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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1233–1244

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Markschies, Christoph

Titel/Untertitel:

Gesund werden im Schlaf?

Die antiken Schlafkulte und das Christentum

Die Hoffnung, im Schlaf, gleichsam über Nacht, gesund zu werden, ist kein Spezifikum der Gegenwart. In der Antike gab es neben den großen Schulen wissenschaftlicher Medizin auch eine religiös grundierte Heilweise, die vor allem aus Schlafen ­ technisch formuliert, aus der Inkubation ­ bestand und vorzugsweise an Tempeln des griechischen Heilgottes Asclepius geübt wurde. Um diese spezifische Heilweise soll es hier gehen. Nach einleitenden Bemerkungen über die Praxis des Heilschlafs an Asclepius-Tempeln soll in einem zweiten Abschnitt ausführlicher beschrieben werden, was mit solchen Heiligtümern passierte, als das römische Reich christlich wurde, und also nach dem christlichen Umgang mit der religiös grundierten Heilweise der Inkubation gefragt werden. In einem dritten, kürzeren Schlussabschnitt werden einige allgemeine Konsequenzen aus den Beobachtungen der voraufgehenden beiden historischen Abschnitte gezogen.1

1. Gesund werden im Schlaf: Die Therapie an den paganen Asclepius-Tempeln

Das prominenteste Asclepius-Heiligtum der Antike war ohne Zweifel der am saronischen Golf bei dem Städtchen Epidaurus gelegene Komplex von Tempeln, Herbergen, Sport- und Kulturstätten. Ausgrabungen haben die eindrücklichen Überreste der Anlage freigelegt, wir besitzen aber auch eine ausführliche Reisebeschreibung aus der Feder des kaiserzeitlichen Geographen Pausanias. Zur Abfassungszeit dieser Darstellung im 2. nachchristlichen Jh. erlebte das Heiligtum gerade eine besondere Blütephase.2 Wer es durch die Propyläen betrat, las ­ wenn er denn lesen konnte ­ über dem Eingang ein Distichon: ‘³½e½ ¯Ác ½·ÔÖÔ ¸ÅÒ´µÔ â½ÄÞ å޽ı öµµµ½±¹ ê³½µ· ´ öÃĹ ÊÁÔ½µÖ½ ¬Ã¹±, »Rein muß sein, wer den duftenden Tempel be tritt, Reinheit aber heißt, Heiliges im Sinn zu haben«.3 Auf diese Weise wurde dem oder der, die Gesundung suchten, gleich deutlich, dass hier eine religiös grundierte Heilweise in einem aus dem Alltag ausgegrenzten Bereich angeboten wurde und entsprechend heilige Gesinnung und körperliche wie geistige Reinheit Voraussetzung für erfolgreiche Heilung waren. Pausanias be schreibt weiter, dass gegenüber vom großen Tempel des Asclepius der Ort liege, an dem der Heilschlaf erfolgte: »Gegenüber vom Tempel schlafen die, die Heilung vom Gott erflehen«.4 Auch wenn Pausanias die Praxis des Heilschlafs kaum interessierte, verwies er immerhin auf sechs Votiv-Stelen, die Berichte über entsprechende Heilungen im Schlaf aus klassischer Zeit enthielten und von denen glücklicherweise zwei mit insgesamt 43 Berichten bei den Ausgrabungen wieder ans Tageslicht ge kommen sind.5 Aus diesen Texten und einem Sakralgesetz aus dem Asklepieion von Pergamon6 (sowie einem weiteren aus Amphipolis)7 kann man recht gut rekonstruieren, wie die Heilungen und die in ihrem Zentrum stehende Inkubation vor sich gingen:8 Eine weitere zentrale Quelle sind die îµÁÔd »Þ³Ô¹, »die Heiligen Berichte«, des kaiserzeitlichen Schriftstellers Aelius Aris tides, eines außerordentlich sprachgewandten Hypochonders, der in diesem Text bis in die Details seiner seelischen Stimmung die Wirkungen verschiedener Kuren in den Asclepius-Heiligtümern von Smyrna und Pergamon geschildert hat. Aus allen diesen Quellen ergibt sich ein relativ einheitlicher und über die Jahrhunderte konstanter Ablauf einer Behandlung in einem Asclepius-Heiligtum: Um die erwähnte rituelle Reinheit herzustellen, unterzogen sich die Besucher zunächst Bädern und Waschungen und brachten dem Gott Opfer dar. Musik und die dem Asclepius heiligen Schlangen dürften bei dem Ritual ebenfalls eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben. Erst nach diesen rituellen Vollzügen durften die so gereinigten Menschen im sogenannten ô±ÄÔ½ (wörtlich: »das Unbetretbare«) auf einem Bett liegend den Heilschlaf antreten. Falls ein Pa tient nicht transportfähig war, konnte an seiner Stelle auch ein Priester oder Sklave gleichsam stellvertretend für ihn schlafen. Im günstigen Falle erschien der Gott dem Kranken im Traum (ù½±Á), gelegentlich auch im Wachzustand (ûÀ±Á) und führte im Traum irgendeine Form der Therapie durch, an deren Ende eine Heilung stand, oder ordnete jedenfalls eine Therapie an. Der Patient war nach dem Ende seines Heilschlafs verpflichtet, den Inhalt seines Traumes schriftlich niederzulegen, den Priestern zu übergeben und dem Gott ein Dankopfer zu leisten so wie ein Honorar zu zahlen. Dessen Höhe fiel je nach sozialem Status durchaus unterschiedlich aus. Nach Auskunft der Suda, eines byzantinischen Lexikons, soll beispielsweise der Tragödien-Dichter Aristarch von Tegeas, ein Zeitgenosse des Euripides, zum Dank für eine erfolgte Heilung dem Asclepius ein ganzes Drama gewidmet haben, weil der Gott dies von ihm verlangt habe.9

