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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

24-26

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wrogemann, Henning:

Titel/Untertitel:

Missionarischer Islam und gesellschaftlicher Dialog. Eine Studie zu Begründung und Praxis des Aufrufs zum Islam (daŒwa) im internationalen sunnitischen Diskurs.

Verlag:

Frankfurt a. M.: Lembeck 2006. VIII, 510 S. gr.8°. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-87476-489-6.

Rezensent:

Adel Theodor Khoury

Dies ist ein bedeutendes Buch, das sich mit der zentralen Frage nach dem religiösen Auftrag der Muslime in den Ländern des Islam und in den nichtislamischen Staaten, nach ihrer Identität und ihrer Beziehung zum jeweiligen Staat und dessen Institutionen befasst.

Im Teil I (19­84) analysiert der Vf. die verschiedenen Inhalte des Begriffes daŒwa (Aufruf zum Islam) im Koran und gibt eine Übersicht über die Ausbreitungsgeschichte des Islam und die Instrumente dieser Ausbreitung: daŒwa und gih¯ad (hier im Sinne von Kampf für die Sache des Islam) und ihre unterschiedliche Handhabung. Es folgt eine Übersicht über die islamischen Reformbestrebungen im 19. und im frühen 20. Jh., dies im Kontext des westlichen Kolonialismus und des Einbruchs der Ideen der westlichen Moderne in die islamische Welt sowie im Hinblick auf die entsprechenden Reaktionen reformorientierter Muslime. Hier begegnen Namen wie Ibn Taymiyya (1263­1328), Afg. ¯an¯ž (1838­1898), Mu.hammad ŒAbduh (Ägypten 1849­1905), Sayyid A.hmad Kh¯an (Indien 1817­1898) und Mu.hammad Iqb¯al (Pakistan 1875­1938). ­ Diese Refombewegungen streben an, die Gesellschaft zu re-islamisieren und in Richtung der modernen Welt weiterzuführen oder auch notfalls mit radikaler Militanz die politischen Strukturen der Gesellschaft und des Staates im Sinne der islamischen Lebensordnung neu zu gestalten.

Die im Teil II (85­186) vorgestellten daŒwa-Bewegungen im 20. Jh. rufen zur Wiederherstellung der islamischen Einheit und zur nationalen Befreiung auf. Es kommt zur Gründung der Organisation der Muslimbruderschaft in Ägypten im Jahr 1928 durch H.asan al-Bann¯a (1906­1949) und zur Fortführung ihrer Aktivitäten unter der Leitung von Sayyid Qu.tb (1906­1966), der für eine aktive Islamisierung von Gesellschaft, Staat und Welt durch eine ­ notfalls mit Militanz erreichte ­ Umgestaltung der Lebensweise, der Strukturen und der Institutionen in den verschiedenen Ländern eintritt. Die in Indien entstandene »Gesellschaft zur Ausrichtung« der Botschaft (Tabl¯žg.¯ž G am¯aŒat) hat eine rein religiöse Ausrichtung. Die Gam¯aŒat-i Isl¯am¯ž von Maud¯ud¯ž (1903­1979) in Pakistan propagiert einen islamischen Staat als Alternative zu verschiedenen Formen des Nationalismus, was die Einführung des Schariatsrechts mit beinhaltet. Die islamische Welt kennt auch Tendenzen, die religiöse Verkündigung zur Stabilisierung politischer Ideologien (z. B. unter Nasser in Ägypten oder im Libyen Qad-d- ¯af¯i¹s) oder zur Konzentrierung auf rein religiöse Anliegen (in Saudi-Arabien) zu verwenden.

