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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1253–1256

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Stausberg, Michael:

Titel/Untertitel:

(1) Die Religion Zarathushtras. Geschichte ­ Gegenwart ­ Rituale. 3 Bde. Bd. 1:

(2)Bd. 2:

(3) Bd. 3:

Verlag:

(1) Stuttgart: Kohlhammer 2002. XIV, 482 S. m. zahlr. Abb. u. 3 Ktn. gr.8°. Geb. Euro 50,00. ISBN 3-17-017118-6

.(2) Stuttgart: Kohlhammer 2002. X, 434 S. gr.8°. Geb. Euro 50,00. ISBN 3-17-017119-4.

(3) Stuttgart: Kohlhammer 2004. XVI, 606 S. m. 1 Bilder-CD-ROM u. 1 Video-CD-ROM. gr.8°. Geb. Euro 55,00. ISBN 3-17-017120-8.

Rezensent:

Christoph Elsas

Die Trilogie ist eine beeindruckende Verbindung spezialistischer und universalistischer Arbeitsweise. Das exzellente Ergebnis der Förderung als Stipendiat der Humboldt-Stiftung 1996­2000 und als Leiter der DFG-Nachwuchsgruppe »Religionsgeschichte und Ritualistik« an der Universität Heidelberg bezieht sich zu Recht in seinen Widmungen in memoriam Hans-Joachim Klimkeit, für Carsten Colpe und für Burkhard Gladigow auf die Wissenschaftstradition dieser verdienten deutschen Religionsgeschichtler.

Grundlegende Teile des Werks entstanden in Uppsala, dem Ort des Wirkens von Geo Widengren, der die letzte, 1965 ebenfalls bei Kohlhammer erschienene, deutschsprachige Gesamtdarstellung der iranischen Religionsgeschichte schrieb. Ihrer Gelehrsamkeit gegenüber resultiert die Neuartigkeit dieser drei Bände nicht nur aus dem mehrfachen Umfang, sondern vor allem dem ausdrücklichen Ansatz beim jeweiligen Interesse der Forschung und der zugehörigen verfeinerten methodologischen Reflexion. Diese rahmt schon den ersten Band (1­20 und 447­454): »Die Identität der Religion, deren Geschichte hier verfolgt wird, wird nicht auf dogmatische Weise bestimmt: Š Das Zarathustriertum wird nicht als Glaubensgemeinschaft, sondern als Bündel von Handlungsfeldern, Diskurs- und Rezeptionskontexten verstanden. Identität kommt nicht als vorgegebene Essenz, sondern als konstruierter Selbstbezug in den Blick. Die innere Konsistenz des Gegenstands wird somit in die Konstruktionsmechanismen und -bedingungen religiöser Traditionen verlegt« (18 f.).

Dem entsprechen die Überschriften der Hauptteile: »Zarathustra: Konstruktion und Funktion eines ðReligionsstiftersЫ (21), »Das Avesta: Zur Religionsgeschichte einer ðHeiligen SchriftЫ (69), »Die Religion Zarathustras in der politischen Geschichte des antiken Persien: Von den Achaimeniden zu den S¯as¯aniden« (154) und »Marginalisierung und Migration: Von der arabischen Eroberung Irans bis zur europäischen Kolonialherrschaft« (263). Charakteristisch ist dabei für S. ­ gerade auch im Vergleich mit Widengren ­ eine möglichst strikte Trennung der Darstellung des jeweiligen Quellenbefunds mit über weite Räume und Zeiten verstreuten Einzelheiten von dessen Verknüpfung und Interpretation.

Denn wie vielfältige Interpretationen etwa der berühmten zoroastrischen Themenbereiche »Dualismus«, »Jenseitsreise«, »Eschatologie« möglich sind, die auf Grund dieser oder jener Interessenlage vorgetragen wurden, zeigt näherhin der Band zur Gegenwart, der »stärker noch als der erste auf die soziale, politische, ökonomische und kulturelle Situation der verschiedenen zarathustrischen Gemeinden bzw. Gruppierungen fokussiert, für die ihre Religion gleichermaßen Text, Kontext, Subtext und Metatext darstellt« (Band 2, V).

