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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1306 f

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Edinger, Klaus-Peter:

Titel/Untertitel:

Ökumenisches Krisen-Management wagen: Sich der Krise »Fremdsein« stellen. Gelebte Ökumene einer Dekade Gemeindeaufbau in Deutschland und Südafrika.

Verlag:

Frankfurt a. M.: Lembeck 2006. 538 S. Kart. Euro 18,00. ISBN 3-87476-501-6.

Rezensent:

Horst Georg Pöhlmann

Das Buch bringt 26 Längsschnitt-Fallstudien, Gespräche und Gesprächsanalysen zur Verarbeitung der Krise »Fremdsein« bei Begegnungen weißer und schwarzer Gemeindeglieder und Gemeinden in Südafrika und Deutschland. Ziel ist, die Krise »Fremdsein« als Lernfeld kirchlicher Tätigkeit zu verarbeiten. Anhand des Krisen-Management-Interaktionsmodells zum Lernprozess Krisenverarbeitung in acht Spiralphasen der Pädagogin Erika Schuchardt will der Vf. einen Lernweg zur Überwindung der Konfrontation mit dem »Fremden« auf der einen und der oft verordneten Assimilation des »Fremden« auf der anderen Seite erschließen. Das gelingt ihm auch im Großen und Ganzen, sosehr man sich fragt, ob das Achtspiralenmodell mit seinen Schubladenlösungen und Verallgemeinerungen wirklich geeignet ist, die Vorurteile eines verbürgerlichten Christentums gegen den Fremden und das Fremde abzubauen. Er weist darauf hin, dass Jesus sich im Weltgerichtsgleichnis von Matthäus 25,31 ff. mit dem »Fremden« identifiziert (25.35.40). Wer ihn annimmt, nimmt Jesus an, wer ihn ablehnt, lehnt Jesus ab. Im »Aushalten« des Fremdseins und der »Beschäftigung« mit ihm »liegt weniger eine Gefahr, als vielmehr eine Chance, ein verborgener Reichtum«. Das gilt von Gott selbst, der uns in der Bibel als »der Fremde, als Geheimnis« begegnet, wie für den zwischenmenschlichen Bereich. »Frieden« ist aber nur möglich, wenn die »Krise Fremdsein« verarbeitet wird und nicht geleugnet oder vertuscht wird. »Soll der Ernstfall Ökumene-Miteinanderleben im Anderssein« »gelingen, muss die alte Dichotomie Š Einheimische und Fremde« »aufgehoben und mühselig lernend in neue Komplementarität verwandelt werden. Nicht länger gilt vorrangig das Unterscheidende, sondern das Verbindende. Dem Postulat ðVorrang hat der MenschÐ ist die jeweilige Eigenart ðEinheimischerÐ oder ðFremderÐ untergeordnet«.

Der Vf. begründet sein Konzept mit Th. Sundermeiers Konvivenz-Theologie, M. Volfs Theology of Embrace und E. Levinas¹ Philosophie der Andersheit, was überzeugt. Interessant ist seine Auseinandersetzung mit R. Bultmann und M. Luther. Durch Bultmanns existentiale Interpretation und Entmythologisierung wird das Fremde durch die Assimilation des Anderen an das Eigene überwunden. Biblische Texte sind nur relevant, wenn sie für den Menschen einen Lebenswert haben und er durch sie ein Selbstverständnis findet. Er nimmt das Fremde biblischer Texte nicht ernst, indem er es assimiliert. »Letztes Ziel des Verstehens ist nach Bultmanns Auffassung die Horizontverschmelzung. Dazu bedarf es eines Vorverständnisses. Der Andere wird kaum reflektiert, er dient mehr als Mittel zum Zweck. Es geht dem Erkennenden um ein erweitertes Selbstverständnis Š Verstehen ist nach Bultmann Aneignung. Nach dem Verzehren kommt das Verdauen, die Internalisierung Š«. An Luthers Theologie bemängelt der Vf. die tiefe Kluft zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden. Der Nichtglaubende wird als Fremder ausgegrenzt. Wenn es so ist, hat der Vf. Recht. Aber steht er nicht in Gefahr, einem Relativismus zu erliegen, der nicht mehr, wie das Neue Testament, zwischen Wahrheit und Irrtum unterscheidet?

Die Arbeit hat ihre Verdienste, sosehr man manche Fragestellungen vermisst wie die: Wird nicht durch das Fremde das Eigene erkannt und nicht, wenn das Eigene bei sich bleibt? Verifiziert sich das Konzept, sich dem Fremden zu stellen und sich in es hineinzudenken und hineinzufühlen nicht auch im interreligiösen, nicht nur im ökumenischen Miteinander? Geht nicht vom Fremden geradezu eine Faszination aus, wie der Bud dhismus zeigt?

Im Grunde bedarf es keines aufwendigen Achtspiralenmodells, der Satz des Paulus reicht hin: »Die Liebe sucht nicht sich selbst« (1Kor 13,5), sie sucht den Anderen, lässt sich los und lässt sich ein auf den Anderen, auch wenn es schwerfällt.