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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1314 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Thomas, Merrilyn:

Titel/Untertitel:

Communing with the Enemy. Covert Operations, Christianity and Cold War Politics in Britain and the GDR.

Verlag:

Oxford-Bern-Berlin-Bruxelles-Frankfurt a. M.-New York-Wien: Lang 2005. 293 S. 8°. Kart. Euro 52,00. ISBN 3-03910-192-7.

Rezensent:

Martin Greschat

Im März 1965 reiste ein Kreis britischer Jugendlicher unter der Leitung von Bill Williams, dem Propst der Kathedrale von Coventry, nach Dresden, um dort zum Zeichen der Versöhnung am Wiederaufbau des Diakonissenkrankenhauses mitzuwirken. Acht Monate lang konnten verschiedene britische Gruppen sich dort aufhalten. Sie arbeiteten mit rund 100 jungen Christen aus der DDR zusammen. Eine solche Kooperation war selbstverständlich nicht ohne die Einwirkungen der Politik und die Mitwirkung der Geheimdienste möglich. Diesen Zusammenhängen geht die vorliegende Untersuchung nach.Die Vfn. skizziert zunächst die Personen und Organisationen, die nach ihrer Überzeugung bei dieser Aktion eine wichtige Rolle spielten: die Geheimdienste generell (35­48) sowie, ihnen zumindest nahestehend, Hans-Joachim Seidowsky (49­63) und den Direktor der Westberliner Evangelischen Akademie, Erich Müller-Gangloff (63­72), die Aktion Sühnezeichen (75­103), die Vertreter eines christlich-marxistischen Dialogs, insbesondere Paul Oestreicher (105­132), den widerstrebenden sächsischen Bischof Gottfried Noth (133­165), den britischen Politiker Richard Crossman (157­189), schließlich den Vorgang um den Dresdner Oberbürgermeister Gerhard Schill, dem die Briten die Einreise zur Eröffnung einer Ausstellung über die sächsische Kulturstadt in Coventry im Mai 1965 verweigerten (191­214). Die DDR antwortete wider Erwarten nicht mit der Ausweisung der Jugendlichen aus Dresden.

Im Anschluss an diese Darstellung fasst die Vfn. in den beiden letzten Kapiteln (215­238; 239­264) sowohl den Gang der Verhandlungen bis zur Genehmigung des Coventry-Dresden-Projekts als auch ihre Deutung der Ereignisse zusammen. Da nach wäre es sowohl der DDR als auch den Briten einerseits darum gegangen, ihre politischen Beziehungen trotz der Hallstein-Doktrin zu verbessern und andererseits die Christen in Ostdeutschland zu veranlassen, sich in die nun einmal gegebenen Verhältnisse zu schicken. Das sei vor allem Ulbrichts Intention gewesen, der deshalb auch das Coventry-Dresden-Projekt durchgesetzt habe. Bischof Noth und andere Opponenten sollten vom Westen her und durch den Druck der Aktion Sühnezeichen zum Aufgeben ihres Widerstands gegen das System genötigt werden.

Wer die Belege für diese Deutung überprüft, findet jedoch entweder keine oder sehr unterschiedliche Berichte der Stasi. Diese werden ganz unkritisch als historische Quellen genutzt. Dass sie trotzdem nicht eindeutig bestätigen, was die Vfn. be hauptet, liegt nach ihrer Überzeugung am prinzipiellen Vorgehen von Geheimdiensten, die kaum Schriftliches festhalten und sich im Übrigen auf Andeutungen beschränken. Da die Vfn. »weiß«, dass Seidowsky auf Weisung Ulbrichts handelte, Müller-Gangloff eng mit westlichen Geheimdiensten kooperierte, Netzwerke mit Gleichgesinnten in der DDR aufbaute und mit dem in der »Kunst der Konspiration« (79) erfahrenen Lothar Kreyssig zusammenarbeitete, dessen Aktion Sühnezeichen »die kommunistischen Länder Osteuropas zu infiltrieren versuchte« (100), kann sie jenes phantasievolle Bild entwerfen, das alle diejenigen, die auch nur ein wenig die Quellen sowie die historischen Zusammenhänge kennen, verblüfft. Natürlich wurden Christen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs von Politikern benutzt. Selbstverständlich versuchten Christen auch, hier wie da, Spannungen abzubauen und Konfrontationen zu entschärfen. Dass sie das jedoch kaum mit geheimdienstlichen Mitteln taten, auch nicht mit solchen der psychologischen Kriegsführung, sondern mit spezifisch geistlichen, spirituellen, kommt in dieser Studie leider nicht in den Blick.