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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1339–1341

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Nipkow, Karl Ernst:

Titel/Untertitel:

Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert. 2 Bde.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. Bd. 1: Bildungsverständnis im Umbruch ­ Religionspädagogik im Lebenslauf ­ Elementarisierung. 406 S. 8°. Kart. Euro 44,00. ISBN 3-579-05221-7. Bd. 2: Christliche Pädagogik und Interreligiöses Lernen ­ Friedenserziehung ­ Religionsunterricht und Ethikunterricht. 442 S. 8°. Kart. Euro 48,00. ISBN 3-579-05222-5.

Rezensent:

Bernd Schröder

Auf ca. 850 Seiten präsentiert der Tübinger Altmeister der Religionspädagogik 12 bislang unveröffentlichte und 26 (z. T. an entlegener Stelle) bereits publizierte Vorträge und Studien, die (von fünf Ausnahmen abgesehen) aus den Jahren 2000­2005 stammen. Rückblickend ordnet N. diese Arbeiten als Beiträge zu sieben Themenbereichen, denen in den Veröffentlichungen N.s seit langem prominentes Gewicht zukommt. Sie werden in den Un tertiteln der Teilbände genannt. Kurze Einführungen zu den Bänden und gelegentliche Querverweise sollen für einen transparenten Zusammenhalt der Beiträge sorgen. Methodisch betont N. einmal mehr den »Doppelakzent auf Pädagogik und Theologie« und »interdisziplinäre Vernetzung« (I,7). Doch weniger die Komposition ist beeindru ckend als vielmehr der Um stand, dass N. noch einmal ein solch voluminöses Werk publiziert, das vielfach durch Gedanken- und Argumentenreichtum überzeugt.

Als erster Themenbereich wird »Bildungsverständnis im Um bruch« angesprochen (I, 15­160). N. denkt hier blinden Flecken des Bildungsbegriffs nach ­ und kommt zu anregenden Neuakzentuierungen. Eindrücklich ist etwa die »geschichtliche Rekonstruktion des Bildungsbegriffs unter dem Gesichtspunkt der Entfremdungsproblematik« (I, 41), entscheidend darin der Satz: »Bildung wollte Entfremdung überwinden; sie ist jedoch als institutionalisierte, verschulte Bildung selbst zu entfremdeter Bildung Š geworden« (I, 20). Für ebenso bemerkenswert (weil selbstkritisch gegen die Modellierung von »Bildung als ðSelbstbildungЫ gerichtet) halte ich die Skizze eines Denkmodells von »Bildung als ðVeränderung (Wandlung, Umkehr) durch WiderfahrnisseЫ (I, 78 ff.), die N. im Rückgriff auf Eugen Rosenstock-Huessy und dessen Weggefährten sowie auf Plato entwirft. Doch N. rollt nicht nur »historisch-analytisch« (I, 108) geistesgeschichtliche Zusammenhänge auf, er nimmt u. a. auch Stellung zur Frage der Bildungsstandards für den Religionsunterricht: Grundsätzlich »vertragen sich« seines Erachtens Standardisierung und Kompetenzorientierung »mit der modernen Religionsdidaktik« (I, 132), allerdings dürfen sich weder Religion noch Religionsunterricht auf Problemlösungsstrategien reduzieren lassen; vielmehr müssen sie Raum für »selbstreflexives Lernen« geben ­ beides berechtigte, allerdings auch weithin bewusste Monita. Unverkennbar liest N. so den Standard-Diskurs von seinen Erfahrungen mit der Curriculum-Diskussion der 70er Jahre her.

Der zweite Beitragsblock betrifft religionspädagogische Herausforderungen des Lebenslaufs »von der Kindheit bis zum Alter« (I, 161­303): die Suche nach »Sinn«, die Frage danach, wie viel religiöse Pluralität Kinder vertragen, Überlegungen zur Konfirmandenarbeit (am Beispiel der Württembergischen Kirche), zum Umgang mit Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsenenalter, zu biographisch orientierter Erwachsenenbildung, zu Akzeptanz und Wandlungsbedürftigkeit (!) des Kinderglaubens und schließlich zur Begründung einer »inklusiven Pädagogik«. Gerade dieser letztgenannte Abschnitt argumentiert stringent und ist als Gesprächsangebot an die Heilpädagogik formuliert ­ spart allerdings etwa provokante theologische Überlegungen zur ðBehinderung GottesÐ (Nancy L. Eiesland; vgl. aber II, 54 f.) oder auch die Anregungen des »Handbuch[s] Integrative Religionspädagogik» (Gütersloh 2002) aus.

