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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1296–1298

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schulze, Christian:

Titel/Untertitel:

Medizin und Christentum in Spätantike und frühem Mittelalter. Christliche Ärzte und ihr Wirken.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. X, 253 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 27. Kart. Euro 49,00. ISBN 3-16-148596-3.

Rezensent:

Dorothea Hollnagel

Während der erstaunlichen Expansion des islamischen Reiches im 7. Jh. waren es vornehmlich Christen, die antikes Wissen durch Übersetzungen ins Arabische weitergaben, und zwar insbesondere auf dem Gebiet der Medizin. Mit den historischen Voraussetzungen und Ursachen dieses Befundes beschäftigt sich Christian Schulze in seinem Buch und verfolgt dabei zwei Anliegen: Er liefert eine ausführlich kommentierte und die bislang vollständigste Sammlung epigraphischer und literarischer Zeugnisse christlicher Ärzte, die bis in das 2./3. Jh. zurück reicht, und unternimmt zum anderen erfolgreich den Versuch, die auffällige Präsenz von Christen im Prozess des graeco-orientalischen Wissenstransfers im Bereich der Medizin aus dem historisch gewachsenen Verhältnis des Christentums zur paganen Medizin zu erklären.

Einleitend bietet Sch. einen Umriss der Fragestellung, angestrebte Lösungsansätze, eine Zusammenfassung der bisherigen Forschungsleistungen sowie Gliederung und Methodik seiner eigenen Arbeit. In einem zweiten Kapitel wird, um die medizinische Kompetenz der Christen zu begründen, die Problematik des Arztberufes bei Christen ins Blickfeld gerückt. Der paganen Herkunft der Medizin und ihrer Nähe zu erneut aufflammenden heidnischen Heilkulten stehen die Akzeptanz des Arztberufes bei Taufbewerbern und die reiche christliche Metaphorik aus dem Bereich des Heilens und ärztlichen Handelns gegenüber. Diesen scheinbaren Widerspruch klärt Sch. auf, indem er in einer prosopographischen Bestandsaufnahme den relativ hohen Anteil der Christen unter den Ärzten der griechisch-römischen Antike belegt. En passant beobachtet er dabei eine erstaunlich große Anzahl christlicher Ärztinnen und eine differenzierte Abstufung medizinischer Berufsbezeichnungen. Diese umfangreiche Quellensammlung bildet den Hauptteil der Arbeit, wobei die methodischen Schwierigkeiten, ob etwa ein epigraphisch belegter Arzt tatsächlich Christ oder umgekehrt ein Christ tatsächlich Arzt gewesen ist und was sich unter der Berufsbezeichnung im Einzelnen verbirgt, bei der Darstellung des Materials kritisch diskutiert werden. Da Sch. als Philologe ­ wie auch andere Bücher zeigen, so z. B. die Arbeit über Celsus von 2001 ­ seine Quellen stets mit der gebotenen Vorsicht und nie vorschnell im Dienst einer These auswertet, entsteht ein vertrauenswürdiges Bild der historischen Verhältnisse. Um den Befund zu untermauern, wird eine Vergleichsgruppe, die der christlichen Bäcker, herangezogen (ebenfalls ein weitgehend »vererbbares« Handwerk, das eine ähnlich große Gruppe von Kunden versorgte). Trotz der großen Bedeutung, die gerade das Brot im christlichen Kontext besitzt, ist die in den Inschriften nachweisbare Zahl christlicher Bäcker deutlich geringer als die der Ärzte. Auf Grundlage dieser Beobachtungen entfaltet Sch. die überzeugende These, dass neben den am häufigsten herangezogenen Erklärungsmodellen (Gebot der Nächstenliebe, Schutz von Gottes Werken, die Konkurrenz heidnischen Heilens und die unentgeltliche Hilfe als Caritasmotiv) zwei weitere Gründe für die Akzeptanz des christlichen Arztes beachtenswert sind, nämlich der Wandel des ärztlichen Ansehens in der frühen Kaiserzeit und die Öffnung der Christen gegenüber dem heidnischen Bildungskanon (artes liberales). Beide Entwicklungen begünstigen das im Neuen Testament vorbereitete und in patri stischer Literatur lebendige Christus medicus-Motiv. So kam es, dass Christen als Ärzte auf Grund ihres historisch gewachsenen Verhältnisses zur griechisch-römischen Fachliteratur sowie ihrer eigenen Interessen bei den graeco-arabischen Transferleistungen deren Art und Umfang maßgeblich mitgestalten konnten. Dem arabischen Wissenshunger als alleinigem Movens der Rezeption stellt Sch. damit eine überzeugende Perspektive gegenüber, die den schon in vor-islamischer Zeit z. B. bei Sergios von R¯es¹ain¯a (6. Jh.) beobachtbaren Impetus bestätigt, griechisches Wissen durch Übersetzung in andere Sprachen weiterzugeben.

Kleinere formale Pannen wie die Nennung eines Begriffs, der erst an späterer Stelle erklärt wird, gehören neben einer Handvoll Druckfehlern zu den leicht verschmerzbaren Mängeln. Denn ansonsten ist das Buch ziemlich perfekt: Der dichte Text liest sich flüssig und regelrecht spannend. In übersichtlich strukturierter Vorgehensweise diskutiert Sch. die von ihm vorgelegten Fragen, vermeidet voreilige Schlüsse und wird seiner Prämisse, nach einem differenzierten und nicht monokausalen Erklärungsmodell zu suchen (163), gerecht. Eine Zusammenfassung und ein nützlicher Anhang mit einem umfangreichen und nach Sachgruppen aufgeschlüsselten Literaturverzeichnis sowie Registern zu Bibelstellen, antiken und mittelalterlichen Texten, Namen und Sachen runden den Band ab, dessen Lektüre sich auch für Leser außerhalb eines unmittelbaren Fachpublikums lohnt, da er die Zusammenhänge zwischen paganer und christlicher Kultur in ihrer Vielschichtigkeit erhellt und am Beispiel des Arztberufes die Komplexität des graeco-orientalischen Wissenstransfers entfaltet.