Was bedeutete aber »Gesund werden im Schlaf« konkret? Auf den erwähnten Stelen in Epidaurus werden sehr verschiedene Formen einer solchen Heilung im Schlaf (oder präziser: im Traum während des Schlafes) berichtet: Einmal erklärt der Gott im Traum einfach, der Kranke sei gesund, und durch sein Wort ist er dann auch geheilt. Einige andere Patienten werden im Traum ermahnt, nach dem Aufwachen bestimmte Medikamente einzunehmen, und gesunden auf Grund dieser göttlich verordneten Medikation nach der Rückkehr in ihre Heimat. Ge legentlich kommt es im Traum sogar zu medizinischen Eingriffen, beispielsweise der Dekaptivierung eines Wassersüch tigen, dessen Wasser abgelassen wird, bevor ihm vom Gott der Kopf wieder aufgesetzt wird. Manche dieser auf den Stelen berichteten Heilungen erinnern entfernt an Therapien der zeitgenössischen wissenschaftlichen Medizin, andere wirken heute nur noch grotesk: Von einem gewissen Kleinatas aus Theben wird berichtet, dass er mit einem Leib voller Läuse in der Schlafhalle schlief und träumte, Asclepius habe ihn ausgezogen und die Läuse vom Leib gefegt. Einer dieser häufig ebenso knappen wie formelhaften Berichte aus jenen Votivstelen sei hier als Beispiel zitiert:

»Ambrosia aus Athen, einäugig. Diese kam als Hilfeflehende zum Gott. Als sie herumging im Heiligtum, verlachte sie einige der Heilungen als unwahrscheinlich und unmöglich, daß Lahme und Blinde allein dadurch schon gesund würden, daß sie einen Traum gesehen hätten. Als sie im Abaton schlief, hatte sie ein Traumgesicht: Es schien ihr, daß der Gott zu ihr trat und sagte, daß er sie gesund machen werde, daß sie jedoch verpflichtet sei, als Lohn im Heiligtum ein silbernes Schwein zu weihen zum Gedenken an ihre Unwissenheit, nach diesen Worten ihr krankes Auge aufschlitzte und ein Heilmittel hineinträufelte. Nach Tagesanbruch ging sie gesund nach Hause.«10

