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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1293–1295

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hahn, Johannes:

Titel/Untertitel:

Gewalt und religiöser Konflikt. Studien zu den Auseinandersetzungen zwischen Christen, Heiden und Juden im Osten des Römischen Reiches (von Konstantin bis Theodosius II.).

Verlag:

Berlin: Akademie Verlag 2004. 348 S. gr.8° = Klio Beihefte. Neue Folge, 8. Geb. Euro 69,80. ISBN 3-05-003760-1.

Rezensent:

Bruno Bleckmann

Die Spätantike ist eine Epoche des »Multikonfessionalismus«. J. Hahn geht es um die Untersuchung gewaltsamer Konflikte zwischen Heiden, Juden und Christen, und er legt zu diesem zentralen Thema eine grundlegende Studie vor. Das Buch erscheint als ein großer historiographischer Wurf, als ein Werk, das geeignet ist, den Blick für die komplexe Lebenswirklichkeit im Osten des Römischen Reiches während des 4. und frühen 5. Jh.s zu öffnen. H. konzentriert sich auf vier Fallbeispiele, die eine sehr große Bandbreite verschiedener Verhältnisse abdecken. Der Bischof von Alexandreia wirkte mit großer Autorität innerhalb einer gewachsenen städtischen Konfessionsstruktur, die vom jahrhundertelangen Zusammenleben von Christen, Juden und als Ge meinschaft sehr robusten und selbstbewussten Heiden geprägt war. In Antiocheia lagen die Verhältnisse völlig anders, weil die kirchliche Führung durch jahrzehntelange Kirchenstreitigkeiten und Schismen geschwächt, aber auch das Heidentum keine große Lebendigkeit und Dynamik mehr hatte. In Gaza bildeten die Christen noch im beginnenden 5. Jh. eine verschwindend kleine Minderheit. Und in Oberägypten hat man den Sonderfall einer Frontstellung zwischen dem nichthellenisierten Land mit der handlungsstarken Klosterorganisation des Schenute und der ge bildeten (Christen und Heiden umfassenden) hellenisierten städtischen Elite von Panopolis.

H. betreibt »quellenkritische Analysen« (12) und stellt die einzelnen Fälle von Konflikten plastisch in einen Kontext »aller Rahmenbedingungen des öffentlichen Lebens«. Dem Spezialisten für spätantike Historiographie mag mitunter eine gründliche Abklärung des Diskurses fehlen, in dem diese oder jene Stelle zu verorten ist. So stammt der merkwürdige, in der Suda und bei Johannes Antiochenus erhaltene Text (vgl. Nr. 273.1 und 2 Roberto) über die Verbrennung des Traianeums von Antiocheia durch Jovian, den H. für seine Argumentation benutzt, aus einer hochtendenziösen Quelle (Eunap?), die ein völlig verzerrtes Bild des Nachfolgers Julians zeichnet, wie der Bericht über die Räumung von Nisibis zeigt. Auf S. 71 wird auf »die Feststellung Ammians als eines unverdächtigen heidnischen Zeugen, daß die Einsetzung Georgs als Bischof von Alexandria contra utilitatem rei communis erfolgt sei«, affirmativ Bezug genommen. Ob die »Vorschläge an Constantius, dem aerarium dadurch neue, angesichts der militärischen Lage im Osten dringend benötigte finanzielle Quellen zu erschließen, daß sämtliche öffentlichen Gebäude durch die Einführung von Abgaben auch Gewinne abwerfen sollten«, wirklich zu den nicht-religiösen Motiven gehören, die Ammian (22,11,6) gewissermaßen als Verstöße gegen die einen Bischof geziemende Gerechtigkeit und Milde ahndet, muss angesichts der tendenziösen Verzerrungen Ammians, der ein Negativbild des Kaisers Constantius und seiner Günstlinge zeichnet, offen bleiben. Jedenfalls wären Deutungen, die den religionspolitischen Horizont dieses Vorschlags Georgs erkennen lassen, durchaus möglich. Georg beabsichtigte, der Stadt Alexandreia eigene Gebäude und daraus resultierende eigene Einnahmen (vectigalia) zu entziehen, vgl. R. Delmaire, Largesses sacrées et Res privata. L¹aerarium impérial et son administration du Ive au Vie siècle, Rom-Paris 1989, 651. Diese vectigalia wurden aber auch zur Finanzierung von Kulten gebraucht, ein Grund, der erklärt, warum Julian sie wieder den Städten überließ oder neu einführte (Sozom. 5,3,1; Amm. 25,4,15). Sollte es sich bei den Gebäuden sogar teilweise um zu enteignende heidnische Kultstätten handeln, wäre der antiheidnische Hintergrund des Vorschlags Georgs vollends zu greifen (vgl. auch zur Frage der Konfiskationen von fundi rei publicae H.-U. Wiemer, Libanios und Julian. Studien zum Verhältnis von Rhetorik und Politik im vierten Jahrhundert n. Chr., München 1995, 104­107).

