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Ausgabe:

Januar/2007

Spalte:

21-23

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heine, Susanne:

Titel/Untertitel:

Grundlagen der Religionspsychologie. Modelle und Methoden.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 442 S. m. 10 Abb. 8° = UTB 2528. Kart. EUR 19,90. ISBN 3-525-03603-5 (Vandenhoeck & Ruprecht); 3-8252-2528-3 (UTB).

Rezensent:

Hans-Jürgen Fraas

Was erwartet der Leser von einem Buch, das den Titel »Grundlagen der Religionspsychologie« trägt? Denkt er an Phänomene religiösen Lebens wie Magie, Ritual, Mystik? Oder an Theorien religiöser Erfahrung im Rahmen psychischer Funktionsbereiche wie Fühlen, Wollen, Denken usw? Dann wird er vergeblich suchen. Der im Text häufig gebrauchte Begriff Voraussetzungen trifft den Sachverhalt besser. Die Vfn. geht davon aus, dass die jeweiligen philosophischen Prämissen der religionspsychologischen Theoriebildung weithin im Dunkeln bleiben. Diese zu erhellen setzt sie sich zur Aufgabe. Sie will »hinter die Kulissen psychologischer Theoriebildung« schauen (13).

Die philosophischen Prämissen (Kapitel 1) entscheiden sich am Verständnis von Religion, am Verständnis der menschlichen Seelentätigkeit im Verhältnis von unbewussten und bewussten psychischen Akten, von Ich und Selbst und damit dem Verständnis vom Menschen, und an der Methodologie in der Spannung von empirischem und hermeneutischem Ansatz.

Die Methodenfrage verweist auf die Gründungsphase der Religionspsychologie als selbstständiger Wissenschaft: Der neue, empirische Zugang sollte aus dem theoretischen Gestrüpp normativer Vorgaben in der vorausgegangenen Abhängigkeit von Theologie bzw. Philosophie herausführen. Aber auch bei Verzicht auf normativen Anspruch bleibt es bei philosophischen Voraussetzungen, die herausgearbeitet werden müssen. Dabei sollte die Rivalität zwischen quantitativen und qualitativen, zwischen empirischen und philosophisch-hermeneutischen Verfahren durch einen wechselseitigen Austausch überwunden werden (31).

Indem »das Engagement für die Religionspsychologie nicht aus einer neutralen Einstellung zur Religion erwächst« (24 f.), gewinnt für die Vfn. der biographische Umgang des jeweiligen Forschers mit Religion für seine Theoriebildung grundlegende Bedeutung. Dabei wird aber nicht unterschieden, ob Religion bzw. Religiosität als eigentlicher Forschungsgegenstand oder als Begleit- und Randerscheinung auftritt, es wird nicht unterschieden zwischen Religionspsychologen im engeren Sinn und Psychologen, deren eigenes Verhältnis zur Religion eine wie auch immer geartete Rolle für ihre Arbeit spielt. Logisch folgert die Vfn., und darin besteht eine wesentliche Empfehlung für die Lektüre: »Das vorliegende Buch Š kann Š auch, unabhängig vom Thema Religion, als eine Einführung in die Grundlagen der Psychologie gelesen werden«. Damit werden andererseits »Konzepte im theologischen Referenzrahmen« bewusst ausgespart. Das Beziehungsgeflecht zwischen Religion und Psyche bzw. Theologie/Religionswissenschaft und Psychologie, wie es der Begriff »Religionspsychologie« impliziert, wird also eingeschränkt auf die Darstellung von Psychologen in ihrer expliziten oder impliziten Beschäftigung mit Religion.

Kapitel 2 schildert in interessanten Überlegungen die Geburtswehen der Religionspsychologie (32). Erst im Cartesianischen System (33) konnte die Seelenkunde zur wissenschaftlichen Psychologie avancieren. Charakteristisch für diesen Übergang ist W. Wundt, der bei der experimentellen Methode gerade die Religion (noch) ausklammert, während er sie der (verstehenden) Völkerpsychologie zuordnet (36). Eine (ontologische) Metatheorie der Amerikaner (S. Hall, 53) sollte die getrennten Aspekte wieder verbinden und Religion und Naturwissenschaft versöhnen, aber »die Unableitbarkeit bestimmter religiöser Inhalte von den Erkenntnissen einer szientistischen Religionspsychologie ließ somit Theologie und Psychologie methodisch getrennt in ihrem je eigenen Recht bestehen« (63). Darum ist es sinnvoll, dass »Theorien Theorien bleiben« (65), ohne daraus eine monistische Metatheorie (57) zu entwickeln.

