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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1336–1338

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Husmann, Bärbel, u. Thomas Klie:

Titel/Untertitel:

Gestalteter Glaube. Liturgisches Lernen in Schule und Gemeinde.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 203 S. m. 2 Abb. gr.8° = Theologie für Lehrerinnen und Lehrer ­ Thema. Kart. Euro 23,90. ISBN 3-525-61557-4.

Rezensent:

Rainer Lachmann

Ein Buch mit einem schönen »performativen« Titel, das ich mir da zur Rezension ðeingebrocktÐ habe. Für einen ðOldtimerÐ der Religionspädagogik scheint es einen Geist zu revitalisieren, den er vor über einem halben Jahrhundert atmen musste! »Kirche in der Schule« war 1939 das katechetische Motto Martin Rangs, Liturgie in Schule und Gemeinde tönt es 2005. Allein diese überspitzte Assoziation verheißt der Lektüre des Buches, das Husmann und Klie gemeinsam verantworten, ihre kritische Spannung. Dabei wissen die Vf., worauf sie sich eingelassen haben: Sie bedauern, dass »Liturgie und Gottesdienst nicht zu den üblichen Inhalten schulischen Religionsunterrichts gehören«, und wollen ­ motiviert durch diese »Problemanzeige« ­ diesem religionspädagogischen Missstand abhelfen, »da die praxis pietatis in anderen nicht-christlichen Religionen durchaus selbstverständlicher Lerngegenstand ist« (11)! Das geschieht in zwei Teilen: »I. Wegweisungen«, die problembewusst und en gagiert gleichsam den religionspädagogischen Überbau konstruieren, und »II. Konkretionen«, die verdienstvollerweise an ausgewählten »liturgischen Stücken« (1., 33­127), den »Sa kra menten« (2., 128­174) und den »Kasualien« (3., 175­200) die ðProbe aufs ExempelÐ der wegweisenden Theorie des Anfangsteils machen.Der 25-seitige Theorieteil beginnt curricular korrekt mit dem, »was Jugendliche mit Gottesdienst verbinden« (7­11). Sie sind auch bei den »Konkretionen« in undifferenzierter Pauschalität die Adressaten und »Aneigner« dessen, was die Vf. mit ihrem »liturgischen Lernen« »inszenieren« und bewirken wollen. Damit ist bereits angedeutet, worin der Gewinn des neuen Nachdenkens für die gegenwärtige Religionspädagogik liegt: in der methodischen »Rezeption von Schauspiel- und Spieltheorien« und vor allem in einem neuen »Gefühl für Gestaltungsfragen und Ästhetik«, das über liturgische »Formen und Rituale« endlich auch für den Religionsunterricht die ästhetische Di mension entdeckt. Signa dafür sind »Inszenierung« der Religion als »liturgisches Lernen« qua ästhetisches Lernen, »Aneignung« als (einseitig) bevorzugte didaktische Lerndimension, »als Beten, Singen, Abendmahl Feiern« durch subjektorientiertes »Learn ing by Doing«, »Lernen von außen nach innen« und ­ theoretisch zentral! ­ »Probehandeln« (12­16). Danach ist (religions-)un terrichtliches Handeln »probeweises, experimentelles Handeln« »in einer ðProberealitätЫ (12). Solchermaßen kommt »Religion unterrichtlich in Form« und wird der Religionsunterricht liturgiedidaktisch zu einem »performativen Religionsunterricht«, dessen liturgische Inhalte sich keinesfalls über Textvorlagen, sondern nur in dramatisch-räumlicher Inszenierung in und mit und unter den »sie verkörpernden Formen« vermitteln lassen (20). Das heißt, dass man die »Didaktik gottesdienstlicher Stü cke nur ðaufführendЫ, nur spielend darstellen kann (21).