So führte »das im ersten Band entworfene Szenario« von den wohl ca. 1000 v. Chr. zu datierenden »zumeist Zarathustra selbst zugesprochenen Gesängen (G¯ath¯a), über eine Erörterung der religionsgeschichtlichen Transformationen der Zarathustra-Figur Š und der Sammlung ritueller Texte in einer altiranischen Sprache, dem Avesta Š, bis in die politische Geschichte des antiken Persien Š Im Gefolge der arabischen Eroberung und Islamisierung des Landes Š kam es zu einer erneuten Kodifizierung der religiösen Traditionen in Form der mittelpersischen Literatur, der sog. Pahlavi Bücher Š Im zweiten Jahrtausend u. Z. gingen Anzahl und Größe der iranisch-zarathustrischen Gemeinden stark zurück Š An der indischen Westküste, in Gujar¯at, hatten sich schon in den Jahrhunderten nach der arabischen Eroberung Irans zarathustrische Gemeinden etabliert. In Gujar¯at waren einige indische Zarathustrier (= P¯arsi) schon früh mit den europäischen Handelsgesellschaften in Verbindung getreten Š Etwa im Gleichklang mit der zunehmenden politischen Oberherrschaft der britischen Ostindienkompanie seit dem späten 18. Jahrhundert Š entwickelten sich die P¯arsi von einer marginalen Gruppierung zu einer sozio-ökonomischen Elite« (Bd. II, Einführung, 1). »Schon in der Kolonialzeit waren indische Zarathustrier auf der Suche nach Profit, Karriere oder Ausbildung nach Afrika, Asien und Europa gezogen. Zu einer beschleunigten Migration kam es seit den 1960er Jahren«, während »die jüngere Migrationswelle der iranischen Zarathustrier nach der Revolution der Jahre 1978/79 Š eher einer Flucht« glich. Dabei »trafen indische und iranische Zarathustrier in den ðwestlichenÐ Gesellschaften auf eine neue Weise aufeinander. Vor allem in Nordamerika kam es dabei zu Spannungen und Konflikten zwischen den beiden Gruppierungen« (ebd., 4 f.).

Dem entspricht der Aufbau des zweiten Bandes mit den Hauptteilen »Indien« (13­151), »Iran« (152­262) und »Andere Länder« (263­400), gefolgt von Rückblicken zur »Positionsbestimmung der Frauen« (401­422) und zu »Rückkoppelungen: Religiöse und ethnische Identitäten« (423­429). Nach »Sozialgeschichte und Identitätsbildung« (14) werden dabei im Kapitel »Religiöse Interferenzen und theologische Modelle« (81) auch »christliche Missionsversuche« (83), »muslimisch-zarathustrische Ausschreitungen im 19. Jahrhundert« (87) und »die At traktivität fremdreligiöser Angebote« (89) thematisiert, aber auch »westliche Philologie und die Reform der zarathustrischen Theologie« (99), »die Theosophische Gesellschaft und die Zarathustrier« (112) und »moderne zarathustrische Esoterik« (118), schließlich »G¯ath¯a-Interpretationen (neo-)hinduistischer Autoren« (127), »zarathustrische G¯atha-Studien nach der Unabhängigkeit« (132), »Zaroastrian Studies: Eine neo-zarathustrische Revitalisierungsbewegung« (141), »theologische Entwürfe der 1980er und 1990er Jahre« (144) und »theologische Diskurse und religiöse Praxis« (148). Daneben stehen für Iran Kapitel zu »Veränderungen der juristischen und politischen Rahmenbedingungen« (153), »Nationalismus und Nativismus« (197) und »Migration, Urbanisierung, Organisationsstrukturen und Schulen« (234).