Das sehr abstrakte und komprimierte dritte Kapitel befasst sich mit dem Ineinander der drei genannten Faktoren. Religiosität wird entweder spezifisch inhaltlich (und damit eng) oder funktional (und damit unspezifisch weit) verstanden (81). Das wirkt sich in der Methodik aus: Die heute überwiegend zur Anwendung kommende empirische Methode setzt einen quantifizierbaren Gegenstand voraus und engt damit ein. Die qualitativ-hermeneutische Methode greift durch Bezug auf die Sozialwissenschaften weiter. In ihrem Zentrum steht das Interview. Eine Reihe von Theorie-Ansätzen wird gestreift, so die »objektive Hermeneutik« U. Oevermanns, die Theorie G. H. Meads, die »Grounded Theory« nach B. Glaser und A. Strauss, die Frage nach den verborgenen Sinnstrukturen nach M. Lueger usw.

Als Störfaktor erweist sich für die empirische Methode die Selbstreflexivität: »Steuert das Gehirn das Selbst-Bewusstsein oder das Selbst-Bewusstsein das Gehirn?« (96). Das »psychophysische Problem« (99) wird am Beispiel historischer Prozesse bzw. Forscherpersönlichkeiten aufgearbeitet. Weder das bloß empirische noch das bloß ontologische Modell haben Raum für den kreativen menschlichen Geist (103). Der Geist kreiert Theorien, die Empirie bezieht sich auf die gelebte Wirklichkeit ­ beide vermögen sich gegenseitig zu kritisieren und in Bewegung zu halten.

Von Kapitel 4 bis 10 werden einzelne Modelle besprochen, wobei W. James, S. Freud und C. G. Jung je ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Mit den »Gründerfiguren der Psychologie« (32), in deren Darstellung wissenschaftsgeschichtliche, -geographische und -politische Elemente hineinspielen und die zu einer nun auch personellen Unterscheidung von empirischem, psychoanalytischem und ontologischem Modell führt, liegt der Schwerpunkt auf einer großen Anzahl von Persönlichkeiten bzw. von wissenschaftlichen Biographien, ein anspruchsvolles Programm, das mit viel Gelehrsamkeit und Akribie in unterschiedlicher Intensität durchgeführt wird. Die Einzeldarstellungen sind zum Nachlesen bestens geeignet. Wiewohl es sich dabei zwangsläufig nur um eine »paradigmatische Auswahl« handeln kann, stellt sich dennoch die Frage nach der Begründung der Ausgrenzungen. Warum wird der Kognitivismus überhaupt nicht erwähnt, obwohl Piaget doch eine wesentliche Rolle in der religiösen Entwicklungspsychologie spielt? Warum fehlen A. Lorenzer, P. Ric¦ur? Der Name J. Lacans wird durchgängig (!) falsch wiedergegeben, ein Hinweis auf die einzige theologische Lacan-Rezeption im deutschsprachigen Bereich (Schneider-Harpprecht) fehlt.

Die Vfn. will neue Perspektiven für pädagogische und politische Strategien entwickeln (396), indem sie »den Interessierten möglichst viele Hinweise« gibt (14), was ihr durchaus gelingt. Und sie will die Wahl einer bestimmten Position für die eigene Arbeit erleichtern. Damit ist die Frage nach den Adressaten gestellt. Wer soll angesprochen werden, Psychologen? Theologen? Laien? Theologen werden vermissen, dass die systematisch-theologische bzw. philosophische Diskussion etwa um Freuds Wissenschafts- und Realitätsverständnis, um Jungs »Neuplatonismus« bzw. »Gnosis«, um die Anthropologie der Humanistischen Psychologie ebenso wie die praktisch-theologische Anwendungsreflexion (Pastoralpsychologie, Seelsorge, religiöse Entwicklungspsychologie) völlig ausgespart bleiben. Der letzte Rechtsgrund aller Wissenschaft liege im »Praktischwerden«, nämlich der Frage, ob Religiosität die seelische Gesundheit fördert, oder ob sie krank macht (20). Gerade dieses »Praktischwerden« (20) bleibt hier aber bewusst offen: »Wieweit Theologie und Seelsorge von der Religionspsychologie lernen können, steht auf einem anderen Blatt« (396).