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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1300–1302

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Keul, Hildegund:

Titel/Untertitel:

Verschwiegene Gottesrede. Die Mystik der Begine Mechthild von Magdeburg.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2004. 525 S. 8° = Innsbrucker Theologische Studien, 69. Kart. Euro 49,00. ISBN 3-7022-2608-7.

Rezensent:

Volker Leppin

Nicht umsonst ist diese Würzburger katholisch-theologische Ha bilitationsschrift mit dem Karl-Rahner-Preis 2003 ausgezeichnet worden, stammt doch von dem großen Innsbrucker Theologen das Diktum, dass der Fromme von morgen Mystiker sein oder gar nicht sein werde. Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend und plausibel, wenn K. in der mittelalterlichen Mystik Anregungen für heutige Theologie sucht. Die Gegenwartsanalyse K.s ist dabei schonungslos: Von der »Sprachlosigkeit heutiger Gottesrede« spricht sie (439) ­ und will die Mystik heranziehen, um zur Überwindung dieser als krisenhaft wahrgenommenen Gegenwartslage der Theologie beizutragen. Denn K. geht davon aus, dass mystische Gottesrede in sich Sprachlosigkeit aufhebt, indem sie sich »im Spannungsfeld von Reden und Schweigen« bewegt (15).

Der erste Hauptteil dient der Exposition von K.s methodischem Grundansatz: Sie ordnet ihre Untersuchung einer »Genealogie der Mystik« zu (51). Nicht nur die überscharf polemische Absetzung von Forschungen nichttheologischer Disziplinen zu Mechthild (28.53­55) lässt aber fragen, ob hiermit ein wirklich vorwärtsführender methodischer Schritt getan wurde. K. geht den auch sonst gelegentlich zu beobachtenden Weg, die Modernekritik der Postmoderne ­ in diesem Falle von Michel Foucault­ dazu zu nutzen, die Prämoderne wieder ins Spiel zu bringen. Genealogie definiert K. dabei schlicht als »Lehre von der Entstehung oder die Erforschung des Werdens« (48), will damit aber etwas über die gängige Historiographie ­ und auch das Anliegen Foucaults ­ Hinausweisendes, dezidiert Theologisches erreichen (51). Die von Foucault forcierte Frage nach der Macht führt sie zur Sprachmacht und auf die dezidierte Frage weiter, wie Mystik »Gott neu zur Sprache bringt« (95). Damit wird in die Untersuchung der historisch gegebenen Quelle der gegenwärtige Gottesbezug sehr unmittelbar eingebracht ­ und die Grenze zwischen Analyse und Applikation verwischt. Theologische Mystikforschung, die so vorgeht, braucht sich über Desinteresse in den Nachbardisziplinen (38 f.) allerdings nicht zu beklagen.

Der historischen Rückversicherung dieser Genealogie dient der zweite Hauptteil der Arbeit, in dem die Lebensstationen Mechthilds ­ ihre adelige Herkunft, der städtische Kontext ihres Beginendaseins und das Kloster Helfta, in dem sie ihren Le bensabend verbrachte ­ behandelt werden. Aussageabsicht und Kontext der fundamentaltheologischen Arbeit verlangen dabei nicht so sehr eine sozialhistorische Profilierung, sondern eher eine theologisch-spirituelle Akzentuierung, die K. mit einer ge wissen Neigung zur Schematisierung auch vornimmt: Die adelige Herkunft ist Ausgangspunkt der ersten visionären Erfah run gen, durch die Mechthild freilich gerade auch in Distanz zum familiären Herkommen tritt bzw., wie K. formuliert: »Eigenstand« erlangt (124). Diese Diskrepanz schlägt sich nach K. vor allem in der Orientierung an der Armut nieder, die dann im städtischen Kontext gelebt werden kann. Und Helfta steht bei K. schließlich für die Ausprägung spezifisch weiblicher Frömmigkeit.