S. beschreibt anschaulich, wie in allen modernen Kontexten immer wieder nicht zuletzt die mit Reinheits- und Jenseitsthematik verbundenen Bestattungsfragen für die jeweilige zarathustrische Gemeinschaft und in Zusammenhang damit Fragen der Einbeziehung von Angehörigen aus Mischehen und auf Grund Konversion Anlass zu Auseinandersetzungen waren und sind. Er zeigt, dass und speziell »in der zarathustrischen Szene Nordamerikas ein intensiver religiöser Diskus in Gang gekommen ist« (354) und es dabei auch zur »Entstehung neo-zarathustrischer Bewegungen« kam (361), einschließlich der Son derentwicklung Mazdaznan (378­400).

Für Band 3 dankt S. ausdrücklich den Zarathustriern, »die mich an ihren Ritualen teilnehmen ließen, oder sich dort, wo dies nicht erlaubt ist, bemühten, mir die rituelle Praxis auf andere Weise zu demonstrieren Š Dank der neuen Technologien und der eifrigen Mitarbeiter am Heidelberger Institut für Religionswissenschaft Š liegen dem Buch nun eine CD-ROM mit an die 70 kurzen Videoclips sowie eine weitere CD mit etwa 850 Bildern und 11 Musikeinspielungen bei Š Mit dem Thema ðRitualeÐ bündelt dieser Band auf einer anderen Ebene noch einmal unterschiedliche, in den ersten beiden Bänden angelegte Perspektiven. Ausgehend davon, was Menschen tun, und wie sie sich zu dem verhalten, was sie tun, kommen mit der Fokussierung auf Rituale unweigerlich Fragen beispielsweise nach Institutionen, Machtstrukturen, Diskursen, Identitätsformationen sowie kollektiven und individuellen Handlungsoptionen, historischen Kontinuitäten und Transformationen, divergierenden Innen- und Außenperspektiven gerade in ihrem Zusammenspiel in den Blick« (Vorwort, VII f.).

S. verwirklicht dieses Konzept in detailgenauen Beschreibungen für »Grundmuster zarathustrischer Ritualistik« (1­85), »Infrastrukturen« (86­262), »Reinheitsvorschriften und Reinigungsrituale« (263­296), »Prie sterliturgien« (297­375), »Frauenspezifische Rituale« (376­394), »Übergangszeremonien« (395­483) und »Feste« (484­578) sowie mit einem Register zum Gesamtwerk (589­606). Zur Charakteristik mögen die von S. vorangestellten Überlegungen dienen:

»Seit ihren Anfängen, wie sie in den ðaltavestischenÐ Texten dokumentiert sind Š, sind Rituale dominante Handlungsfelder der zarathustrischen Religionsgeschichte«. Doch »neben Indizien für erstaunliche Kontinuitäten sind Brüche und eine gewisse Variationsbreite zu beobachten. Etwa seit dem 19. Jahrhundert ist allerdings ein Veränderungsprozeß ganz neuer Qualität eingetreten: Ungefähr zeitgleich zu den zahlreichen Tempelgründungen Š setzte eine weitgehende Entritualisierung des religiösen Alltagslebens ein Š Von daher ist das wissenschaftliche Interesse an Ritualen für viele Zarathustrier nicht nachvollziehbar ­ und wird als typisches Mißverständnis westlicher Forscher abgetan. Gleichzeitig aber besteht eine rege Nachfrage nach rituellen Dienstleistungen« (1). »Die vorliegende Darstellung geht Š desk riptiv vom durch Selbst- und Fremdbeschreibungen verhältnismäßig gut dokumentierten Befund der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit aus«, um »dort, wo es möglich erscheint, retrospektiv historische Entwicklungslinien zu skizzieren« und »die Ritualpraxis in unterschiedlichen lokalen Kontexten Š zu beleuchten Š Anders als dies in der vorliegenden Literatur zu zarathustrischen Ritualen der Fall ist, wird dementsprechend auch Wert darauf gelegt, Ritualbeschreibung und -in terpretation Š möglichst sauber voneinander zu trennen« ­ weil Rituale »prinzipiell mehrdeutige und Bedeutung generierende Prozesse sind« (2).