Neben diesen formelhaften Berichten aus klassischer Zeit, mit denen das Heiligtum natürlich auch für sich selbst warb, gab es in Epidaurus auch unzählige kleine Votivgaben, zum Teil mit Dankinschriften: Im Museum von Epidaurus wird beispielsweise eine kaiserzeitliche Tafel, eine sogenannte tabula an sata, mit zwei Ohren gezeigt, unter der sich folgende lateinische Inschrift findet: Cutius has auris Gallus tibi voverat olim/ Phoebigena, et posuit sanus ab auriculis; »Der Gallier Cutius hatte diese Ohren Dir einst versprochen, Sohn des Phoebus (i. e. Asclepius), und hat sie ausgestellt, an den Ohren geheilt«.11 Leider erfährt man aus solchen knappen Votivinschriften nur selten etwas über konkrete Therapien. Allerdings ist vor reichlich 20 Jahren in Pergamon bei Straßenbauarbeiten eine Votiv inschrift entdeckt worden. Auf dieser Inschrift, die wahrscheinlich aus dem dortigen großen Asclepius-Heiligtum stammt, berichtet ein Zeitgenosse des großen Mediziners Galen im 2. Jh. sehr detailliert über eine ebenso erfolgreiche wie rigorose Diätkur, die ihm Asclepius vermutlich im Traum offenbart und verordnet hat: Ein gewisser Publius Aelius Theon will auf Geheiß des Gottes 120 Tage lang am »frühen Morgen eines jeden Tages« nichts getrunken haben und auf nüchternen Magen »fünfzehn Körner Pfeffer und eine halbe Zwiebel« gegessen haben und so »aus vielen und großen Gefahren« errettet worden sein.12

Diese reichlich drastische Heilweise unterschied sich sowohl durch die Anwendung von umstrittenen Heilmitteln wie der Zwiebel als auch durch ihre Rigorosität von Therapien der zeitgenössischen Medizin: Studierte Ärzte warnten in der Antike davor, Pfeffer zu essen, ohne etwas zu trinken; auch dürfte der Versuch, vier Mo nate lang am Morgen nichts zu trinken, mit sehr schmerzhaften Gesundheitsbeschwerden verbunden gewesen sein.13 Aber in eben dieser Abweichung von der zeitgenössischen wissenschaftlichen Medizin lag die Pointe der religiös grundierten Heilweise, die an den Asclepius-Tempeln ausgeübt wurde. An ders formuliert: Die wunderbare Allmacht des Gottes wurde eben dadurch bewiesen, dass die von ihm vorgesehene Therapie allen Vorschlägen und Vorstellungen der Ärzte widersprach und trotzdem Erfolg zeitigte.14 Selbst die Tatsache, dass die Heilung mit Schmerzen verbunden war, sprach unter solchen Umständen für die Mächtigkeit der besonderen numinosen Kraft, die nach Ansicht der meisten antiken Menschen hier am Werke war. Man wird diesen medizinischen Phänomenen und dem großen Erfolg solcher Heiligtümer in der Antike sicher nicht gerecht, wenn man solche Heilungen im Schlaf wie Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff einfach nur als reinen »Kurschwindel« ab wertet.15 Vielmehr muss man von den Berichten der Patienten ausgehen: Der erwähnte kaiserzeitliche Schriftsteller Aelius Aristides beschreibt das Ergebnis seiner Schlafkuren in zwei Asclepius-Heiligtümern mit dem griechischen Wort ®÷±ÃÄÒ½·, einer Art erleichterndes Glücksgefühl wohl größtenteils psychosomatischen Ursprungs.16Im Unterschied zur religiös grundierten Heilweise, die an den Asclepius-Tempeln geübt wurde, setzte die wissenschaftliche Medizin der Antike Schlaf und Traum praktisch nie als therapeutisches Mittel ein, sondern verwendete Träume gelegentlich als probates Mittel der medizinischen Anamnese: Bereits in der Schrift »Über die Reglung der Lebensweise« (  µÁd ´¹±Ä·Â), deren Zuweisung an Hippokrates schon in der Antike strittig war, wird die Traumdeutung als wichtiger Teil der medizinischen Kunst bezeichnet. Im Traum kündige die Seele krankhafte Zustände des Körpers an, beispielsweise einen Überschuss an körpereigenen Stoffen wie Blut. Ein kundiger Arzt interpretiert den Traum richtig, indem er seinen Patienten zur Ader lässt.17

