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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1319–1321

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Mendelssohn, Moses:

Titel/Untertitel:

Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum.

Verlag:

Mit dem Vorwort zu Manasse ben Israels Rettung der Juden und dem Entwurf zu Jerusalem sowie einer Einleitung, Anmerkungen u. Register hrsg. v. M. Albrecht. Hamburg: Meiner 2005. LXIV, 181 S. m. Abb. 8° = Philosophische Bibliothek, 565. Lw. Euro 32,00. ISBN 3-7873-1692-2.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Mit diesem Band legt der Mendelssohnforscher Michael Albrecht in der Reihe der Philosophischen Bibliothek eine Neuausgabe der für die jüdische Philosophie der Aufklärungszeit so wichtigen Schrift Mendelssohns vor, in der der Philosoph eine Beziehung herstellt zwischen den ewigen Vernunftswahrheiten, den Geschichtswahrheiten und dem geoffenbarten Gesetz und so auf allgemeinerer Ebene begründet, warum er als Aufklärer sowohl Anhänger der natürlichen mittels der Vernunft erkennbaren Religion sein kann und dennoch den »Zeremonialgesetzen« verpflichteter Jude bleibt.

Die Ausgabe beginnt mit einer ausführlichen Einleitung (VII­LXIV), in der Albrecht zunächst auf die biographische Vorgeschichte der Schrift eingeht. Dazu gehören die Auseinandersetzung mit Johann Kaspar Lavater um den geforderten Übertritt zum Christentum und einige Briefzeugnisse, die zeigen, dass sich »Jerusalem« keinem spontanen Einfall verdankt, »sondern auf älteren und schon damals wohlerwogenen Überlegungen beruht«. Zur Vorgeschichte von »Jerusalem« gehören auch Christian Wilhelm von Dohms Schrift »Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden« (1781), die für Mendelssohn auf Grund ihrer pragmatischen Gesetzesvorschläge in ihrer Toleranzbotschaft wichtiger wurde als Lessings »Nathan«, und Manasse ben Israels Schrift »Vindiciae Judaeorum« von 1656, die 1782 in einer Übersetzung aus dem Englischen von Marcus Herz unter dem Titel »Rettung der Juden« und einem Vorwort von Moses Mendelssohn erschien. Auch kritische Reaktionen auf diese Vorrede von August Friedrich Cranz und Daniel Ernst Mörschel führen Mendelssohn dazu, seine in der Vorrede entwickelten Gedanken weiter zu entfalten und zu vertiefen. Dabei be schreibt und kommentiert der Herausgeber auch den später dokumentierten ursprünglichen Entwurf zu »Jerusalem«, aus dem erschließbar ist, dass Mendelssohn drei Teile für das Werk vorgesehen hatte und im dritten (als Antwort auf den Bekehrungsdruck) das Christentum als »ein Joch in Geist und Wahrheit« entlarven wollte, was er aber später verwarf und statt dessen durch eine Darstellung und Rechtfertigung des Judentums im zweiten Teil der Schrift die Frage der Bekehrung über die persönliche Ebene erhob.

Der Schilderung der Vorgeschichte folgt in der Einleitung eine ausführliche Wiedergabe, Beschreibung und Kommentierung des Inhalts der beiden Teile von »Jerusalem«. Am Ende von »Jerusalem« erteilte Mendelssohn den Bestrebungen zu einer »Glaubensvereinigung« unter anderem auf Grund ihrer Unvereinbarkeit mit dem Toleranzgedanken eine Absage. Diesem Aspekt widmet der Herausgeber in der Einleitung einen Exkurs (XXVI­XXVIII), in dem verschiedene Positionen zu solchem Ansinnen einer Glaubensvereinigung, u. a. die Position Johann Salomo Semlers, dargestellt werden. Besonders interessant ist die Entfaltung der kritischen Reaktionen auf Mendelssohns Werk seitens Christian Garve, Johann Georg Hamann, Mira beau, Isaak Euchel und anderen. Der Rezeptionsgeschichte im Judentum ist ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem vor allem die Problematik und die weitgehende Ablehnung der Unterscheidung zwischen Vernunftwahrheit und geoffenbartem Gesetz dargestellt wird, während das Motiv des Judentums als »Religion der Vernunft« sich wie ein roter Faden von Mendelssohn über die folgenden Philosophen bis Hermann Cohen hinziehe. Im letzten Ab schnitt der Einleitung geht Albrecht zu nächst auf die Forschungen Alexander Altmanns und dessen geistesgeschichtliche Positionierung Mendelssohns ein, der un ter dem Einfluss von Hobbes, Spinoza, Locke und vor allem Christian Wolff stand, um dann weitere gegenwärtige Forschungspositionen zu referieren.

Mit der neuen Textausgabe zugleich einen kompakten Forschungsüberblick zu erhalten, erweist sich als außerordentlich nützlich. Das Gleiche gilt für die Angaben zur Sekundärliteratur, zu den Quellen und der Textgrundlage sowie den Erläu terungen zu den Editionsprinzipien (XLIII­XLIV). Dass die Vorrede zu Manasses Schrift der Ausgabe in einer wissenschaftlichen Edition beigegeben ist, ist ebenso zu begrüßen, wie es die Erläuterungen zu beiden Schriften in den Anmerkungen sind. Sie bieten nicht nur Informationen zu den von Mendelssohn ge nannten Namen, sondern greifen auch Anspielungen erklärend auf, die dem nicht einschlägig Vorgebildeten kaum als solche erkennbar sind. Daneben werden veraltete sprachliche Ausdrücke erklärt. Personen- und Sachregister (169­181) er leich tern die Arbeit mit diesem vorzüglichen Buch deutlich.