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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

33-35

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

< B>Frey, Jörg, u. Jens Schröter [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. IX, 707 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 181. Lw. EUR 109,00. ISBN 3-16-148581-5.

Rezensent:

Walter Klaiber

Die soteriologische Deutung des Todes Jesu gehört zum Kernbestand christlicher Verkündigung. Die entsprechenden Aussagen des Neuen Testaments und der dogmatischen Tradition treffen allerdings in unserer Zeit auf Unverständnis und Kritik ­ und zwar bis weit hinein in die christliche Gemeinde. Es sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe exegetischer Arbeiten erschienen, die zu einem neuen Verständnis der entsprechenden biblischen Aussagen verhelfen wollen. Dennoch sind viele Fragen offen geblieben. Darum sucht der hier anzuzeigende Sammelband den »exegetisch-systematischen Dialog über urchristliche Verständnisweisen des Todes Jesu und deren Implikationen für heutiges theologisches Denken und gegenwärtige kirchliche Praxis« (V). Die in dem Band publizierten Aufsätze sind bei einem von der DFG finanzierten Rundgespräch vorgetragen und diskutiert worden. In der Druckfassung wird deshalb von einigen Autoren auf die Beiträge anderer reagiert. So ist das Buch mehr als nur eine Zusammenstellung von Arbeiten verschiedener mit dem Thema befasster Autoren, auch wenn Divergenzen nicht ausgeblendet werden.Ein erster Teil das Buches (I. Zur Einführung) beginnt mit einem methodischen Überblick von Jörg Frey: Probleme der Deutung des Todes Jesu in der neutestamentlichen Wissenschaft. Streiflichter zur exegetischen Diskussion (3­50). Anhand der neueren Forschungsgeschichte benennt Frey die grundsätzlichen exegetischen und hermeneutischen Fragen zum Thema. Der zweite Herausgeber, Jens Schröter, greift in Sühne, Stellvertretung und Opfer. Zur Verwendung analytischer Kategorien zur Deutung des Todes Jesu (51­71) das semantische Problem der verwendeten Begrifflichkeit auf. Seine These: Alle drei Begriffe »sind keine biblischen Begriffe, sondern Abstraktionen, die einen komplexen traditionsgeschichtlichen, semantischen und argumentativen Befund deuten« (69). Das ist kein Plädoyer dafür, auf diese Kategorien zu verzichten. Aber: »Die Nachzeichnung des Textbefundes sollte sich .. sprachlich so eng wie möglich an diesem orientieren, wogegen Systematisierungen der Textphänomene erst einen zweiten hierauf aufbauenden Schritt darstellen können. Nur so ist gewährleistet, daß die Deutungskategorien von dem biblischen Befund selbst unterschieden bleiben und an diesem kritisch geprüft werden.« (71) Die Einleitung schließt Friederike Nüssel mit ihrem Beitrag: Die Sühnevorstellung in der klassischen Dogmatik und ihre neuzeitliche Problematisierung (73­94). Sie hält abschließend fest, »daß die neuzeitliche Problematisierung der traditionellen Deutung des Todes Jesu Christi durch die Satisfaktionstheorie den Anstoß gegeben hat, im Rekurs auf das Neue Testament ein tieferes Verständnis des Kreuzestodes Jesu Christi in seiner Bedeutung für den Menschen zu gewinnen« (94).

Dieses optimistische Fazit macht neugierig auf den nächsten Teil: II. Alttestamentliche, judaistische und religionsgeschichtliche Horizonte. Er wird eröffnet durch Bernd Janowski, Das Leben für andere hingeben. Alttestamentliche Voraussetzungen für die Deutung des Todes Jesu (97­118). Er zeigt den alttestamentlichen Hintergrund so unterschiedlicher Aussagen wie Joh 10,11; Mk 14,34; Röm 3,25 auf und entwickelt daraus den Begriff der »Lebenshingabe« als den »kleinsten gemeinsamen Nenner für die Deutung des Todes Jesu im Urchristentum« (117). Hochinteressant ­ gerade von ihm ­ ist das Fazit, »daß die Sühnevorstellung, so zentral sie gesamtbiblisch ist, weder der einzig legitime Verständniszugang zum Tod Jesu noch sein einigendes Band oder gar seine beherrschende ðMitteÐ ist: Anders gesagt: Die Sühnetradition ist ohne das Stellvertretungsmotiv nicht verständlich zu machen, aber die Stellvertretungsvorstellung führt nicht eo ipso zur Sühnetradition« (118)!