Der Ende des ersten nachchristlichen Jh.s lebende Mediziner Rufus von Ephesus hat in der ersten erhaltenen Schrift über die Patientenanamnese den Fall des Ringkämpfers Myron aus Ephesus überliefert, der träumte, in einem dunklen See leben zu müssen. Weil sein Trainer diesen Traum nicht zu interpretieren verstand und den Ringkämpfer vor dem nächsten Training nicht zur Ader ließ, verstarb dieser noch während der Übungen unter heftigen Schmerzen. Rufus schließt den Abschnitt: »Ich bin vollkommen davon überzeugt, daß entsprechend dem Zu stand der im Körper vorhandenen Säfte Traumvorstellungen zustande kommen, die dem Menschen gute und schlimme Vorgänge anzeigen«.18 Der gelehrte Mediziner führt die Träume also nicht auf eine numinose Macht, auf einen Heilgott oder die besonderen Umstände des Heilschlafs an den Tempeln zurück, sondern ganz einfach auf das spezifische Mischungsverhältnis der im Körper vorhandenen Säfte, mithin auf Grundgegebenheiten der antiken Humoralpathologie.19 Eine ausführliche wissenschaftliche Kritik an der religiös grun dierten Heilweise oder gar eine regelrechte Entmythologisierung ihrer religiösen Grundannahmen findet sich bei Rufus freilich nicht ­ wie auch sonst meiner Kenntnis nach nirgendwo in der wissenschaftlich-medizinischen Literatur. Offenbar nahmen die wissenschaftlich ge bildeten Ärzte das, was bei den Asclepius-Tempeln geschah, re lativ ruhig hin. Kräftige Polemik gegen Asclepius findet sich erst bei den gelehrten christlichen Theologen der Kaiserzeit. Clemens von Alexandrien nennt As clepius (mit Pindar) einen »geldgierigen Arzt« ( å±ÄÁe ʹ»¿Á³ÅÁÔÂ)20; die ganze Heilkunst wurde seiner An sicht nach ohnehin in Ägypten entwickelt und von Asclepius, den er für eine reale Figur der Vorzeit hält, nur weiterentwickelt, aber keinesfalls erfunden.>21 Trotz solcher Polemik, die sich na türlich nicht nur bei Clemens von Alexandrien findet, darf man aber nicht annehmen, die Anhänger der neuen christlichen Religion, die sich seit dem 2. Jh. sehr schnell im Reich ausbreitete, hätten die paganen Heilkulte strikt gemieden. Das belegen beispielsweise Graffiti an den Wänden solcher Heiligtümer.22 Nach diesen Beobachtungen zur Inkubation in paganen Heiligtümern können wir uns nun in einem zweiten Abschnitt dem Fortleben dieser Heiltechnik in christlichen Kirchen der Antike zuwenden.

2. Gesund werden im Schlaf:Die christliche Therapie in den Kirchen

Zu den auf den ersten Blick überraschenden Befunden antiker Religions- und Medizingeschichte gehört, dass die religiös grun dierte Heilweise der Inkubation auch nach dem Ende ihres ur sprünglichen religiösen Bezugssystems fortgesetzt wurde. Nachdem das spätantike Kaiserreich das Christentum am Ende des 4. Jh.s als Staatsreligion angenommen hatte und immer mehr pagane Heiligtümer geschlossen oder in christliche Kirchen umgewandelt worden waren, wurde an einer ganzen Reihe von Orten die Heilung im Schlaf einfach fortgesetzt. An Stelle von Asclepius (und anderen Heilgöttern) erschienen nun Christus und verschiedene Heilige den Patienten im Traum, gaben ihnen Anweisungen, kurierten ihre Leiden und machten sie so gesund. Dieselbe Form von Heilung im Schlaf wurde nun von anderen bewirkt bzw. beglaubigt als zuvor; an die Stelle der Götter Asclepius und Isis traten nun die christliche Trinität und die Heiligen.

Eine solche Übernahme der Inkubation durch die Christen kann man nun entweder an der Baugeschichte verschiedener Asclepius-Heiligtümer studieren oder an antiken christlichen Texten nachvollziehen, in denen über solche Heilungen im Schlaf berichtet wird. Unglücklicherweise haben wir für die Orte, an denen sich eine solche Transformation des Heilkultes archäologisch gut nachvollziehen lässt, kaum Texte und umgekehrt an den Orten, deren Konversion durch Texte gut belegt ist, keine guten archäologischen Befunde. Deswegen stelle ich zunächst einen eher archäologischen Befund aus Griechenland vor und füge dann Texte über einen Ort in Ägypten hinzu.23

