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Ausgabe: | Dezember/2006 |
Spalte: | 1251–1253 |
Kategorie: | Religionswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Klöcker, Michael, u. Udo Tworuschka [Hrsg.]: |
Titel/Untertitel: | Ethik der Weltreligionen. Ein Handbuch. |
Verlag: | Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005. VIII, 310 S. gr.8°. Kart. Euro 39,90. ISBN 3-534-17253-1. |
Rezensent: | Viggo Mortensen |
Lexika und Handbücher sind eine Stärke der Deutschen. Hier haben wir nun ein phantastisch komprimiertes Handbuch mit ausführlichen Informationen über die Haltungen der verschiedenen Religionen und Konfessionen zu so unterschiedlichen ethischen Problemen und moralischen Dilemmata wie Abort, Prävention, Armut/Reichtum, Bekleidung, Ehe und Familie, Erziehung und Bildung, Essen und Trinken, Freundschaft, Gastfreundschaft und Asyl, Gentechnologie, Gesundheit/ Krankheit, Herrschaft, Politik und Staat, Körper und Sport, Krieg und Frieden, Mediengebrauch, Menschenrechte, Sexualität, Strafen, Umweltschutz und Tiere, Minderheiten, Wirtschaft und Globalisierung. Die Aufteilung wirkt überzeugend. Allerdings wird es immer Stichwörter geben, die man vermisst. Ich hätte mir beispielsweise eine Behandlung von ðRassismusÐ, ðApartheidÐ und ðEntwicklungÐ gewünscht, alles Fragen, die eine besonders große Rolle im sozialethischen Denken des Christentums gespielt haben und spielen. Und es könnte einen Erkenntnisgewinn bringen, wenn man untersuchte, wie andere religiöse Traditionen sich dazu verhalten haben.
Die beiden Herausgeber haben, gemeinsam mit den sieben Leitern für die Fachgebiete, vermocht, eine sehr kompetente Gruppe von religionswissenschaftlichen Forschern jeweils Spezialisten auf ihrem Gebiet um sich zu versammeln. Zu jedem Artikel ist der Name des betreffenden Forschers angegeben. Die Namen der Fachgebietsleiter (Reiner Anselm, Klaus Hock, Michael Klöcker, Martin Leiner, Heinz-Jürgen Loth, Hiltrud Rüstau und Frank Usarski) bieten die Gewähr für solide objektive Wissensvermittlung. Man kann sich ohne Bedenken auf die vorgelegten Informationen verlassen.
Die Religionswissenschaft hat ihrerseits ein Problem mit der Formulierung normativer Aussagen, aber es stellt kein Problem für sie dar, normative Haltungen, Vorschriften und Gebote wiederzugeben, die in den verschiedenen Religionen enthalten sind. Diese Darstellung wird notwendig auch von Bewertungen geprägt sein. Aber sie scheinen hier in weitaus den meisten Fällen sehr ausgewogen zu sein. Die meisten Benutzer werden z. B. sicher eine Bewertung unterschreiben können, die vom »Scheitern der traditionellen Sozialpolitik in Deutschland« spricht (44).
Die Methode ist in den einzelnen Artikeln in der Regel dieselbe: Man befasst sich zunächst mit den Quellentexten der betreffenden religiösen Tradition, um sodann die Entwicklung im Verlauf der Tradition zu verfolgen. Die verschiedenen Religionen kommen immer in derselben Reihenfolge zur Sprache: zuerst der Buddhismus, dann der Hinduismus, gefolgt von Islam, Judentum, Katholizismus und Protestantismus. Die Aufteilung in Protestantismus und Katholizismus innerhalb des Christentums wird nicht begründet, spiegelt aber den Sachverhalt wider, dass gerade auf ethischem Gebiet große Unterschiede bestehen. Schließlich ist diese Aufteilung auch aus der Sicht des Benutzers als zweckmäßig anzusehen, da sich hierin die faktische Situation in Deutschland und Europa widerspiegelt. Dass der Protestantismus an letzter Stelle steht, ist sicherlich alphabetisch begründet und ist deshalb nicht als ein Höhepunkt aufzufassen. Aber grundlegende Haltungen aus eben dieser Tradition scheinen doch das Werk zu durchdringen. Es ist ein Nachschlagewerk, das aus der kulturprotestantischen Tradition des Abendlandes heraus geschrieben ist. Unter den Mitarbeitern gibt es z. B. keinen, der nicht an einer Universität in Deutschland oder der Schweiz beschäftigt wäre. Die Gewichtung macht sich deutlich bemerkbar, wenn es beispielsweise um die Behandlung von Menschenrechten geht. Hier wird festgestellt, dass, obwohl Reformation und Aufklärung zu ihrer Entwicklung beigetragen haben, dennoch von protestantischem »Sondergut« nicht die Rede sei. »Der Menschenrechtsgedanke ist anschlussfähig an Grundgedanken evangelischer Ethik, seine Geltung darf aber nicht davon abhängig gemacht werden.« (215) Die Mutter aller Menschenrechte, die Religionsfreiheit, wird nur im Zusammenhang mit der Behandlung des Katholizismus erwähnt. Im Licht der dramatischen Ereignisse der jüngsten Zeit hätte man auch gern eine Erwähnung der Auffassung von der Meinungs- und Redefreiheit gesehen.
