Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1331–1333

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

Religion. Aspekte ihres Begriffs und ihrer Theorie in der Neuzeit.



Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 279 S. gr.8° = Studium Systematische Theologie, 1. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-525-56704-9.


Rezensent:

Wolf Krötke

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Wenz, Gunther: Offenbarung. Problemhorizonte moderner evangelischer Theologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 285 S. gr.8° = Studium Systematische Theologie, 2. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-525-56705-7.

Wenz, Gunther: Kirche. Perspektiven reformatorischer Ekklesiologie in ökumenischer Absicht. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 284 S. gr.8° = Studium Systematische Theologie, 3. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-525-56706-5.

Die Bände sind Prolegomena eigener Art zu einer Systematischen Theologie, welche der Vf. in 10 Bänden auszubreiten ge denkt. Sie bieten »geschichtlich orientierte Studien« (I, 34) zu neueren Religionstheorien (Band 1), zu Konzepten evangelischer Theologie und Philosophie im 19. und 20. Jh., die auf Gottes Offenbarung bezogen sind (Band 2), und zum evangelischen Kirchenverständnis (Band 3). Der Vf. versteht sie als »Vorstudien« zum Kontext und Hintergrund der materialen Dogmatik. »Systematische Gedankenführung von umstandsloser Gradlinigkeit« (I, 8) hat er deshalb deutlich erkennbar nicht im Sinn.

Dennoch zielen diese »Vorstudien« durchaus auf fundamentaltheologische Entscheidungen. Sie betreffen einerseits das Verhältnis des »evangelischen Lehrbegriffs« (I, 29) zum »modernen Allgemeinbegriff der Religion« (I,16). Andererseits erkunden sie, welche Bedeutung die Offenbarung Gottes in diesem Verhältnis haben kann. Das ist eine bejahbare Kontextualisierung der systematisch-theologischen Aufgabe. Schwieriger stellt sich dagegen die Verortung der Ekklesiologie in diesem Kontext dar. Denn hier traktiert der Vf. den lutherischen »dogmatischen Lehrbegriff« der Kirche ganz ohne Bezug auf die »Religion«. Darüber hinaus werden die Möglichkeiten der Ökumene ausgelotet (vgl. Kapitel 8­12). Vor allem die Ökumene mit der römisch-katholischen Kirche, wie sie in dem Dokument »Communio sanctorum« (2000) verstanden wird, liegt dem Vf. am Herzen (vgl. III, 176­199). Es ist sicherlich wohl bedacht, dass diese Prolegomena mit zwei Kapiteln enden, welche die lutherische Lehre von der Kirche auf die Öffnung für den »Petrusdienst« und das »Kirchliche Heiligengedächtnis« (vgl. III, 234­268) zuführen.

Dem Anliegen der Mission widmet diese Ekklesiologie dagegen keine besondere Aufmerksamkeit. Vielleicht hängt das mit der Ansicht des Vf.s zusammen, dass wir uns in einer Zeit der »Renaissance der Religion« befinden. Der »Gewohnheitsathe ismus« komme nur noch in »Rudimenten« vor (I, 46). Das ist zumindest aus ostdeutscher Sicht falsch. Der Vf. aber hält fest: »Religion« hat sich als »aufklärungsresistent« behauptet (I, 51). Als »Kontingenzbewältigungspraxis« und »Sinnstiftung« (H. Lübbe, N. Luhmann) kommt ihr eine unersetzbare gesellschaftliche Funktion zu (vgl. I, 63­88). Sie kann auf ein »an thro pologisches Universale« (I, 55.225 f.258 f.) zurückgeführt werden. Denn im religiösen Bewusstsein meldet sich, dass »Selbst und Welt nicht unmittelbar in sich gründen« (I, 86), sondern in einem beides »fundierenden Grunde« (I, 263). Der Vf. legt diese Allgemeinbedeutung von »Religion« im Rückgang auf die neuere Geschichte des Religionsbegriffs dar. Es handelt sich um einen »neuzeitspezifischen Begriff« (I, 89­103), der seine Prägung im Zuge der Entkonfessionalisierung des Glaubens in der Aufklärungszeit erhalten hat (vgl. 104­130). Zwei Kapitel zu I. Kant (vgl. I, 131­165), zwei Kapitel zu G. W. F. Hegel (vgl. I, 166­212) und zwei Kapitel zu F. Schleiermacher (I, 213­239) malen das aus. Sie münden in der Abgrenzung von allen Gestalten neuzeitlicher Religionskritik.

