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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

51-52

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Härdelin, Alf:

Titel/Untertitel:

Världen som yta och fönster. Spiritualitet i medeltidens Sverige.

Verlag:

Stockholm: Sällskapet Runica et Mediævalia 2005. 592 S. m. 19 Abb. gr.8° = Runica et Mediævalia Scripta minora, 13. Geb. ISBN 91-88568-261.

Rezensent:

H. Holze

Alf Härdelin, Nestor der schwedischen Mediävistik, hat ein wichtiges Buch über die Hermeneutik mittelalterlicher Spiritualität vorgelegt. Der Titel »Die Welt als Fläche und Fenster« intoniert die These des Buches, welche auf die Dialektik von sichtbarer und unsichtbarer, äußerer und innerer Wirklichkeit als Verstehensbedingung geistlicher Erkenntnis abzielt. Das erste Kapitel »Die Kirche der Sinne« nähert sich der äußerlichen, sichtbaren Kirche und fragt, auf welche Weise sich diese dem mittelalterlichen Menschen erschließt. Drei Ebenen werden unterschieden: der Kirchenraum mit Inventar und Kunstwerken; die liturgischen Feiern, Gebete, Hymnen und Prozessionen; die Predigten und hagiographischen Texte. Das durchgängige Thema ist die zwischen Schöpfung, Sündenfall, Wiederkunft und Gericht entfaltete Heilsgeschichte Gottes. Der Vf. macht deutlich, dass die Kirche Teil der geschaffenen Welt ist, eine äußerlich wahrnehmbare Fläche (»yta«), die jedoch nicht verschlossen, sondern auf die für irdische Augen unsichtbare Wirklichkeit hin durchsichtig ist, die also Fenster (»fönster«) hat, durch welche Erfahrungsräume des Göttlichen sich eröffnen.

Das folgende Kapitel »Die Kirche der Mysterien« lenkt den Blick auf diese zweite Erkenntnisebene, die den weltlichen Sinnen verborgen ist, sich jedoch nicht an ihnen vorbei, sondern nur durch sie hindurch dem geistlichen Verstehen eröffnet. Der Vf. erblickt darin eine Analogie zum Verhältnis wahren Mensch- und Gottseins in Christus, die sich auch in der horizontalen und vertikalen Gestalt des Kreuzes spiegelt. Charakteristisch für die transzendierende Perspektive mittelalterlicher Theologie ist der Gebrauch bildhafter Sprache und die Verwendung von Gleichnissen, aber auch die Indienstnahme metaphorischer Wortfelder wie des Wanderns und der Ehe, welche die vorfindliche Wirklichkeit auf das Ewige hin aufbrechen. Der Vf. erläutert diese hermeneutische Grundstruktur an zwei Beispielen: zunächst an der Trinitätstheologie, die im Mittelalter nicht als theoretische Lehre, sondern als praktische Theologie verstanden wird, welche die Gegenwart des Dreieinigen als eine Wirklichkeit beschreibt, die in der Welt durch die Kirche als Leib Christi Gestalt gewinnt; sodann an den Sakramenten, die als Fenster gedeutet werden, durch die das Geheimnis der ewigen Vollendung des Gottesvolkes schon jetzt erfahrbar wird. Mittelalterliche Spiritualität ist darum keine allgemeine, individuelle Geisteshaltung, wie der heutige Gebrauch des Begriffs es nahezulegen scheint, sondern eine konkrete, kirchliche Lebenshaltung, die in die Gemeinschaft des Glaubens eingebunden und auf die Erfahrung des Geheimnisses der Sakramente ausgerichtet ist.

Der Vf. entwickelt seine Argumentation auf einer beeindruckend breiten Quellenbasis. Aus der Universitätsbibliothek Uppsala und der Dombibliothek Strängnäs werden mehr als 100 ungedruckte mittelalterliche Quellen herangezogen: liturgische Bücher, Predigten zum Kirchenjahr, hagiographische Texte, geistliches Schrifttum. Außerdem werden zahlreiche gedruckte Quellen herangezogen. Auch wenn diese Quellen schwedischen Ursprungs sind, haben die aus ihnen gewonnenen Einsichten für die Geistesgeschichte des Mittelalters insgesamt Bedeutung. Dem Vf. ist eine großartige Darstellung gelungen, der viele Leser zu wünschen sind.