Das beste archäologische Beispiel bietet das Asklepieion am Fuß der Akropolis in Athen, unmittelbar westlich des Dionysos-Theaters gelegen. Es wurde im 5. Jh. v. Chr. von Epidaurus aus gegründet und gehört in der Terminologie der Archäologen zum sogenannten »Tempel-Stoa-Typus«24. Das Heiligtum be stand aus Propyläen, einem relativ kleinen Antentempel samt Altar sowie einer relativ großen Halle mit einem anschlie ßenden, in den Fels getriebenen Rundraum, durch den eine Quelle gefasst war. Wir wissen aus literarischen Texten wie aus Inschriften, dass in der großen Halle im Norden des Tempels die für ein solches Asclepius-Heiligtum charakteristischen Heilungen im Schlaf, also die Inkubationen, stattfanden; schon Aristophanes nimmt in einer Komödie etwas spöttisch auf die dort geübte Heilungspraxis Bezug. Diese Praxis setzte sich bis weit in die Spätantike fort. Man kann aus der Lebensbeschreibung des spätantiken Neuplatonikers Damascius erfahren, dass das pagane Heiligtum noch im Jahre 484 n. Chr. in Funktion war, also über 100 Jahre nach der Einführung des Christentums als Staatsreligion und dem damit verbundenen offiziellen Ende der heidnischen Kulte, und dass dort selbstverständlich auch weiter Inkubationen durchgeführt wurden.25 Frühestens am Ende des 5. Jh.s wurde der relativ kleine Asclepius-Tempel ab gerissen und an seiner Stelle eine relativ große Kirche errichtet, die den beiden ursprünglich aus Syrien stammenden Ärztebrüdern Cos mas und Damian geweiht war. Die Inkubationshalle des paganen Heiligtums und die benachbarte Quelle blieben allerdings be stehen und wurden in etwas verkleinerter Form in das Seitenschiff der neuen christlichen Anlage integriert.26 Die beiden Heiligen Cosmas und Damian wurden auch ཿÁ³ÅÁÔ¹, zu Deutsch: »die ohne Geld« Heilenden, genannt und machten so schon durch ihre Bezeichnung deutlich, dass am vertrauten Ort zwar weiter geheilt wurde, die Heilung nun aber für den Pilger kostenlos war. Wir werden auf diesen Punkt der Differenz zwischen paganer und christlicher Heilung im Schlaf noch einzugehen haben.

Ganz sicher wissen wir von einer ununterbrochenen Kontinuität zwischen einer Inkubation im Rahmen eines paganen Kultes und eines folgenden christlichen Kults aber im Blick auf ein zweites Beispiel ­ leider nur aus Texten, da eine exakte Lokalisierung des Ortes bislang noch nicht gelungen ist. Im Heiligtum von Menuthis, 25 Kilometer östlich von Alexandria entfernt an der Bucht von Canopus gelegen, wurde während der ganzen römischen Kaiserzeit die Göttin Isis als ºÁ± œµ½Ô¸¹ an gerufen.27 Auch hier wurden ebenso wie in den erwähnten As clepius-Heiligtümern Kranke durch das Mittel des Heilschlafs gesund gemacht. Nach der offiziellen Anerkennung des Christentums als Staatsreligion am Ende des 4. Jh.s und dem Verbot der heidnischen Kulte war dieses erfolgreich arbeitende Zentrum einer Heilkunst auf der Basis paganer Religiosität den Christen offenkundig ein besonderer Dorn im Auge. Schon im ersten Drittel des 5. Jh.s hatte der alexandrinische Patriarch Cyrill die Gebeine zweier christlicher Märtyrer namens Cyrus und Johannes an den Ort oder mindestens in seine Nähe überführen lassen, um die Wirkung der heidnischen Göttin zu brechen und einen christlichen Heilkult zu etablieren. Aber offenbar war diese antiheidnische Maßnahme noch nicht wirklich erfolgreich und es bedurfte drastischerer Mittel.28 Daher setzte am Ende des 5. Jh.s eine Gruppe von christlichen Studenten und Mönchen den Isis-Tempel samt dem Kultbild der Göttin in Brand und beendete damit endgültig den paganen Heilkult.29 Man benannte später sogar den Ort nach einem dieser beiden Heiligen àÄ šÜÁÔ und so heißt er heute noch Abukir.

