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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1327–1329

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Mühling, Markus, u. Martin Wendte [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Entzogenheit in Gott. Beiträge zur Rede von der Verborgenheit der Trinität.

Verlag:

Utrecht: Ars Disputandi 2005. VIII, 206 S. gr.8° = Ars Disputandi Supplement Series, 2. Kart. Euro 26,80. ISBN 90-6701-010-3.

Rezensent:

Christian Danz

Seit einigen Jahren erfreut sich in den systematisch-theologischen Diskursen die Trinitätslehre einer verstärkten Aufmerksamkeit, so dass innerhalb der unterschiedlichen christlichen Konfessionen von einer Renaissance der Trinitätslehre gesprochen wurde. So hat die Theologie der Religionen dieses Lehrstück als Rahmentheorie für interreligiöse Relationierungen entdeckt und auch in den ökumenischen Debatten wurde der Vorschlag unterbreitet, dieses Lehrstück der Dogmatik als Paradigma heranzuziehen. Weiterhin erschienen in den letzten Jahren ambitionierte Beiträge zur Trinitätslehre, u. a. von Hermann Deuser und Christoph Schwöbel auf protestantischer und von Gisbert Greshake auf römisch-katholischer Seite.

Wichtige Bezugspunkte der trinitätstheologischen Debatten der Gegenwart bilden hierbei einmal die von dem deutschen Idealismus konzipierten Modelle, insbesondere Hegels und Schellings, und zum anderen die offenbarungstheologisch ansetzende Trinitätslehre Karl Barths, die auf unterschiedliche Weise von Jürgen Moltmann, Eberhard Jüngel, Wolfhart Pannenberg und anderen fortgeführt wurde. Den prägenden Einfluss dieser klassischen trinitätstheologischen Konzeptionen auf die gegenwärtigen Debattenlagen dokumentiert auch der hier anzuzeigende Sammelband Entzogenheit in Gott, der von Markus Mühling und Martin Wendte herausgegeben wurde. Die in den Band aufgenommenen Beiträge thematisieren auf höchst un terschiedliche Weise Entzogenheit und Verborgenheit als grundlegende Aspekte eines christlichen Gottesbegriffs. Die Themenstellung des Bandes resultiert aus der Eigentümlichkeit des christlichen Gottesgedankens, so in Beziehung zum Menschen zu stehen, dass diese Relation selbst noch einmal so verstanden werden muss, dass sie in Gott ihren Ort hat. Relation meint also nicht nur das Gott-Mensch-Verhältnis, sondern Relation muss in Gott selbst thematisch werden. Eben dies thematisiert die Trinitätslehre. Mit Relationalität sind die Fragen nach ihrer Konstitution und vor allem die, wie diese Konstitution gedanklich zu fassen ist, verbunden. Den in dem Band versammelten Beiträgen ist es darum zu tun, in unterschiedlichen Facetten die These auszuarbeiten und zu begründen, dass Relationalität nur dann denkbar sei, »wenn es neben der Distinktion zwischen Relat und Relation noch eine eigens zu bedenkende Größe gibt, die diese Besonderheit sichert und somit ineins identitäts- wie alteritätskonstituierend ist« (1). Entzogenheit soll also einen Ort im Gottesgedanken selbst haben. Damit ist freilich das Folgeproblem verbunden, dass diese nicht so verstanden werden kann, dass Gott sich selbst entzogen ist. Andernfalls wäre Gott nicht viel besser dran als wir.

Der einführende und von Mühling und Wendte gemeinsam verfasste Beitrag Entzogenheit in Gott. Zur Verborgenheit der Trinität (1­30) exponiert das Thema des Bandes, indem die Entwicklungslinien der Relations-Kategorie nachgezeichnet, die systematische Relevanz der Relations-Kategorie für die Theologie sowie systematische Lösungsmodelle mit dem Problem, wie Entzogenheit in Gott zu lozieren sei, vorgeführt werden. Robert W. Jenson diskutiert Versöhnung in Gott (31­38) als »Grund für andere Versöhnungen«, »bei denen Gott dabei ist, zwischen ihm und uns oder unter uns und wo auch immer« (31). Den unterschiedenen Weisen der Verborgenheit Gottes bei Luther sowie ihres Zusammenhangs geht Stefan Volkmann in seinem Beitrag Luthers Lehre vom verborgenen Gott (39­43) nach. Nach wechselseitigen Erhellungen von Trinitarischer Perichorese und Hua-yen Buddhismus (45­61) fragt Pan-Chiu Lai. Die Bedeutung Augustins für die Trinitätslehre würdigt Maarten Wisse in seinem Beitrag »Ego sum, qui sum.« Die trinitarische Essenz Gottes nach Augustins De Trinitate (63­76). Aus orthodoxer Perspektive untersucht Vasile Hristea das Intersubjektivitätskonzept von Emanuel Levinas unter der Leitfrage Rettende Intersubjektivität (77­96).