Das Buch wird mit einer »Grundlagenüberlegung« eingeleitet. Den Ansatzpunkt bilden hier die entscheidenden Veränderungen der religiösen Landschaft und innerhalb der individuellen Religiosität, die unter dem Eindruck der zunehmenden Globalisierung und Migration, Modernisierung, Säkularisierung und Individualisierung stattgefunden haben. Man hätte gern eine tiefer greifende Deutung dessen gesehen, was diese Rückkehr oder Wiedererfindung der Religion verursacht hat. Ist hier von religiöser Erweckung, Wiederverwertung und Recycling die Rede, oder handelt es sich um eigentliche Neubildungen, die zu bleibenden Veränderungen in der Weise führen werden, wie die Menschen leben und ihr Leben verstehen? Hätte man diese Frage genauer analysiert, hätte man vielleicht auch einen besseren Ausgangspunkt gehabt für die Auswahl der verschiedenen Themen in den religiösen Bewegungen. Hinter der Behandlung der Fundamentalismusdiskussion am Ende des 20. Jh.s scheint sich eine Theorie zu verbergen, dass wir mit dem gegenwärtigen Fundamentalismus eine Rückkehr zu den Quellen, also eine Art Erweckungsreaktion, vor uns haben.
In der Behandlung der weiteren Entwicklung überrascht es etwas, wenn man so großen Wert auf die Entwicklung innerhalb der Bewegung für das Weltparlament der Religionen legt, wo das Ganze doch nur damit endet, dass Küngs Position eines zu hohen Abstraktionsniveaus angeklagt wird. Man stimmt jedoch dem Gedanken zu, dass die goldene Regel in irgendeiner Form das moralische Zusammenleben begründet. Zur Diskussion wird die entscheidende Frage gestellt, die im Grunde das gesamte Projekt mit einem Fragezeichen versieht: »Taugen die Weltreligionen angesichts ihrer ðhistorischen ErblastenÐ und unvollkommenen Wirkmächtigkeit als Führungsinstanzen der Weltmoral?« Man hätte gern eine reflektierte Antwort gelesen. Stattdessen bekommen wir eine Reihe von Artikeln über die verschiedenen religiösen Traditionen und ihre Stellungnahmen zu den aktuellen ethischen Problemen. Und das ist so auch in Ordnung. Ein vorbildliches Sachregister und ein umfassendes Personenregister sind natürlich auch vorhanden.Die Herausgeber sprechen in ihrem Vorwort von »eklatanten Wissenslücken der Studierenden in teils erschreckendem Umfang«. Das Buch möchte nicht nur ein »informationsreiches Kompendium« sein, sondern auch seinen Beitrag zu »interreligiösem Lernen« leisten, das sich von »Fremdverstehen« über »Dialog zur eigenen religiösen Selbstvergewisserung« (4) bewege. Ob das gelingen kann, wird wohl davon abhängen, wie man dieses Arbeitsmittel im Unterricht einsetzt. Jedenfalls liegt ein unentbehrliches Nachschlagewerk für den vor, der diese Wissenslücken füllen und sich mit (sozial-)ethischen Problemen und vergleichender Religionswissenschaft befassen möchte.