und Auseinanderentwicklungen vor Augen? Die exegetische Tradition, aus dem Prolog des Jesus Sirach die Dreiteilung hervorzuheben, unterschlägt meist dessen Nachsatz über den "nicht geringen Unterschied" (V. 26) der jeweiligen sprachlichen Fassungen. Wenn etwa 2Chr 33,19 auf Schriften mit dem "Gebet des Manasse" verwiesen wird, so existiert Vergleichbares in der LXX und in Qumran, aber nicht im MT. Es scheint, als könnte hinter Chr zumindest nicht eine Kanonisierungstendenz ausgemacht werden, die gleichgerichtet mit MT wäre. Das heißt noch nicht, daß nicht eine solche Tendenz existieren könnte, sondern nur, daß im Gegenüber zum Einheitlichkeit suggerierenden Begriff "Kanon" Unschärfen noch deutlicher zu markieren sind, in welchem Kontext und in Bezug auf welche Einheitssicht die Interessenlage der Chr genauer zu verorten wäre. Die Konkretisierung in Bezug auf die Konflikte ab der Makkabäer-Zeit wäre deshalb ein künftig weiter zu klärendes Desiderat, um genauer zu erläutern, für wen Chr welche Bedeutung in dieser Spätzeit gehabt haben könnte.

Mit Albertz ist zwar schon der Begriff von "Schriftgelehrten" ins Spiel gebracht. Doch verbirgt sich auch dahinter eher Unschärfe. Denn von Albertz ist diese Größe im Gegenüber zu einer abzulehnenden Annahme von levitischer Trägerschaft für Chr behauptet worden, ohne daß er jedoch erklärt hätte, was denn den Zusammenhang und Unterschied zu Leviten ausmacht [Fußnote: Zur Lektüre des zugrundeliegenden Textes aus Josephus Ant 12,142 und zur Auseinandersetzung mit Albertz vgl. meinen Beitrag: Leviten in spät-nachexilischen Zeit: Darstellungsinteressen in den Chronikbüchern und bei Josephus, in: "Gottes Ehre erzählen", Festschrift für Hans Seidel (eds. T. Arndt/M. Albani), Leipzig 1994, 127-151]. Gerade die Schilderung von Leviten u. a. als Schreiber und als Personen, die im Blick auf die Tempel-Heiligkeit und schriftliche Tradition eine Mittelstellung zum Volk einnehmen, scheint Chr wichtig zu sein. Ob sie diese Funktion als "Leviten" wahrnehmen, ist nicht etwa nebensächlich, sondern vor allem dafür wichtig, wie ihre "Gehaltsansprüche" biblisch zu begründen sind.

Diese Frage hängt wiederum mit dem Bild von Organisationsformen für "Gemeinde" zusammen, und dieses ist sicher ein in makkabäisch-hasmonäischer Zeit in Bewegung gekommener Vorstellungskomplex, der Regelungsbedarf neu freigesetzt hat. Fraglich ist für Chr, ob sich dabei die inhaltliche Trennung der "Gemeinde-Schicht" auf einer zweiten Bearbeitungsebene rechtfertigen läßt gegenüber der ersten, die dem Kultpersonal gewidmet ist. ­ Hier zeigt sich m. E. wiederum das Problem unterschiedlicher Voraussetzungen ­ insbesondere im Blick auf die Methode und die Anwendung ",indirekter’ Literarkritik". Diese führt nicht zu mehr Plausibilität oder gar zu logisch notwendigen Folgerungen. Denn es kann zwar sein, daß etwa 1Chr 28,12-19.21a einer anderen Entstehungs-"Schicht" zugehörig ist, aber es gibt keinerlei starke Indizien, daß diese Annahme wahrscheinlich wäre oder aufgrund anderweitig nicht erklärbarer Widersprüche gar so sein muß. Im Gegenteil: daß Dienstabteilungen für tempelbezogene Arbeiten mit in dem von David an Salomo übergebenen Plan des Tempels genannt werden (V. 13), macht erst das chronistische Sondergut über das Kultpersonal zu einer ausdrücklich schriftlichen (V. 19) Anordnung Davids (2Chr 8,14).

Diese Anmerkungen können und sollen aber nicht das große Verdienst des Vf.s herabsetzen. Vielmehr ist zu wünschen, daß künftig seiner Sicht folgend der biblische Text als ­ zweifellos gewachsenes ­ Textgefüge in den Blick kommt, das nicht etwa von "Zusätzen zu befreien" ist. Es ist nach der Bedeutung zu fragen, die der chronistische Textbildungsprozeß insgesamt gewonnen hat. Dabei für den von Chr erarbeiteten spezifischen Zugang an die Makkabäer-Zeit zu denken, ist weiterhin ein Datierungsvorschlag, der für die jüngsten Textbestandteile in das Konzert der Meinungen paßt. Daß dabei für die Bearbeitungsphasen bezüglich Kultpersonal, Repräsentation der Tempelgemeinde sowie gemeinsamer Kultpraxis Judas und der Nordgebiete "die Zeitdauer des Prozesses ziemlich gering anzusetzen" (437) sei, ist eine Vermutung, die zwar kaum zu überprüfen ­ jedoch denkbar ist.

Wenn diese zeitliche Zuordnung so zu verstehen ist, daß nur wenige Jahrzehnte Abstand zum Makkabäer-Aufstand für die Bearbeitungsstufen der Chr zu veranschlagen wären, dann fällt ­ verglichen mit dem Jahrhunderte-Abstand zur älteren Geschichtsschau der vorderen Propheten ­ der diachrone Aspekt der Bearbeitungen kaum ins Gewicht. Aufgrund der gemeinsamen Aktualität aller drei inhaltlichen Komponenten in den Umwälzungen dieser Spätzeit fragt sich dann auch: Läßt sich nicht die Balance in der Methode "diachrone Kompositionskritik" zugunsten des zweiten Teils verschieben, so daß die inhaltliche Verquickung von Personal, Gemeinde und Kultpraxis in der Endfassung im Zentrum des Interesses stände? Da die Schichten weder zeitlich noch historisch genauer bestimmbar sind, bleiben hypothetische Trennungen ohne besonderen Erkenntnisgewinn und bilden eher eine Fehlerquelle, durch die das eigene Bild von einem kohärenten Text zur Reproduktion gelangt. M. E. wäre entstehungsgeschichtlich eingestandene Unschärfe vorzuziehen.