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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1342–1344

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Briggs, John, Oduyoye, Mercy Amba, and Georges Tsetsis [Eds.]:

Titel/Untertitel:

A History of the Ecumenical Movement. Vol. 3: 1968­2000.

Verlag:

Geneva: WCC Publications 2004. XIX, 697 S. gr.8°. Kart. Euro 50,00. ISBN 2-8254-1355-0.

Rezensent:

Günther Gaßmann

Die ökumenische Bewegung gehört zweifellos zu den herausragenden Erscheinungen der Kirchengeschichte des 20. Jh.s. Sie hat das Bekenntnis zum universalen Charakter der Kirche Jesu Christi erfahrbar gemacht, theologische Horizonte erweitert und vielgestaltige Formen von gegenseitigem Kennenlernen, von Zusammenarbeit und Gemeinschaft ermöglicht. So ist es nur verständlich, dass neben das inzwischen noch kaum überschaubare Heer populärer wie wissenschaftlicher Veröffentlichungen mit allgemeinen Überblicken oder spezifischen Themenstellungen auch umfassendere Darstellungen treten, die das Ganze in den Blick zu nehmen suchen. Bereits 1954 erschien die (jetzt als Band 1 gezählte) Geschichte der ökumenischen Bewegung 1517­1948 (hrsg. von Ruth Rouse und Stephen Charles Neill, deutsch 2 Bände, Göttingen 1957/58). Dieser Band spannte einen weiten Bogen von der Reformation bis hin zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948, wobei das Schwergewicht besonders auf der ersten Phase der modernen ökumenischen Bewegung von 1910 bis 1948 lag. Dem folgte 1970 (im englischen Original ausdrücklich als »Band 2« bezeichnet) die Geschichte der ökumenischen Bewegung 1948­1968 (hrsg. von Harald E. Fey, deutsch Göttingen 1974). Dieser Band behandelte vor allem die formativen ersten 20 Jahre des ÖRK von Amsterdam 1948 bis Uppsala 1968 und damit bis hin zur bedeutsamen Erweiterung der ökumenischen Bewegung durch die offizielle Beteiligung der römisch-katholischen Kirche. Diesen beiden Bänden schließt sich nun der hier angezeigte dritte Band an, der den Zeitraum seit der Vollversammlung des ÖRK 1968 in Uppsala behandelt.

Das in diesem dritten Band versammelte umfangreiche Material ist in drei Hauptteile gegliedert. Teil I enthält fünf umfassender angelegte Aufsätze, die so etwas wie einen Rahmen für die dann folgenden Beiträge zu spezifischen ökumenischen Themen in Teil II bieten sollen. Der »Global Context of Ecumenism 1968­2000« wird vom Kirchenhistoriker Martin E. Marty (Chicago) in einer stark soziologisch bestimmten Darstellung des säkularen Rahmens und dessen Einflüssen auf die ökumenische Bewegung der 30 Jahre vor der Jahrtausendwende mit ihren kennzeichnend gewordenen zentrifugalen, divergierenden Entwicklungen, Konflikten und Tribalismen beschrieben. Der Schweizer Theologe und frühere Direktor (1980­1992) von »Glauben und Kirchenverfassung«, Lukas Vischer, beschreibt den engeren Rahmen der ökumenischen Bewegung von 1968 bis 2000 in »Major Trends in the Life of the Churches«, wobei Entwicklungen in den einzelnen Kirchengruppen und in der Christenheit insgesamt auch in ihren ökumenischen Zusammenhängen dargestellt werden. Noch spezifischer ökumenisch ist der Rahmen in »Assessing the Ecumenical Movement« von Michael Kinnamon, einem der kenntnisreichsten nordamerikanischen Ökumeniker, der eine realistische Be standsaufnahme und Bilanz der Fortschritte und Probleme in nahezu allen ökumenischen Arbeitsfeldern vornimmt: Church Unity; Mission and Evangelism; Interfaith Dialogues; Ecumenical Social Thought and Action; Interchurch Aid and Diakonia; Education; Participation (von Frauen, Jugend, Behinderten und Laien); Orthodox Participation; Roman Catholic Participation; Spirituality and Worship; Councils of Churches; Local Ecumen ism; Tensions and Transitions (am Ende der behandelten Pe riode).

Im dritten umfassenderen einleitenden Aufsatz werden in »The Unity We Share, the Unity We Seek« noch einmal eingehender die theologischen Überlegungen und Konzeptionen zur Einheit der Kirche ­ auf diese Weise, beabsichtigt oder nicht, als das zentrale Anliegen der ökumenischen Bewegung herausgehoben ­ im Rahmen der Arbeit der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung von deren Vize-Moderatorin Melanie A. May vorgestellt. Dass die ökumenische Bewegung durch die stärkere ökumenische Profilierung der weltweiten christlichen Gemeinschaften (konfessionellen Weltbünde) und vor allem durch deren bilaterale theologische Dialoge eine wesentliche Erweiterung und Bereicherung erfahren hat, wird von einem der besten Kenner der Materie, Harding Meyer, in »Christian World Communions« beschrieben und begründet.