Derartiger Kritik wird die Behauptung entgegengesetzt, »dass Religion nicht oder nur durch Religion ersetzt werden kann« (I, 257). Allerdings nimmt der Vf. auch ein wesentliches Moment solcher Religionskritik auf. Wenn »Religion« sich als »Selbstdeutung religiöser Subjektivität« darstellt, läuft sie Gefahr, sich an einer »bloßen Fiktion« dieser Subjektivität zu orientieren, die Wahrheitsfrage zu sistieren und die »Weltbezüge« des religiösen Menschen zu ignorieren (vgl. I, 268­270). Die Referate der Religionsproblematik laufen darum auf die »Annahme unvordenklicher Offenbarungskontingenz« (I, 271) und einer Kirche, die sie wahrt, hinaus. Die »Fallstudien« des zweiten Bandes wollen dementsprechend zeigen, dass der Begriff der Offenbarung »mit dem Religionsbegriff in seiner neuzeitspezifischen Verwendung sowohl terminologiegeschichtlich als auch sachlich verbunden« (II, 38) ist.

Belegt wird das mit der Bedeutung, welche die Sündenlehre in Theologie und Philosophie, z. B. bei Schleiermacher und Kierkegaard, gewann (vgl. II, 63­85). Die »Unbegreiflichkeit« der Sünde macht bewusst, dass der Mensch auf eine göttliche Selbsterschließung angewiesen ist (vgl. II, 83). Andererseits hat die idealistische Philosophie die Einsicht in die »Unvordenklichkeit des Grundes Vernunft« (II, 102) diesem Jahrhundert mit auf den Weg gegeben. Die Darstellungen der Theologie A. Ritschls (vgl. II, 108­130) sowie des »Kulturprotestantismus« (vgl. II, 131­150) illustrieren, wie dieses Anliegen in das Kulturbewusstsein jener Zeit eingeholt werden sollte. Sie enden mit den unkommentierten vernichtenden Urteilen F. Overbecks über diesen Versuch (vgl. II, 149 f.).

Am »kurzen 20. Jahrhundert« (vgl. II, 151­170) ist im Un terschied zum »langen 19. Jahrhundert« (vgl. II, 45­62) für den Vf. im Grunde nur dessen erste Hälfte wesentlich. Das Kapitel über die Theologie nach 1945 bietet (II, 271­278) ­ bis hin zur bloßen Erwähnung von Namen und Titeln (vgl. II, 274) ­ nur Schlaglichtartiges. Breiten Raum nehmen nach einem Kapitel zum Problem des »Historismus und Antihistorismus« (vgl. II, 171­194) dagegen die Referate über die Theologie K. Barths (vgl. II, 195­215), über die Wege der »dialektischen« Theologen F. Gogarten, E. Brunner und R. Bultmann (vgl. II, 126­234), über die Konzeptionen von W. Elert, P. Althaus und E. Hirsch (vgl. II, 235­256) sowie über das Denken P. Tillichs (vgl. II, 257­270) ein.