Der 3. Hauptteil stellt das eigentliche Zentrum von K.s Mechthild-Interpretation dar. Wiederum wird den historisch orientierten Forschungen zur Mystik durchaus Rechnung getragen, wenn die sehr intensive erotische Sprache Mechthilds nicht nur mit dem Hohelied, sondern auch mit der Sprache des Minnesangs in Verbindung gebracht wird. Bemerkenswert ist die Beschreibung der Mystik im Verhältnis zu den Grenzerfahrungen nicht nur der Liebe, sondern auch des Todes. Hermeneutisch sehr einleuchtend sind dann auch die Darlegungen, die Schweigen und Reden in Beziehung setzen und deutlich machen, dass Mystik letztlich von der Unsagbarkeit Gottes ausgeht, die zum Schweigen führt, das aber, so K., als »beredtes Schweigen« etwas anderes ist als bloße Sprachlosigkeit; sie sieht es geradezu dialektisch auf Sprache bezogen (316­321). Mechthilds hieraus resultierendes Bemühen, »eine Überschreitung der Sprache durch Sprache« zu ermöglichen (327), konzentriert sich dann für K. in der Metapher ­ ein Begriff, an dem sie gegen Walter Haug auch für mystische Sprache festhalten will; abgesehen von dieser expliziten Abgrenzung hätte man sich in diesem Abschnitt etwas mehr Eingehen auf die Metapherntheorie gewünscht ­ der Verweis auf eine eigene weitere Publikation zur Gottesrede im fundamentaltheologischen Teil der Arbeit (479, Anm. 39) kann eine solche im Zusammenhang der Mechthild-Analyse fehlende Einordnung in die breite Diskussion der letzten Jahrzehnte nicht ersetzen. Ein letzter großer Gedankengang dieses Hauptteils beschreibt dann, wie aus der Sprachwerdung des Unsagbaren letztlich und in ganz eigener Weise weibliche Autorität entsteht, die die Visionärin als eine inspirierte Schreiberin, als »Feder in der Hand Gottes« (432), erscheinen lässt.

Im Gespräch mit den Diskussionen und Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils versucht K. das anhand von Mechthild Ausgeführte für heutige Gedankengänge katholischer Fundamentaltheologie fruchtbar zu machen, um die Sprachfähigkeit in Seelsorge und Theologie zu beleben. Dass sie dabei den Offenbarungsbegriff aus »Dei Verbum« nicht nur auf die Bibel, sondern auch auf Mechthild von Magdeburg beziehen will (466; vgl. 471), zählt sicher nicht zu den ökumenisch hilfreichen Aspekten dieser Arbeit.

K.s Darlegungen sind vom Mut zu eigenständigem Denken und Formulieren geprägt ­ aber sie sind, wie schon die Hinweise zur Methodik angedeutet haben, nicht immer überzeugend.

Am befremdlichsten ist wohl, dass gerade eine Arbeit, der es um die Überwindung von Sprachlosigkeit geht, nicht nur zu einer Fülle von Redundanzen neigt, die den Hinweis nahelegen, dass mehr Worte nicht mehr Sprache bedeuten, sondern dass vor allem der Stil dieser Arbeit ihre Lektüre zur Mühe macht: Neben dem lockeren Anschluss an moderne Theoriesprache (»Diskurs« etc.) stehen nämlich auch die Quelle geradezu hypostasierende Sätze wie: »Langsam arbeitet sich das ðDas fließende Licht der GottheitÐ aus dem Vergessen heraus«, womit die neue Aufmerksamkeit auf Mechthilds Werk in den vergangenen Jahrzehnten zusammengefasst werden soll (37 mit vielen ähnlichen Parallelen), oder auch hagiographisch anmutende Wendungen wie: »Mechthilds Buch taucht aus dem Dunkel der Geschichte auf wie ein Blitz aus heiterem Himmel« (23). Gelegentlich grenzen diese zwischen Bemühen und Banalität schwankenden Formulierungen sogar an unfreiwillige Komik: »Die Erotik und der Tod machen ihnen Š das Leben schwer«, heißt es über die Spielleute des Mittelalters (221). Ob all dies selbst tatsächlich etwas anderes ist als der Ausdruck theologischer Sprach- und Hilflosigkeit? Es ist jedenfalls zu wünschen, dass nicht nur der Theologe, sondern auch der Fromme von morgen eine andere, der Zeit gemäßere Sprache findet.