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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1321 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Verweyen, Hansjürgen:

Titel/Untertitel:

Philosophie und Theologie. Vom Mythos zum Logos zum Mythos.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005. 400 S. gr.8°. Geb. Euro 74,90. ISBN 3-534-15616-1.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

ten Entwürfe der philosophisch-theo logischen Tradition des Westens in im Großen und Ganzen historischer Abfolge behandelt (in Kapitel 13 werden einige re ligionskritisch-deistischen Konzeptionen des 17. und 18. Jh.s in Frankreich und England knapp zusammengefasst, ehe in den folgenden Kapiteln die deutlich privilegierte Hauptlinie philosophischer Theologie von Descartes bis nach Hegel zur Darstellung kommt).

Der erste Band führt nach einer einleitenden Methoden- und Kriterienreflexion (Kapitel 1) in 18 Kapiteln von Israel und den Vorsokratikern (Kapitel 2 und 3) bis zu »Hegels radikale[n] Erben« Feuerbach, Marx, Stirner und Engels (Kapitel 18) und endet mit einem »Vorblick auf Nietzsche« (Kapitel 19). Der zweite Band soll die Fortsetzung der Geschichte von Nietzsche bis in die Gegenwart bieten.

Der Schnitt bei Nietzsche ist signifikant und markiert V.s Leitthese: Nietzsche habe erstmals »in radikaler Weise die Grenzen des Logos-Begriffs vor Augen« geführt, »der Philosophie und Theologie über zwei Jahrtausende dominiert hat« (12). Aber der Zusammenbruch der langen »Vorherrschaft eines zu eng gefaßten Vernunftbegriffs« berechtige keineswegs dazu, »sich nunmehr frohen Muts ðdem Anderen der VernunftÐ zuzuwenden« (12), sondern verlangt ­ so darf man wohl vermuten ­ nach einem besseren Vernunftbegriff. Der vorliegende erste Band entfaltet so die negative These, dass die nicht nur in der vorsokratischen Philosophie (Kapitel 3), sondern schon in Israel (Kapitel 2) sich entwickelnde Bewegung ðvom Mythos zum LogosÐ in der »Selbstüberschätzung metaphysischer Spekulation, wie sie bei Hegel kulminiert« (12), endete, weil sie in den vom griechischen Denken bereitgestellten Kategorien vollzogen wurde, die dafür nicht ausreichten. Nietzsches Rückkehr ðvom Logos zum MythosÐ und der Sprung in das Andere der Vernunft kann für V. aber auf keine Weise das letzte Wort in der dramatischen Geschichte der Beziehungen zwischen Philosophie und Theologie sein. Es ist deshalb absehbar, wie die positive These lauten wird, die im angekündigten zweiten Teil des Werkes von Nietzsche bis zur Gegenwart entfaltet werden soll.

V. lässt seine Leser nicht im Dunkeln über den konstruktiven Charakter seines Zugriffs auf die vielschichtige Geschichte der Beziehungen von Philosophie und Theologie. Im ersten Kapitel bietet er in knappen Zügen eine transzendentale Analyse der elementaren Struktur menschlichen Bewusstseins (17 f.), die für ihn die »prinzipielle Möglichkeitsbedingung nicht nur für das Entstehen von Theologie und Philosophie selbst« ist, »sondern auch für das spannungsreiche Verhältnis« in ihrer Geschichte (16). Das Bewusstsein ist ihm zufolge »durch eine Differenz des Ich zu anderem bei gleichzeitigem Verlangen nach unbedingter Einheit (mit sich selbst trotz des anderen) gekennzeichnet«: »Das Ich steht anderem in Dynamik auf ein Unbedingtes ge genüber.« (19) Auf der Basis dieser Bewusstseinsstruktur konstruiert V. drei »Grundtypen der Religiosität« bzw. Weltanschauung: den Grundtypus der »verdeckten Differenz«, in der »sich das Subjekt als Teil dieser Welt« fühlt (20); den Grundtypus der »illusionären Differenz«, in der »das Subjekt versucht, sich in einem totalitären Zugriff der instrumentellen Vernunft die ihm begegnende Andersheit in Natur und menschlicher Umwelt völlig verfügbar zu machen« (21); und den Grundtypus der »betonten Differenz«, der annimmt, »daß die Differenz zwischen Subjekt, Objekt und Absolutem definitiv von einem in seiner Souveränität und Freiheit gänzlich unangefochtenen Gott selbst gesetzt wird« (22). Geschichtlich sind diese Typen nie rein realisiert, aber sie dienen V. dazu, das Beziehungsgeflecht von Philosophie und Theologie im griechisch-hellenistischen (Kapitel 4­7), lateinisch-christlichen (Kapitel 8­11), humanistisch-aufklärerischen (Kapitel 12­15) und idealistisch-nachidealistischen Denken (Kapitel 16­19) facettenreich zu rekonstruieren.

Da V. mit wertenden Urteilen nicht hinter dem Berg hält, lernt man dabei nicht nur vieles über die dargestellten Entwürfe und Positionen, sondern auch über die Ansichten V.s: dass ihm das »aggiornamento« des lukanischen Paulus und Jesus an das stoische Denken fragwürdig ist (115­127); dass die »Grundaufgabe« der dargestellten Geschichte in der »Konkurrenz« von »Hermeneutik« und »Erster Philosophie« angelegt sei (186); dass er »eines der schwierigsten Probleme in der heutigen philosophisch-theologischen Diskussion« in der Frage sieht, »ob bzw. wie sich Transzendentalphilosophie als Suche nach unhinterfragbaren Vernunftbegriffen mit einer Philosophie ðnach dem lingustic turnÐ vereinbaren läßt« (309); dass für ihn (der späte) Fichte und Anselm von Canterbury zum Verwechseln ähnlich sind (330) und sich gleichsam in Meister Eckart treffen (216 f.); dass er der unreflektierten Religiosität der USA mit ihren theologisch-hermeneutischen Beliebigkeiten und ihrer inhaltsfreien ðcivil religionÐ wenig oder nichts abgewinnen kann (272­275). Die Liste ließe sich lange fortsetzen, und die muntere Weise, in der diese Ansichten präsentiert werden, macht einen nicht unerheblichen Reiz der Lektüre dieses Buches aus.

Ganz und gar störend dagegen ist dessen äußere Aufmachung. Neben einem Literaturverzeichnis, das manche Lücken aufweist (377­393), gibt es nur ein Namens-, aber kein Be griffsregister (395­400). Vor allem aber ist die Druckvorlage in einem für Satzarbeiten nicht brauchbaren Schreibprogramm angefertigt. Entsprechend ziehen sich die Zeilen und produzieren Lücken und Durchschüsse, die das Lesen empfindlich stören und einen das Buch schnell wieder aus der Hand legen lassen. Solche Vorlagen sollte ein Verlag nicht veröffentlichen, und hätte ein Lektor einen Blick in diesen Text geworfen, wäre das zu verhindern gewesen. Die Vereinsmitglieder der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, die dem Impressum zufolge die Herausgabe dieses Werkes ermöglichten, sollten sich gegen eine solche Verwendung ihrer Gelder verwahren. Man kann nur hoffen, dass der angekündigte nächste Band nicht nur die Vernunft stark macht, sondern das auch in einer vernünftigen Textgestalt tut