Im Gespräch mit Barth plädiert der Vf. für die »Unableitbarkeit« der Offenbarung. Er möchte sie aber zur »Unausweichlichkeit« der Religion in einem »zwar nicht abschließend synthetisierbaren, aber gleichwohl unausweichlichen Verhältnis« sehen (II, 214). P. Tillichs Denkweise gilt ihm in dieser Hinsicht als richtungweisend (vgl. II, 215). Die »Krise der dialektischen Theologie« bestätigt zudem, dass die Theologie ohne den Religionsbegriff nicht auskommt. Nicht erwähnt wird, dass F. Gogartens Lehre von der Offenbarung Gottes im Gesetz des deutschen Volkes und sein Beitritt zu den »Deutschen Christen« der Auslöser dieser Krise waren. An das Bild, das der Vf. von den theologischen Auseinandersetzungen der 30er Jahre des 20. Jh.s zeichnet, sind Fragen zu stellen. Denn es lässt unklar, warum die von Elert, Althaus und Hirsch vertretene Lehre von der »Zwiespältigkeit der Offenbarung« in Gesetz und Evangelium zur theologischen Einstimmung in den Nationalsozialismus führte. Der theologisch begründete Rassismus inklusive der Rassehygiene und der Antisemitismus eines E. Hirsch werden z. B. mit einer bloßen Literaturangabe überspielt (vgl. II, 250). Von der Barmer Theologischen Erklärung wird so gut wie nichts mitgeteilt (vgl. II, 159.245; III, 302). Dass auch namhafte lutherische Theologen gegen die Qualifikation von »Rasse, Blut und Bo den« zur Ge setzesoffenbarung Gottes protestiert haben, wird übergangen. D. Bonhoeffer kommt nicht vor. Stattdessen referiert der Vf. die »gereinigte Form« (II, 272) dieser Offenbarungslehre, die er (wozu es einiges zu sagen gäbe) dadurch ge rechtfertigt sieht, dass sich zu ihr bei Brunner und Bultmann »systematische Parallelen« finden (vgl. ebd.). Nach einem kritischen Um gang mit der Behauptung, Gott offenbare sein Ge richt in der Geschichte bzw. im Gewissen und ohne diese Offenbarung offenbare er sich nicht im Evangelium, aber wird nicht gefragt.

Kann man diese Leerstellen damit erklären, dass der Vf. nur »Fallstudien« bieten will und keine zusammenhängende Theologiegeschichte? Aber was sind »Fallstudien« wert, die umschiffen, was in concreto der Fall war, und die am Ende doch ein Gesamtbild ergeben? Könnte nicht gerade das dunkelste Kapitel jüngerer deutscher Theologiegeschichte Anlass sein, die religionskritische Kraft des christlichen Glaubens heute einzuüben? Das kann dem Anliegen des Vf.s doch nur zugute kommen, die »Unhintergehbarkeit« der »Religion« für Theologie und Kirche differenziert und kritisch ernst zu nehmen. Der erfreulich faire Umgang des Vf.s mit Positionen, die er nicht teilt, weckt Erwartungen, dass dies in den geplanten sieben weiteren Bänden seiner »Systematischen Theologie« der Fall sein könnte.

Ob die vorliegenden Bände eine glückliche Eröffnung dieses Unternehmens sind, darf dennoch gefragt werden. Ein nachahmenswerter Versuch sind sie auf Grund ihrer fehlenden systematischen Strenge und der vielen offen gelassenen Fragen zweifellos nicht. In ihnen werden die Seiten überwiegend mit Referaten von Drittpositionen gefüllt. Viele dieser Referate sind auch an anderen Stellen zugänglich. Der Autor, auf den der Vf. in den Literaturangaben am meisten verweist, ist er selbst. Was aber den Anspruch betrifft, spezifisch dem »Studium« (!) der »Systematischen Theologie« und dessen »Modularisierung« (vgl. I, 38) dienlich zu sein, so ist von einer besonderen didaktischen Bemühung in diesen Bänden nichts zu bemerken. Die graue Einfärbung der Zwischenüberschriften, für welche der Vf. seinem Verlag dankt, ist allenfalls eine Erinnerung an dieses Anliegen.