Und genau hier stellt sich dann mit Macht die religionsdi dak tische ðGretchenfrageÐ: Wie soll solche liturgische Performanz am Lernort Schule organisiert und operationalisiert werden, ohne dass der Religionsunterricht wieder ðzurückkipptÐ in die »unpädagogische Unmittelbarkeit« kirchlich-liturgischen Vollzugs? Die Vf. sind sich dieses Problems voll bewusst und beteuern glaubwürdig, »dass es hinter eine schultheoretische Be stim mung des Religionsunterrichts kein Zurück mehr gibt« (22). Sie meinen das didaktisch gewährleisten zu können, in dem sie die im schulischen Religionsunterricht inszenierte Litur gie als »Probehandeln« in einem »künstlich hergestellten (Lern-)Raum« qualifizieren. Das ermögliche den Lernenden gleichsam einen liturgischen »Probeaufenthalt«, in dem sie liturgische Stücke des Gottesdienstes »liturgieanalog« begehen können. Dabei »muss« den Schülern bewusst sein, dass diese liturgische Begehung im Religionsunterricht der Schule »ðnicht wirklichÐ Liturgie ist«, sondern künstliches Geschehen (21 f.) mit dem Ziel, »gottesdienstliche Formen Š im Rahmen unterrichtlichen Probehandelns« zu deuten, szenisch zu interpretieren und auf diese Weise zu ðlesenÐ (26). Das provoziert die Zwischenfrage: Lässt sich ein solches liturgiedidaktisches Konstrukt in seiner »Künstlichkeit« wirklich im alltäglichen Religionsunterricht unserer Schulen adäquat umsetzen?

Die »Konkretionen« des II. Teiles sollten darauf Antworten geben. Dabei nimmt der erste Abschnitt »Liturgische Stücke« mit knapp 100 Seiten den größten Umfang ein: Titelgerecht werden in ihm behandelt »A. Liturgischer Gruß«, »B. Kirchenlieder«, »C. Gebete«, »D. Kyrie«, »E. Predigt«, »F. Bekenntnisse« und »G. Segen«, wobei leider das theologisch und didaktisch so reizvolle »Sündenbekenntnis« des Eingangs ausgespart bleibt. Alle bedachten Stücke gliedern sich nach demselben Schema; es beginnt mit einer soliden liturgiegeschichtlichen und -wissenschaftlichen Grundlegung, in die stets anthropologische Bezüge und Alltagserfahrungen integriert sind, dann folgen kurze Be merkungen »zum Unterricht« und schließlich werden mit An gaben zum »Anliegen« und zum »Verlauf« »Bausteine« skizziert. Zum ersten Liturgischem Stück, dem »Liturgischen Gruß« am Gottesdienstanfang »Der Herr sei mit Euch« ­ »Und mit Deinem Geist«, sieht das dann z. B. so aus (33­46):

Zuerst werden raumzeitlich dimensionierte Überlegungen zum »Anfangen« angestellt und wird religionsästhetisch danach gefragt, wie Anfänge gesetzt und wodurch sie als solche erkannt werden. Das wird alltagsweltlich an den verschiedenen Grußformen der E-Mail-Anrede konkretisiert, die in ihrem Responsorium-Charakter mit den gottesdienstlichen Salutationen in Beziehung gesetzt werden. Deren neutestamentliche Wurzeln bedingen liturgiegeschichtliche Ausführungen über die Salutatio in der Alten Kirche, bei Luther und in heutigen Gottesdienstagenden und münden ein in eine aktuelle liturgische Problemdiskussion. Die anschließenden Bemerkungen »zum Unterricht« beschränken sich beim »Liturgischen Gruß« auf die Nennung von drei verschiedenen Zugängen bzw. Bausteinen: 1. »Funktionsweise von Grüßen«, 2. »Unterschiede zwischen wort- und schriftsprachlichen Grüßen« und 3. »Angemessenheit gottesdienstlicher Begrüßungen«. Hier, beim liturgischen Lernen im eigentlichen Sinne, sollen die »Begrüßungsrituale im gottesdienstlichen Kontext untersucht werden«, was u. a. durch Rollenspiele der traditionellen liturgischen Salutatio, einer freien Begrüßung zu Beginn des Gottesdienstes und einer Begrüßung des »gespielten« Pastors an der Kirchentür in Szene gesetzt werden soll. Die jeweils bei den Rollenspielen gemachten Erfahrungen und Wahrnehmungen werden ausgetauscht und, wo nötig und möglich, diskutiert. Wie bei jeder der zwölf Konkretionen wird auf Anmerkungen verzichtet und werden stattdessen am Schluss einige liturgisch relevante Titel zum Weiterbilden genannt.