Von Anfang an ging es den Christen darum, zwar den heidnischen Kult am Ort zu beenden, aber den Heilkult fortzusetzen. So erklärte der streitbare alexandrinische Patriarch Cyrill in seiner Predigt anlässlich der Translation der Gebeine der beiden Heiligen Cyrus und Johannes,30 dass diese beiden nun die Rolle übernehmen würden, die bisher der heidnische weibliche Dämon gespielt habe, und bezeichnete sie als »wahre und himmlische Ärzte«, denen Gott die Kraft verliehen habe zu heilen.31 Den neuen Kult nannte der Bischof »die wahre und reine Heilkunst«, in der ­ im Unterschied zur paganen Inkubation ­ keine Träume fingiert würden.32 An die Stelle der ºÁ± œµ½Ô¸¹ sei der wahre ´µÃÀÞÄ·Â und ºÁ¹Ô ìµá½, Jesus Christus, getreten.33

Über Details der heilkundlichen Praxis der christlichen Inkubation nach der endgültigen Zerstörung des Isis-Heiligtums im Heiligtum der beiden Cyrus und Johannes durch die christlichen Studenten am Ende des 5. Jh.s orientieren uns 70 ausführliche Berichte, narrationes, des Jerusalemer Patriarchen Sophronius, der ein Jahr nach der islamischen Eroberung seiner Bischofsstadt 638 n. Chr. starb.34 Diese Berichte zeigen, dass in Menuthis auch nach dem vollständigen Austausch des religiösen Systems die bisherige Heilweise bzw. die Technik der Heilung im Schlaf unverändert fortbestand. Wie zuvor im Isis-Heiligtum und in den Asclepius-Heiligtümern begann das Ritual mit einer Waschung in der heiligen Quelle, gefolgt durch die Inkubation, also den Heilschlaf und das Erscheinen der Heiligen im Traum.35 Als Beispiel sei, wie für das Asclepius-Heiligtum in Epidaurus, die Erzählung von der Heilung einer Augenkrankheit zitiert:

»Über Theodorus, der nach der Heiligen Kommunion mit der Nase ab fällige Geräusche produzierte und auf einmal sein Augenlicht verlor Š Es erschienen die Märtyrer im Schlaf bei demjenigen, der das Augenlicht verloren hatte, und sagten: ðWer hat dich, Armseliger, zu dieser abscheulichen Tat verleitet? Von dieser solltest Du Dich Zeit Deines Lebens fernhalten, weil sie heidnisch ist und den Dämonen eigen. Š Wenn du nun am dritten Tag, während der Verwalter des Heiligtums erscheint und mit dem Weihrauchfaß in der Hand das Heiligtum weihräuchert, die Kohlen des Weihrauchfasses siehst und aus den Kohlen den Rauch steigen siehst, wirst Du Errettung finden von der Geißelung und Dein Augenlicht zu rück gewinnenÐ.«36

Natürlich handelt es sich bei den Berichten des Jerusalemer Patriarchen erkennbar um Erzählungen eines christlichen Bi schofs, der seine Leser zu tugendhaftem Verhalten und dogmatisch korrektem Glauben erziehen will; natürlich kann man solche Texte nicht einfach mit den aus Epidaurus und anderswo überlieferten Berichten über pagane Inkubationen vergleichen, die zu deutlich anderen Zwecken angefertigt wurden. Aber die un terschiedlichen literarischen Überlieferungen zeigen, dass in Epidaurus wie in Menuthis Menschen geheilt wurden, die von den Ärzten aufgegeben worden waren. An beiden Orten wurden Kritiker der Wunderheiligen kuriert und so die Kraft einer religiös grundierten Heilweise sichtbar gemacht. Die beiden Heiligen Cyrus und Johannes in Menuthis raten ihren Patienten wie der Gott Asclepius im Traum teilweise nur die Benutzung probater medizinischer Mittel wie beispielsweise eines Wachspflasters gegen Schwellungen oder einer Feige gegen Verstopfung an,37 teilweise empfehlen sie einfach die Anwendung von Wasser aus der Quelle des Ortes (die Sophronius »ÔÅÄÁe½ Äá½ ê³ɽ nennt)38 oder von Öl aus den Lampen am Grab der Heiligen,39 teilweise kurieren sie die Patienten gleich im Schlaf, beispielsweise einen Leprakranken zunächst mit Natronsalz gegen seine Geschwüre und einige Tage später mit gekochtem Erbsenbrei gegen die Narben der Salzkur,40 oder einfach mit ihren eigenen Händen:41 Auch in den Berichten des Sophronius über die Wunder der beiden Heiligen von Menuthis finden sich wie in den Texten aus Epidaurus Heilungsformen, die uns heutigen Zeitgenossen reichlich grotesk anmuten: Einem Paulus, »der den Kopf voller Würmer hatte«, empfehlen die beiden Heiligen, vor den Toren des Heiligtums den Erstbesten zu ohrfeigen, worauf dieser zurückschlägt und der getroffene Paulus so heftig zu Boden stürzt, dass »Blut und Würmer aus ihm flossen«.42

