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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

237 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Beckwith, Roger T.

Titel/Untertitel:

Calendar and Chronology, Jewish and Christian. Biblical, Intertestamental and Patristic Studies.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XV, 333 S. gr.8° = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums, 33. Lw. hfl 183.­. ISBN 90-04-10586-7.

Rezensent:

August Strobel

Das Aufgabenfeld dieses Buches ist überaus komplex, zugleich aber auch grundlegend. Jeder Theologe, ob Historiker, Alt- oder Neutestamentler ist damit herausgefordert. Wenn es auf dem Sektor heutiger Bibelwissenschaft ein stichhaltiges Argument gibt, dann ist es das der Zahl. Und anders als über solche in sich schlüssige Beweisführung wird man dem Vf., der sich seit Jahrzehnten ausgewiesen hat, nicht entsprechen. Die Aufsätze dieses Buches, Resultate fleißiger und konsequent-logischer Arbeit, sind anders schon gar nicht zu widerlegen.

Ch. 1 The Day: Its Divisions and its Limits in Biblical Time (2-9) entfaltet den biblischen Alltag, zugleich aber mehr noch die Grundlage des Redens über liturgische Daten, vor allem in Hinsicht auf Passa und das Fest der Ungesäuerten. Jeder biblische Sabbat beginnt und endet am Abend. Ahnen wir die Konsequenzen? Ch. 2 handelt über "The Sabbath and Sunday" (10-50). Dezidiert entfaltet der Autor die Folgen für die wichtigen Frühjahrsfeste und für das Zeugnis Jesu über den Sabbat, der vom Herrentag abgelöst wird und damit mehr noch einer eschatologischen Qualifikation unterworfen ist (s. Offb. 1,10; 1Kor 16,2 und Apg 20). Das Aufkommen der hohen jährlichen Feste in der Kirche (Ch. 3: Easter and Whitsun: The Origin of the Church’s earliest annual Festivals, 51-70) bezeichnet eines der subtilsten Themen kirchengeschichtlicher Forschung. Der Vf. plädiert für eine frühe schöpferische Rolle der antiochenischen Gemeinde und wendet sich gegen die der alexandrinischen Kirche.

Das Problem spitzt sich nun sofort auch kalendergeschichtlich und kalendertechnisch zu in Anbetracht der späten Entstehung des Weihnachtsfestes (Ch. 4: The Date of Christmas and the Courses of the Priests, 71-92): Erst im 4. Jh. n. Chr. nehmen Weihnachten und Epiphanias die uns vertraute terminliche Ausformung an, wobei aber freilich Klemens von Alexandrien und Hippolyt von Rom eine Vorläuferrolle spielen. Der Vf. hebt die wesentlichen Zeugen hervor, aber keineswegs alle wie z. B. auch Marcion, der weitere Schlüsse zuläßt. Immerhin vertieft der Vf. die Problemfindung erheblich mit Hilfe der neuen Funde, die dadurch nicht einfacher wird (80 ff.).

Aus biblischer Notwendigkeit kommt es mit Ch. 5 zu einer ebenso gewichtigen wie aktuellen Darstellung des essenischen Kalenders (The Perpetual Calendar of the Dead Sea Scrolls, 93-140). Seine Grundlagen werden in extenso entfaltet, wobei alle wesentlichen Positionen beachtet sind. Die Ausführungen markieren zu Recht die Mitte des Buches, das damit einen Forschungsakzent eigener Art besitzt. Der Vf. beleuchtet mögliche Ursprünge im Alten Testament, greift dann aber doch primär zurück auf die hellenistische Zeit des 3. Jh.s v. Chr. mit dem ägyptischen Solarjahr von 365 Jahren, so daß eigentlich nur die elementare Frage bleibt, warum er das Thema des sogenannten proto-essenischen Sonnenjahres, das 238 v. Chr. Ptolemäus Euergetes I. eingeführt hat, nicht mit der gebotenen Schärfe verfolgt. Als man damals die Diskrepanz des ägyptischen Sonnenjahres auf kalendarischer Basis bereinigt hatte, war dies folgenreich für weitere Reformen. Auch die jüdischen Separatisten fielen diesem Jahrhundertwerk anheim (108), das in der Tat tiefe Spuren im Judentum der Makkabäerzeit hinterlassen hat (u. a. aeth. Henoch) und mehr noch folgenreich die gesamte Kalendergeschichte der römisch antiken Welt bestimmte. Der Vf. stellt zutreffend fest (339): "Since the material occurs in such early texts, one must presume that the discrepancy had developed fairly rapidly and was due to an absence of intercalation ...". Aber er irrt letztlich, wenn er meint, man habe das Problem nicht in den Griff bekommen.