Analog diesem ersten »Stück« sind alle anderen »Konkretionen« aufgebaut und thematisiert, wobei umfangmäßig der Schwerpunkt in der Regel auf den liturgiewissenschaftlichen Einlas sungen liegt. Das ist sicher nötig, denn anders als bei der ka tholischen Lehramtsausbildung, wo Liturgik eigenständiges (Prü fungs-)Fach ist, kommt sie in der evangelischen Religionslehrerausbildung nicht vor. Hier ist das vorgestellte liturgiedidaktische Konzept eher auf Pfarrer im Schuldienst zugeschnitten. Umso interessanter und relevanter dürfte auch für ðNormallehrerÐ an der Schule das sein, was in den »Bausteinen« an Vorschlägen zur Inszenierung liturgischen Probehandelns gemacht wird. Darauf sollte der Leser sein besonderes Augenmerk richten; das mo tiviert, provoziert und mobilisiert, um es vielleicht auch im eigenen Religionsunterricht »auszuprobieren«. Zu solchem ðPro behandelnÐ regen nicht nur die Vorschläge zu den liturgischen Stücken an, sondern ganz besonders auch das, was unter 2. zu den Sakramenten »A. Taufe« (Warum wird die Säuglingstaufe nicht thematisiert?), »B. Beichte« und »C. Abendmahl« (128­174) gesagt wird! Was hier methodisch vorgeschlagen wird, ist lange nicht so ðsteilÐ wie das vorgeschaltete Theoriekonstrukt und könnte deshalb nicht nur mit seinen vielen Reflexionsaufträgen, sondern auch mit seinen diversen methodischen Arrangements und kreativen Einfällen durchaus in einem Religionsunterricht seinen Platz finden, der der derzeit so gern verketzerten kognitiven und diskursiven Dimension und Aufgabe die Stange hält. Ein »Standbild« zum »Last Supper« nach Lukas zu erstellen, ist eben etwas anderes als auf Probe ein Abendmahl im schulischen Religionsunterricht zu inszenieren! ­ Das Buch endet 3. mit den Kasualien »Trauung« und »Beerdigung« und einem bitter nötigen »Glossar« zu liturgischen Fachtermini.

Die Verfasser legen ein in gutem Sinne fragwürdiges Buch vor, das anregt und aufregt und nicht alle ðreaktionärenÐ Ängste beseitigen kann. So sehe ich z. B. nach wie vor die Gefahr, dass das vorgestellte fragile Theoriegebilde liturgischen Probehandelns unter der ðHandÐ der Praxis wieder in Richtung eines kirchlichen Religionsunterrichts an der Schule mutiert und aus der mühsam gelernten Unterscheidung (nicht Trennung!) von Lernen in der Schule und in der Gemeinde wieder eine undifferenzierte Vermischung wird. Dessen ungeachtet bleibt es verdienstvoll, dass die Verfasser mit ihrem »Gestalteten Glauben« am »Experiment« Liturgie die didaktisch elementare Frage nach dem Stellen wert ästhetischer Bildung für den schulischen Reli gionsunterricht aufgeworfen und mit durchaus beachtlichen Inszenierungs- und Gestaltungsideen bedacht haben. Allein schon deswegen lohnt es sich, das hier wohlwollend kritisch besprochene Buch selbst kritisch zu lesen und intensiv zu studieren.