Einer Spezialfrage wendet sich Friedhelm Hartenstein in dem Beitrag Zur symbolischen Bedeutung des Blutes im Alten Testament (119­137) zu, der sein Thema sehr differenziert (u. a. mit einer Korrektur an früheren Aussagen von B. Janowski zu Lev 17,11) behandelt. Eine vielverhandelte Frage nimmt Jan Willem van Henten in Jewish Martyrdom and Jesus¹ Death (139­168) auf. Die Schlussfolgerung seiner umsichtigen Untersuchung ist zurückhaltend: Es könnte sein, dass Jesus seinen (erahnten) Tod mit Hilfe der Märtyrertradition gedeutet hat oder dass diese einige Aspekte zur frühchristlichen Deutung beigetragen hat. Friedrich Avemarie behandelt das Thema Lebenshingabe und heilschaffender Tod in der rabbinischen Literatur (169­211) und entfaltet ein breites Spektrum unterschiedlicher Aussagen und Motive, die dem Tod eines Menschen heilvolle Wirkung für sich selbst oder andere zuschreiben. Der entscheidende Unterschied zum Neuen Testament liegt darin, dass jede Andeutung einer Art christologischer Konzentration fehlt. Ein letzter, ausführlicher Beitrag in diesem Teil stammt von Henk S. Versnel zum Thema Making Sense of Jesus¹ Death. The Pagan Contribution (213­294). Im Anschluss an M. Hengel diskutiert er die Belege für die Vorstellung von einem (stellvertretenden) Tod für andere in der jüdisch-hellenistischen und griechisch-römischen Literatur und Kultur und schreibt dem paganen Einfluss eine hohe Bedeutung zu.

Ein dritter Teil behandelt III. Deutungen im Neuen Testament und im Urchristentum

Michael Wolter, Der Heilstod Jesu als theologisches Argument (297­313), warnt zunächst vor einer unreflektierten Verwendung von Begriffen wie Sühne oder Stellvertretung für neutestamentliche Texte zu Gunsten einer »saubere[n] Trennung zwischen quellensprachlichen und wissenschaftssprachlichen Begriffen« (304) und macht darauf aufmerksam, dass bei den Verwendungszusammenhängen von Aussagen über den Heilstod Jesu paränetische und ekklesiologische Gebrauchsweisen überwiegen. Noch einmal methodologischen Fragen widmet sich der umfangreiche Aufsatz von Ruben Zimmermann, ðDeutenÐ heißt erzählen und übertragen. Narrativität und Metaphorik als zentrale Sprachformen historischer Sinnbildung zum Tode Jesu (315­373). Zur Explikation erzählender und metaphorischer Deutung des Todes Jesu bedarf es eines längeren, theoriegesättigten Anmarsches, die Anwendung auf neutestamentlicher Texte erfolgt dann knapp, aber instruktiv am Beispiel der Johannespassion und am Begriff des Opfers. Ein Schlussabschnitt: »Die Deutung des Todes Jesu ­ ðnurÐ ein Sprachspiel?« stellt die Frage nach dem Wirklichkeitsbezug und der Wahrheit des neutestamentlichen Zeugnisses (370 f.). Thomas Söding, Sühne durch Stellvertretung. Zur zentralen Deutung des Todes Jesu (375­396), bietet ­ ausgehend von Röm 3,25 ­ das, was ich vor der Lektüre dieses Buches als den Konsens der neueren Exegese in der Frage der Heilsbedeutung des Todes Jesu genannt hätte. Hier steht es in Spannung zu den Ausführungen von Schröter oder Wolter! Einer Spezialfrage widmet sich Christine Schlund, Deutungen des Todes Jesu im Rahmen der Pesach-Tradition (397­411). Sie zeigt, dass mit dem Pesach-Mahl keine sühnende Funktion verbunden war, wohl aber der Gedanke des Schutzes einer Gemeinschaft. Als besonders hilfreich empfand ich Christfried Böttrich, Proexistenz im Leben und Sterben. Jesu Tod bei Lukas (413­436), weil er nachweist, dass das Fehlen von soteriologischer Begrifflichkeit für die Deutung des Todes Jesu kein Desinteresse an dessen Heilsbedeutung signalisiert. »Gerade die lkn. Soteriologie zeigt einmal mehr, dass dem Verständnis der Heilsbedeutung des Todes Jesu nicht mit terminologischen Mitteln allein beizukommen ist ­ bzw. daß erst aus verschiedenen begrifflichen und narrativen Ansätzen ein angemessenes Gesamtverständnis erwächst« (436). Cilliers Breytenbach, »Christus litt euretwegen«. Zur Rezeption von Jesaja 53 LXX und anderen frühjüdischen Traditionen im 1. Petrusbrief (437­454), sieht im 1. Petrusbrief »einen sehr eigenständigen Beitrag zum urchristlichen Nachdenken über die existenzbegründende Rolle des gewaltsamen Sterbens Christi und die paradigmatische Bedeutung seines Leidens« als »role model« für die Gemeinde (454). Eine subtile, rezeptionsästhetische Untersuchung insbesondere des Opfergedankens im Hebräerbrief liefert Hermut Löhr, Wahrnehmung und Bedeutung des Todes Jesu nach dem Hebräerbrief. Ein Versuch (455­476). Für mich kommt dabei allerdings die Bedeutung von Hebr 13,10­14 zu kurz. Thomas Knöppler, Das Blut des Lammes. Zur soteriologischen Relevanz des Todes Jesu nach der Johannesapokalypse (477­511), bietet eine sorgfältige traditionsgeschichtliche Analyse der relevanten Texte, wobei ganz unterschiedliche Motive wie Lösegeld oder Passalamm unter dem Leitgedanken der Sühne zusammengefasst werden, was in Spannung zu anderen Beiträgen in diesem Band steht.