Der Qumrankalender war zweifellos perfekt und vor allem funktionsfähig. Sein Problem blieb der Überhang an endzeitlicher Spekulation. So gründlich auch der Vf. die Sachverhalte untersucht (vgl. bes. Ch. 6: "The Qumran Psalter: The Course of the Levites and the Use of the Psalms at Qumran", 141-166), er will nicht zur Kenntnis nehmen, daß die singuläre christliche 84jährige Periode mit der Bevorzugung des Sonnenzirkels von Anfang an das essenische Erbe in ihren Grundlagen gewahrt hat. In Ch. 7 (Judaism between the Testaments: The Stages of its Religious Development) kommt es (167-216) zwar zu einer soliden Darstellung des Aufkommens der essenischen Bewegung, besonders unter dem Makkabäer Jonathan 152-143 v. Chr., doch das Leitmotiv der solaren Kalendergeschichte wird nicht weiterverfolgt. Nur sporadisch taucht es in der bemerkenswerten Darstellung noch auf, meist mit Seitenblick auf die protoessensiche Bewegung in der Mitte des 3. Jh. v. Chr. (200 ff.). Um so mehr aber setzt der Autor dann mit Ch. 8 (217-275): The Year of the Messiah: Jewish and Early Christian Chronologies, and Their Eschatological Consequences) noch einmal energisch zum wegweisenden gedanklichen Höhenflug an.

Es gibt meines Wissens derzeit keine Arbeit, die das Thema der Jahrwochen-Spekulation so gründlich und umfassend behandelt. Für die frommen Kreise des Frühjudentums waren sie die Grundlage jeder aktuellen Zeitbeurteilung. In der essenischen Eschatologie war das Thema der kleinen und großen Jahrwochen durchgeformt bis ins letzte, was überaus anschaulich in vielen Details nachgewiesen wird. Das Thema der kleinen und großen Jubiläen wird jedenfalls überzeugend entfaltet (222 f.): "10 periods of 10 jubilees, each lasting 490 years, would make the total length of the history of the world, past and future, 4900 years".

Die Zahlen solcher Berechnung haben allenthalben ihre Spuren hinterlassen (s. bes. 11Q Melch; Test Levi u. v. a.), so daß ihre Breiten- und Tiefenwirkung nicht geleugnet werden kann. Das Geschichtswerk des Josephus würde anders nicht verstehbar sein und mit ihm eine Vielzahl weiterer Werke der Zeit (Ass. Mosis; 4. Esra und Ps.-Philo).

Der Vf. erwähnt im Zusammenhang auch den Bar Kochba-Aufstand, weil dieser ca. 70 Jahre nach der Revolte des römisch-jüdischen Krieges eine innere Zahlenlogik anzeigt. Wir haben anderwärts darauf aufmerksam gemacht, daß hier weitere astronomische Faktoren ins Spiel kommen, nämlich fraglos vor allem die Jupiter-Saturn-Konjunktion der Jahre 132/33 n. Chr. (Strobel, Weltenjahr etc. 1106 ff.).

Auch das Thema der Jahrwochen-Berechnung könnte um weitere Aspekte erweitert werden. Insgesamt bleibt aber die Darstellung grundlegend. Ch. 9 ("The Date of the Crucifixion", 276-296) bringt eine Reihe älterer Arbeiten erneut ins Gespräch (so z. B. G. Ogg, J. Jeremias u. a.) und unterschätzt dabei F. K. Ginzel völlig. Das leidige Dilemma, ob man für das Jahr 30 oder 33 n. Chr. votieren muß, bricht notwendigerweise erneut auf, zumal auch das Problem der synoptischen Überlieferung nicht durchschaut wird. So bleibt der Schlußsatz in der Tat grundlegend: "Much more could be said, but, without straying too far from calendrical and astronomical considerations, no more could be said here" (296).

Die sachlich wertvollen und hermeneutisch anregenden Studien des Buches schließen mit Ch. 10 (A Time, Times and Half a Time: The Revelation of the Prophet John, 297-309), wobei noch einmal im Anschluß an Ch. 8 die christologische Frage über die Jahrwochentheorie der Danielapokalypse umfassend ventiliert wird. So muß mit Nachdruck betont werden, daß der Vf. bei alledem das Problem der biblischen Zahlenwelt in neuer Weise zwingend ins hermeneutische Bewußtsein bringt, nämlich in einer merkwürdigen Ambivalenz von Exaktheit und symbolhafter Indifferenz. Sie überzeugt auf ihre Weise und bedarf keiner weiteren Stütze als die Logik der Zahl. Nur wer sie nicht beherrscht, mag auf die Anschaffung dieser Lebensarbeit verzichten.

Druckfehler: p. 126 Z. 6: Years statt days; p. 102: hThus? statt: This; p. 327: Barnabas statt: Barnabus.