Ein dritter Teil stellt »elementarisierende[n] Religionsunterricht« vor Augen (I, 305­394). Der einschlägige Tübinger Ansatz ­ von N. seinerzeit vierdimensional entwickelt, von Fried rich Schweitzer um eine fünfte, hier von N. aufgegriffene Di mension der »elementaren Lehr- und Lernformen« erwei tert­ wird hier anschaulich im Blick auf die Themen »Gott«, »Theodizee« und »Rechtfertigung« durchgespielt.

Teil 4 thematisiert unter der irritierenden Überschrift »christliche Pädagogik« (II, 17­122; vgl. aber zum Begriff II, 10­12) systematische Grundfragen, die evangelische wie katholische Re ligionspädagogik gleichermaßen angehen: das Verhältnis von Glaube und Bildung, das christliche Menschenbild und seine Wirkung auf erziehendes Handeln, Bildsamkeit und Ansprechbarkeit auf Religion, die Prüfung des Indoktrinationsverdachts gegenüber schulischem Religionsunterricht sowie die Möglichkeit einer »Religionspädagogik der Spiritualität« (122).

Ein fünfter Teil behandelt »Globales Lernen und Erziehung zum Frieden. Zwischen Vision und Evolution« (II, 123­226). Die zentralen Stichworte sind Jan Amos Comenius, Weltethos, biblische Grundlagen christlicher Friedenspädagogik sowie die Rezeption evolutionsgeschichtlicher Forschung und evolutionärer Pädagogik ­ am Ende umreißt N. einen »integrativen Ansatz zur Gewalteindämmung und Friedenserziehung« (200­226).

Teil 6 nimmt »Interreligiöses und interkulturelles Lernen« (II, 227­348) in den Blick. Neben Stellungnahmen zu aktuellen Fragen ­ ablehnend gegenüber »Religion und Kultur« im Kanton Zürich und sorgfältig differenzierend im sog. Kopftuchstreit ­ bietet N. hier Überlegungen zu einer »Religionspädagogik des Anderen«, die durchweg auf der Linie von »Bildung in einer pluralen Welt« liegen.

Der letzte Teil ist dem Verhältnis von »Religionsunterricht und Ethikunterricht« gewidmet (II, 349­430); u. a. zeichnet N. hier die Geschichte der Rede von der »Fächergruppe« bis ins Jahr 1968 zurück nach. Trotz mancher Kritik steht er zu diesem Leitbild und entwirft evangelischen Religionsunterricht als »dialogorientierte[s], mehrseitig kooperierende[s]« Fach (370 u. ö.).

Anders als im Falle der großen Monographien von 1990 und 1998, mit denen N. Themen zu »setzen« vermochte, mangelt es diesen zwei Bänden an Richtungsimpulsen. Die hier aufgegriffenen Themenfelder waren bereits zuvor als wichtig identifiziert; die Beiträge behandeln sie zwar gewohnt umsichtig, doch (zu) selten innovativ; Akzente, die in der Entstehungszeit dieser Beiträge von religionspädagogischen Kollegen etwa aus Münster, Leipzig oder Marburg gesetzt wurden, finden kaum an prominenter Stelle Widerhall.

Im Zusammenhang gelesen ergeben sich gleichwohl stimmige methodische und inhaltliche Monita für »Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert«: Religionspädagogik mit historischer (hier vor allem: geistesgeschichtlicher) Tiefenschärfe betreiben! Keine naturalistischen Fehlschlüsse von empirischen Daten auf Normen! Keine einseitigen Optimismen, sondern dialektische Abwägung und allseitig kritische Kom munikation pflegen! »Bildung« als regulative Idee vertei digen und weiterdenken! Religionskundlich-multireligiösem Un ter richt den Ernst der Wahrheitsfrage entgegenhalten! Protestantismus und evangelischen Religionsunterricht ebenso selbst be wusst wie verständigungsorientiert vertreten!

Die hier gesammelten Beiträge führen einmal mehr eindrück lich vor, wie sich diese (und weitere) Anliegen im Blick auf verschiedenste Fragestellungen und Themen konsistent und verständlich vertreten lassen. Ihre Verständlichkeit lässt die Texte für schulische Kolleginnen und Kollegen wie für Seminare zur anregenden Lektüre werden. Personen- und Sachregister helfen, die vielen, jeweils lehrreich entfalteten Sub-Themen der Beiträge aufzuschlüsseln.