Der Teil III (187­375) befasst sich mit den daŒwa-Theologien und daŒwa-Strategien für das 21. Jh., im Rahmen der Bedingungen von Globalisierung und Pluralisierung der Weltverhältnisse. Der aus Palästina stammende Ism¯aŒ¯¯žl F¯ar¯uq¯ž versucht, die Vorzüge des Islam durch eine apologetische Darstellung traditioneller Prägung zu unterstreichen und ihre Beziehung zur Geistesgeschichte des Westens zu durchleuchten. Damit wird der Islam als eine aufgeklärte Religion mit universal gültigen Prinzipien bezeichnet, die eine erfolgreiche daŒwa-Tätigkeit erleichtert. Diese Tätigkeit verlangt aber eine ihr entsprechende soziale Ordnung. F¯ar¯uqž- äußert sich auch über den Dialog vor allem mit dem Christentum (215­224). Für Mu.hammad Shafiq ist die daŒwa eine Aufgabe zur Reformierung der islamischen Gemeinschaft selbst. Für den aus Indien stammenden Siddiqi zielt die daŒwa auf die Führung von Nicht-Muslimen zur Annahme des Islams und längerfristig auf die Errichtung einer islamischen Regierungsform, wobei Konflikte und aggressive Phasen in Kauf genommen werden. Rein religiöse Anliegen und apolitische Haltung: Das sind die Merkmale der Auffassung vom Saudi-Arabischen Autor Rab¯ž Œ ibn H¯ad¯ž al-Madh-al¯ž. Für den deutschen Muslim A.hmad von Denffer ist die daŒwa einfach die Einladung an Nicht-Muslime, den Islam kennen zu lernen und durch die Methoden der passenden Darstellung sich veranlasst zu fühlen, den Islam anzunehmen. Farid Esack aus Südafrika ist ein muslimischer Befreiungstheologe, der den Islam als Aufruf auffasst, sich der Sache der Armen und Unterdrückten anzunehmen und dafür die Zusammenarbeit mit anderen Religionen zu suchen. Am Ende dieser Reise durch das intellektuelle Spektrum der islamischen daŒwa-Literatur werden noch zwei Autoren erwähnt: Tariq Ramadan und A.hmad Shakr. Das Anliegen Ramadans ist, die islamische Identität z. B. in europäischen Ländern an die gesellschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, die Muslime zu animieren, am Leben dieser Gesellschaften aktiv teilzunehmen. A.hmad Shakr fordert die Muslime auf, den Dialog und die Zusammenarbeit mit den Anhängern anderer Religionen zu suchen.

Der Teil IV (376­449) behandelt folgende Themen: Pluralismusbegriff ­ daŒwa und Mission ­ Dialogbegriff ­ Toleranzbegriff ­ Grenze und konnektive Diskurse.

Was in diesem Teil geboten wird, ist in jeder Hinsicht beachtenswert. Der Leser, der das Buch so richtig verstehen und genießen will, sollte sich vornehmen, diesen Teil vorab zu lesen und dann erneut am Ende des Durchgangs. Denn dieser Teil bietet den Schlüssel zum Verständnis der gesamten Analysen des Buches. Er bietet inhaltlich und in methodischer Hinsicht eine beachtenswerte Reflexion über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von christlicher Mission und islamischer daŒwa, über die Einstellung zum Dialogbegriff und zur Dialogpraxis und über die Haltung der verschiedenen Richtungen zur Toleranz und Zusammenarbeit. So ist dieser Teil in seiner anspruchsvollen Gedankenführung und seiner dichten Formulierung ein wahrer Genuss und ein kluger Reiseführer.

Besonders interessant ist der Abschnitt über den Dialog. Hätte der Vf. mit derselben Ausführlichkeit und demselben Tiefgang die Frage behandelt, ob ein Dialog zwischen den Religionen und Weltanschauungen auch ohne unmittelbare Verbindung mit Missions-theorien und -strategien geführt werden kann, dann wäre dieser Abschnitt an sich eine beachtenswerte Abhandlung über den Dialog im Allgemeinen und seine verschiedenen Typen.

Noch einige Bemerkungen, die bei weiteren Auflagen dieses Buches berücksichtigt werden sollten: S. 27 zum Koranvers 30,25: Der Ruf ergeht durch Gott oder nach islamischer Tradition nicht durch Gabriel, sondern durch den Engel Isr¯afž-l. ­ S. 32 und öfter: Der Autor der Biographie Mu.hammads heißt nicht Ibn Is¯aq, sondern Ibn Ish.aq. Gerade weil der Vf. arabische Werke in den Anmerkungen und in der beeindruckenden Bibliographie (50 Seiten!) angibt, ist es ziemlich störend, zahlreiche Fehler in der Transliteration arabischer Namen und Wörter vorzufinden. Beispiel: S. IV und S. 3, Anm. 3: Es muss heißen: (u)dŒu Š mauŒi.zati Šg¯adilhum. ­ S. 14 und 454: al-Œa.sr al-.h¯adž-t- bedeutet nicht das Zeitalter des .h¯ad¯žt-, sondern das moderne Zeitalter. Es wäre wünschenswert, bei zukünftigen Auflagen den Text von einem Arabisten durchsehen zu lassen.

Anerkennung und Dank gebühren dem Vf. für diese hervorragende Studie.