Die 12 Beiträge des Teils II des Buches befassen sich aus führlicher mit den oben bei Michael Kinnamon bereits genannten ökumenischen Arbeitsbereichen und dazu noch mit »The Bible in the Ecumenical Movement«; »Racism and Ethnicity«; »Science, Technology, Ecology« ­ endend mit einer Behandlung der Kritik und Ablehnungen des ÖRK in den letzten Jahrzehnten, denen Martin Conway in »Under Public Scrutiny« nachgeht.

Teil III des Buches befasst sich mit den ökumenischen Entwick lungen in den einzelnen Regionen der Welt. Dieser Teil wird eingeleitet vom orthodoxen Mitherausgeber des Buches, Georges Tsetsis, der in »The Significance of Regional Ecumen ism« darlegt, dass zu den wichtigsten ökumenischen Entwick lungen der letzten Jahrzehnte der regionale Ökumenismus mit seinen Arbeits- und Organisationsformen gehört. Dies wird in den sich anschließenden acht Überblicksartikeln zum Ökumenismus in Afrika, Asien, Europa, in der Karibik, in Lateinamerika, im Mittleren Osten, in Nordamerika und im pazifischen Raum näher entfaltet. Sie behandeln dessen historische Voraussetzungen, die sozio-politischen und kulturell-religiösen Rahmenbedingungen, die theologischen und sozialethischen Überlegungen und Akzentsetzungen sowie die kirchlichen Einheits- bemühungen, die ökumenischen Dialoge und Formen der Zusammenarbeit in Fragen von Gerechtigkeit und Frieden, die neuen christlichen Be wegungen, die nationalen und regionalen ökumenischen Organisationsformen und Zielsetzungen, Fortschritte und Probleme regionaler ökumenischer Arbeit.

Teil IV des Buches besteht aus einem einzigen Beitrag, den der Mitherausgeber und Historiker John Briggs (Oxford) ge schrieben hat. In einer kritischen und breit angelegten Analyse beschreibt er in »The Changing Shape of the Ecumenical Movement« solche Entwicklungen, Ereignisse, weitreichenden Veränderungen, Konflikte und Themenschwerpunkte, die die Ge schichte der ökumenischen Bewegung und besonders des ÖRK in den letzten Jahrzehnten geprägt haben und die der Vf. mit vorsichtigen Ausblicken auf den zukünftigen Weg verbindet. Der frühere Bibliothekar des ÖRK, Pierre Beffa, hat zu jedem Kapitel und zum gesamten Buch Bibliographien mit ausgewählten Veröffentlichungen beigesteuert.

In einer Beurteilung des Buches drängen sich kritische An mer kungen geradezu auf. So finden sich in den beiden ersten Teilen zahlreiche Überschneidungen und Verdoppelungen. Zum Beispiel wird an fünf und mehr Stellen über die ökumenische Be teiligung der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirchen oder über die ökumenische Diskussion über die Stellung der Frauen in Kirche und Gesellschaft berichtet.

Schwerwiegender ist noch das Fehlen an historischer Genauigkeit und Rechenschaft in vielen Beiträgen, wenn z. B. wichtige Konferenzen, Entscheidungen oder Dokumente ohne Quellenangaben erwähnt werden oder Verweise nur gelegentlich gegeben werden. Historische Abläufe in bestimmten ökumenischen Arbeitsbereichen werden zuweilen recht lücken haft oder schematisch dargestellt. Leitende oder einflussreiche Personen kommen praktisch nicht vor. Es fehlt eine Liste der Präsidenten, Vorsitzenden des Zentralausschusses und Generalsekretäre des ÖRK während des behandelten Zeitraums. Ebenso wäre eine Liste der Vollversammlungen, verschiedenen Weltkonferenzen, Sitzungen des Zentralausschusses und eventuell wichtiger Konferenzen hilfreich gewesen. Als Nachschlagewerk und Hilfsbuch für weitere Studien ist das Buch somit nur bedingt brauchbar.

Auf der anderen Seite findet sich in einem Werk mit so vielen kompetenten Autoren eine Fülle an Material und kritischen wie weiterführenden Analysen. Dies gilt besonders für die Beiträge in Teil III über den Ökumenismus in den einzelnen Weltregionen sowie für manche Überblicke über ökumenische Arbeitsbereiche in Teil II. Die Beiträge blicken bewusst über den ÖRK hinaus auf die umfassendere ökumenische Bewegung und erwähnen kritisch deren selbstverschuldete Krisen und Einseitigkeiten wie auch deren Fortschritte und positive Ergebnisse. Sollte eine deutsche Übersetzung geplant sein, so wären redaktionelle Modifikationen wie auch die oben erwähnten Ergänzungen zu empfehlen.