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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1266–1268

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heither, Theresia, u. Christiana Reemts:

Titel/Untertitel:

Biblische Gestalten bei den Kirchenvätern. Abraham.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2005. 399 S. gr.8° = Biblische Gestalten bei den Kirchenvätern. Geb. Euro 39,00. ISBN 3-402-04385-8.

Rezensent:

Holger Strutwolf

Der Band eröffnet die Reihe »Biblische Gestalten bei den Kirchenvätern«, die sich die Aufgabe stellt, »die Art und Weise, wie die großen Theologen der frühen Christenheit die Bibel lasen, vorzustellen und so zu einer geistlichen Schriftauslegung in unserer Zeit Anregungen zu geben« (6) ­ also durchaus ein gegenwartstheologisches Ziel verfolgt. Dies gilt auch und besonders für den ersten Band der Reihe, der sich mit der Gestalt des Abraham beschäftigt, wie er in der Deutung durch die Kirchenväter sichtbar wird. Hier soll die spezifisch frühchristliche Sicht der für Judentum, Christentum und Islam zentralen Abrahamgestalt anhand des Abrahambildes der Kirchenväter erhoben und für den interreligiösen Dialog zur Verfügung gestellt werden. Das Buch gliedert sich in zwei Teile, »die unabhängig voneinander erarbeitet worden sind« (9), was natürlich zu Doppelungen und unterschiedlichen Deutungen »der Autorinnen in Einzelfragen« geführt hat. Es liegen also eigentlich zwei verschiedene Arbeiten in einem Band vor, die einander ergänzen, aber keineswegs aus einem Guss sind.

Der erste Teil, der von Theresia Heither verfasst worden ist, bietet nach einer kurzen Einführung, in der die Auswahl der berücksichtigten Autoren behandelt und äußerst knappe Bemerkungen zur »Hermeneutik der Kirchenväter« gemacht werden, unter dem Titel »Abraham in der Schriftauslegung« eine Sammlung von einschlägigen Partien aus den exegetischen Werken der herangezogenen Väter, die sich mit den biblischen Abrahamtexten befassen. Die Gliederung dieses Teilwerkes ergibt sich für den alttestamentlichen Teil der Arbeit zum großen Teil durch die Abfolge der biblischen Abrahamtexte in der Genesis, während das übrige Alte Testament auf nur drei Seiten recht summarisch unter dem Thema »der Gott Abrahams, Isaak und Jakobs« abgehandelt wird. Bei der Darstellung »Abraham im Neuen Testament« wechselt die Gliederung zur thematischen Darstellung unter den Überschriften »1. Christus und Abraham«, »2. Abraham als Stammvater« und »3. Abrahams Schoß«, wobei jeweils verschiedene neutestamentliche Aussagen zusammengestellt und mit Kirchenväterauslegungen verbunden werden. Diese alt- und neutestamentlichen Texte werden zunächst in Deutsch nach der Einheitsübersetzung geboten und dann durch Paraphrasen und übersetzte Zitate aus den Werken der sich zu ihnen ex professo äußernden Kirchenväter kommentiert. Man kann natürlich fragen, wie sinnvoll es ist, für das Alte Testament die Einheitsübersetzung zu Grunde zu legen, die auf den hebräischen Text zurück geht, wenn doch »die LXX, d. h. die griechische Bibel, als heilige Schrift der Kirche« galt (16). In den Kommentaren werden jeweils zunächst die Auslegungen des Wortlautes und daran anschließend erst die geistlichen Auslegungen der Väter dargeboten, wobei betont wird, dass die geistlichen Auslegungen den eigentlichen Kern der Väterauslegung bilden.

Im Teil II des Buches, der von Christiana Reemts verfasst wurde und ein eigene Einführung besitzt, wird unter dem Titel »Abraham in der christlichen Tradition« die patristische Sicht der Abrahamgestalt systematisch dargestellt. Zunächst werden unter dem Titel »Abraham als geschichtliche Gestalt« einmal die Ansichten der Väter über Zeit und Orte der Biographie des Erzvaters referiert (Kapitel 1), dann die Bedeutung, die dieser Gestalt als erstem »Verehrer des wahren Gottes«, »Freund Gottes«, »Philosoph«, »Priester«, »König«, »Presbyter«, »Athlet der Gottesliebe«, »Vater Jesu Christi und der Glaubenden« und »Prophet« beigemessen wird, entfaltet (Kapitel 2). Danach wird aus der Sicht der Väter »Abraham als moralisches Vorbild« (Kapitel 3), »Abraham als Typos« (Kapitel 4) und »Abraham als Hoffnung für die Zukunft« (Kapitel 5) vorgestellt. Eine knappe Bibliographie und ausführliche Stellenregister schließen das Doppelwerk ab.