Petr Gallus thematisiert die Konzeption der Entzogenheit Gottes bei Tillich (97­124), indem er dessen Identitäts- und Symbolverständnis einer kritischen Würdigung unterzieht. Entzogenheit in Gott ist ein zentrales Thema der späten Philosophie Schellings und der für diese grundlegenden Unterscheidung von »Dass« und »Was«. Die Bedeutung von Schellings Spätphilosophie für die trinitätstheologische Diskussion der Gegenwart arbeitet Malte Krüger an hand von dessen Urfassung der Philosophie der Offenbarung unter dem Titel Verborgene Verborgenheit (125­159) heraus. Der Bedeutung einer relational-ontologischen Fassung der Trinitätslehre geht Martin Wendte unter der Überschrift Legitimität des Nominalismus? im Anschluss an Colin Guntons trinitätstheologische Neuzeitdeutung nach (161­186). In der neueren trinitätstheologischen Diskussion hat der Begriff der Perichorese einen hohen Stellenwert. Die systematische Konsistenz dieses Begriffs und des mit ihm verbundenen Anspruchs untersucht Markus Mühling in seinem Beitrag Abschied von der Perichorese? Das Resultat seiner kritischen Prüfung dieses Begriffs fällt negativ aus. Der Begriff verspricht mehr, als er tatsächlich zu leisten vermag (187­204).

Es ist selbstverständlich in dem für diese Besprechung zur Verfügung stehenden knapp bemessenen Raum weder möglich, alle Beiträge im Einzelnen zu besprechen, noch die von den Autoren aufgeworfenen Fragen ausführlich zu diskutieren. Zwar thematisieren alle Beiträge die Frage nach der Entzogenheit Gottes als Bedingung der Möglichkeit von Relationalität, aber die Antworten, die auf diese Fragestellung gegeben werden, fallen höchst unterschiedlich aus. Konsens besteht allein darin, dass die Entzogenheit Gottes als Möglichkeitsbedingung von Relationalität fungiert. Umstritten ist, wo die Entzogenheit genauer zu lozieren ist. Im Vater als dem ursprungslosen Ur sprung, oder sind die trinitarischen Personen als reziproke Asymmetrie zu verstehen? Für die erste Alternative plädiert Wendte. Im Anschluss und in kritischer Weiterführung der Konzeption von Gunton, der den mittelalterlichen Transzen dentaliengedanken für eine trinitarische Ontologie aufnimmt, konstruiert er die Trinität durch eine interne funktionale Asymmetrie. Der Aufbau der trinitarischen Relationen gründet in dem Vater als dem »ursprungslosen Ursprung« (182). »Er ist selbst kein Transzendental, da er singulärer, ursprungsloser Ur sprung ist, aber gerade als dieses nicht-Transzendental ist er diesen Transzendentalien transzendental.« (182 f.) Dieser Verortung von Entzogenheit in Gott widerspricht Mühling in seinem Beitrag. Zwar ist auch er der Meinung, dass Entzogenheit und damit Asymmetrie in den Gottesgedanken aufgenommen werden muss, aber diese sei als reziproke Asymmetrie der trinitarischen Personen zu verstehen. »Das Besondere des trinitarischen Beziehungsgefüges liegt aber gerade darin, dass diese reziproke Asymmetrie des trinitarischen Beziehungsgefüges, bzw. das wech selseitige Verborgensein der Personen in ihrer Erschlossenheit füreinander jeweils für die einzelnen Personen und damit auch für die Einheit des Wesens Gottes existenzkonstitutiv ist« (204).

Entzogenheit in Gott ­ damit soll freilich nicht gemeint sein, dass Gott sich selbst entzogen ist (20 f.). Dadurch würde lediglich ein Gott hinter Gott etabliert. Insofern kann der Begriff nur einen funktionalen Status innehaben. Er steht für diejenige Unbestimmtheit, die in aller Selbstbestimmung bereits in An spruch genommen ist. Die Alternativen und Aporien, die in dem Band ausführlich thematisiert werden, scheinen mir eine Konsequenz dessen darzustellen, wenn funktionale Unbestimmtheit noch einmal an ihr selbst thematisiert werden soll.