Der Umgang von H. mit tendenziösen paganen Quellen leitet zu Einwänden grundsätzlicher Natur über, die trotz aller Bewunderung für die gebotene historiographische Leistung nicht verschwiegen werden können. Niemand wird bestreiten, dass die Christianisierung sich als »facettenreicher Prozeß einer grundlegenden Neuorientierung jener zahllosen einzelnen Ge meinden, die in ihrer Summe die Bevölkerung und territoriale Gesamtheit des Reiches bildete«, darstellte. H. kann nicht der Vorwurf gemacht werden, bei der Darstellung dieser Facetten die konfessionelle Identität gegenüber den anderen eine Gruppenidentität bildenden Faktoren als bloßes Epiphänomen zu betrachten. Doch H. entkleidet immer wieder die von ihm be handelten Fälle von Übergriffen und Gewalttaten zwischen religiösen Gruppierungen ihrer primär religiösen Motivation. Die Tatsache, dass auf Grund des Arbeitens mit Fallbeispielen eine Reihe symptomatischer Vorfälle gar nicht ins Visier genommen werden (etwa die Zerstörung der Synagoge von Kallinikon oder der jüdische Aufstand von 352, der auch gegen Heiden und Samaritaner gerichtet war), dass ferner die innerchristlichen Auseinandersetzungen großenteils ausgeschlossen werden, trägt m. E. zu einem insgesamt verharmlosenden Bild der Spätantike bei. Wenn H. (282) den Fall der Konstantinopolitaner Unruhen, in denen der magister militum Hermogenes beim Versuch, den Bischof Paulus zu vertreiben, gelyncht wurde, als nichtreligiöse Unruhe zur Seite schiebt, lassen sich daran angesichts des sich in dieser Zeit entwickelnden Konfliktes zwischen dem homöischen Netzwerk um Constantius II. und der von Constans unterstützten Gegenrichtung durchaus Zweifel an melden. Bei der Skizzierung der angeblich guten Integration der Christen in das städtische Umfeld Alexandreias bis zum Ende der Verfolgungen (32­35) vermisse ich einen Hinweis auf die blutigen, nicht von den Behörden gesteuerten heidnischen Übergriffe auf Christen in der Zeit des Philippus Arabs (Eus. H. e. 6,41,1­9).

Dadurch, dass H. (ausgehend von einer beiläufigen Bemerkung von A. H. M. Jones über die verschiedene Motive für Volksaufstände in Konstantinopel, vgl. H., 9) unter Gewalt ausschließlich konkrete Übergriffe (in Form von Volksaufständen und spektakulären Zerstörungen), nicht aber latente Gewaltstrukturen versteht, werden viele Formen von Konflikten und Machtspielen ausgeblendet. H. verbindet einige Indizien, wie die Tatsache, dass Heiden in dem (gegen seine innerkirchlichen Rivalen gerichteten) ‘uvre des Athanasius nur in topischen Gewaltschilderungen vorkommen oder dass Johannes Chrysostomus das alltägliche gute Zusammenleben zwischen Juden und Christen in Antiocheia geißelt, zum Gesamturteil, es habe in der Spätantike eine »Atmosphäre religiöser Toleranz und friedlicher Koexistenz der verschiedenen Religionsgruppen« geherrscht (273), »die sich unter dem heidnischen Restaurationsversuch Julians ebenso bewährte wie zuvor unter den Christenverfolgungen« (!). Der »religiöse Konflikt« sei in der Spätantike nicht die Regel, sondern die Ausnahme (292). Diese Bilanz scheint mir aus den von H. virtuos präsentierten Fallbeispielen nicht hinreichend abgesichert zu sein.