Über den Bereich des Neuen Testaments hinaus führen
Enno Ezard Popkes, Die Umdeutung des Todes Jesu im koptischen Thomasevangelium (513­543), der gerade zu diesem Thema den Einfluss gnostischer Traditionsbildung feststellt, und Winrich A. Löhr, Deutungen der Passion Christi bei Heiden und Christen im zweiten und dritten Jahrhundert (545­574), der die gnostischen Umdeutungen des Sterbens Christi als Reaktion auf die Kritik gebildeter Heiden wie Celsus verständlich macht.

Ein Schlussteil bietet IV. Systematische und religionspädagogische Perspektiven. Philipp Stöllger, Deutung der Passion als Passion der Deutung. Zur Dialektik und Rhetorik der Deutungen des Todes Jesu (577­607), führt zur hermeneutischen Hypothese: »ðAuferweckungÐ ist die maßgebliche Deutung des Todes Jesu« (600). Es ist allerdings schade, dass dieser systematische Beitrag in keiner Weise auf die exegetischen Fragen und Antworten des Bandes Bezug nimmt. Mirjam Zimmermann, Die (Be-)Deutung des Todes Jesu in der Religionspädagogik. Eine Skizze (609­647), beschreibt die weitgehende Ratlosigkeit in der religionspädagogischen Literatur angesichts dieses Themas, skizziert aber auch Möglichkeiten, anknüpfend an »Opfer- und Erlösungsszenarien in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen« (635) zu einem Verstehen zu helfen. Auch bei ihr wird nicht klar, ob dazu präzisere exegetische Ergebnisse helfen können.

Das umfangreiche Werk bietet eine Fülle an exegetischen Einzelbeobachtungen und methodisch-hermeneutischen Überlegungen. Es wäre interessant gewesen, wenn jemand versucht hätte, in einer Art Bilanz am Schluss darzustellen, was sich inhaltlich und methodisch an Konsens und Dissens abzeichnet und welche Aufgaben für die weitere Forschung bzw. welche Hilfen für die heutige Verkündigung sich daraus ergeben. Aber vielleicht darf diese Arbeit den Lesern und Leserinnen nicht abgenommen werden. Der Band stellt einen gewichtigen Beitrag im Gespräch über die Heilsbedeutung des Todes Jesu dar, und es bleibt nur der Wunsch, dass er bald auch in einer preiswerten Studienausgabe zugänglich gemacht wird.