Was hier also vorliegt, ist im ersten Teil eine »Kirchenväterkatene« zu den Abrahamtexten der Bibel, im zweiten Teil eine systematisierende Darstellung der Sicht »der Kirchenväter« auf die Abrahamgestalt im Allgemeinen. Die Problematik einer solchen katenenhaften oder systematisierenden Darstellung des Abrahambildes in der so genannten »Vätertheologie« ist natürlich auch den beiden Verfasserinnen bewusst: »Natürlich kann man eigentlich nicht von den Kirchenvätern und ihrer Auslegung sprechen, weil jeder Kirchenvater ein eigenständiger Theologe ist und seine Akzente setzt. Ihre Zeit umfasst mehrere Jahrhunderte, und das bedeutet, daß ihre Lebenssituation und ihr politisches und geistiges Umfeld sehr verschieden ist« (16). Der Gefahr, ein Einheitsbild der Kirchenväterauslegung zu konstruieren, das letztlich die theologischen Unterschiede und die verschiedenen exegetischen Zugänge der einzelnen Ausleger einebnet und verwischt, kann eine Darstellung wie die vorgelegte Doppelstudie kaum entgehen.

Ein Symptom für diese die Unterschiede nivellierende Tendenz kann schon in der Einführung von Th. Heither gesehen werden, wenn sie etwa sagt, die Väter hätten den Wortlaut der Schrift sehr ernst genommen, und dann fortfährt: »In jedem Fall muss er wahr sein, im Sinne der Väter bedeutet das auch, daß Abrahams Geschichte so stattgefunden hat, wie sie berichtet wird« (17). Dieser Grundsatz gilt in der hier formulierten Grundsätzlichkeit ja zumindest für Origenes nicht. Für ihn hat ja be kanntlich jede Stelle der Heiligen Schrift einen geistlichen Sinn, aber eben nicht jede auch einen historischen, gerade weil für den großen Alexandriner eben nicht jede Schriftaussage im historischen Sinne wahr sein kann. Auch das pauschale Urteil, »dass die Väter gute Philologen sind und die Methoden, die zu ihrer Zeit bekannt waren, beherrschten« (18), mag für Koryphäen wie Origenes, Hieronymus und viele andere gegolten haben. Was nun aber die philologischen Fähigkeiten und Ambitionen aller Kirchenschriftsteller angeht, gibt es doch erhebliche Unterschiede zwischen ihnen, die eine solche Verallgemeinerung recht fragwürdig erscheinen lassen.

So kommt es, dass die exegetisch-argumentativen Kontexte der jeweiligen Schrift, aus der die Zitate und Paraphrasen entnommen sind, nicht angemessen berücksichtigt werden. Darüber hinaus kann im Rahmen einer solchen Sammlung die Ge schichte des Abrahambildes in der altkirchlichen Auslegung nicht angemessen nachgezeichnet, ja nicht einmal das Abrahambild der einzelnen Kirchenschriftsteller erhoben werden. Überhaupt fehlt die intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten der einzelnen Exegesen, sie werden nur dargeboten und nicht eigens interpretiert oder gar problematisiert.

Zusammenfassend kann man sagen: Es handelt sich bei dem vorliegenden Werk um das, was versprochen wurde: eine nützliche Materialsammlung, die zum Weiterarbeiten einlädt.

Es soll einerseits eine »Materialsammlung« für »Leute vom Fach« sein, zum anderen aber auch für allgemein interessierte Christen, die »sich intensiver mit der Heiligen Schrift beschäftigen wollen« (14). Fachleute werden die Materialsammlung gerne, aber auch kritisch benutzen, aber die theologisch Interessierten bräuchten mehr und weiterführende Hintergrundinformationen, als in diesem Werk geboten werden. Problematisch ist z. B., dass die Werke der herangezogenen Kirchenväter nicht vollständig in der beigegebenen Bibliographie zu finden sind, sondern die Leser auf die Abkürzungsverzeichnisse der Lexika von G. W. Lampe, A Patristic Greek Lexicon, und den Thesaurus Linguae Latinae verwiesen werden und nur die Werke, die hier nicht abgekürzt zu finden sind, in der Quellenbibliographie genannt werden.