So betrachtet, dominieren die Kontinuitäten zwischen der pa ganen und der christlichen Heilung im Schlaf, ungeachtet aller Veränderungen im weltanschaulichen und religiösen Be zugs system. Einen gewichtigen Unterschied zwischen beiden Formen eines religiös grundierten Heilkultes auf der Basis von Heilschlaf hatten wir allerdings schon kurz angesprochen: Für die Heilung in den paganen Asclepius-Heiligtümern war ein vorgängiges Op fer und eine nachträgliche Bezahlung erforderlich, im christianisierten Athen heilten die beiden Brüder Cosmas und Damian dagegen als ཿÁ³ÅÁÔ¹, »ohne Geld«, und auch Cyrus und Jo hannes in Menuthis wurden mit diesem Titel angesprochen.

Schon in seiner Predigt zur Translation der Heiligen am Anfang des 5. Jh.s formuliert der Patriarch Cyrill von Alexandria diesen Grundsatz der kostenlosen Heilung entsprechend streng: àøµ½Ôܽı ¸µÁ±ÀµµÄµØ ´ÉÁµa½ ⻿µÄµ, ´ÉÁµa½ ´Þĵ, »umsonst habt ihr die Kraft zu heilen empfangen, also heilt auch umsonst«.43 Und auch bei Sophronius werden Cyrus und Johannes als ཿÁ³ÅÁÔ¹, als »honorarfreie Heiler«, zum christlichen Gegenmodell der geldgierigen ºÁ± œµ½Ô¸¹, der Isis und der ebenso geldgierigen wie erfolglosen Asklepiaden, der gebildeten Ärzte, stilisiert. Entsprechend kritisch kommentiert die Suda die bereits erwähnte Information, dass der Tragödien-Dichter Aristarch von Tegeas dem Asclepius ein ganzes Drama gewidmet habe, weil der Gott dies von ihm verlangt habe: Heilgötter würden niemals Lohn erbitten und solchen auch nicht empfangen.44

Zusammenfassend kann man also sagen, dass allenfalls diese besondere Aufmerksamkeit für kostenlose Heilung und ein verstärktes Augenmerk auf die sozial Schwachen45 ein Zeichen dafür sind, dass das religiöse Bezugssystem in Athen und Menuthis am Ende der Spätantike ausgetauscht worden war. Ansonsten dominierten die Kontinuitäten.

Damit können wir nun in einem dritten und letzten Ab schnitt einige allgemeine Konsequenzen aus den Beobachtungen der voraufgehenden beiden historischen Abschnitte ziehen.

3. Schlussbemerkungen

Angesichts einer solchen auf den ersten Blick sehr überraschenden Kontinuität einer religiös grundierten Heilweise bei gleichzeitigem weitgehenden Austausch ihres religiösen Bezugssystems stellt sich natürlich sofort die Frage, warum antike Men schen zwar grundlegende Elemente ihrer Religion austauschten, aber ein damit eng verbundenes heilkundliches Paradigma praktisch unverändert beibehielten. Als »heilkundliches Paradigma« möch te ich ­ dabei eine Terminologie des Münchener Medizinhistorikers Paul U. Unschuld aufgreifend46 ­ das bei Heiden wie Christen mit der Heilweise bzw. Heiltechnik der Inkubation verbundene, in aller Regel im Verhalten natürlich nur implizitierte theoretische Rahmenkonzept bezeichnen: Wer sich in einen Tempel oder eine Kirche begab, um dort im Schlaf gesund zu werden, rechnete mit direkten Eingriffen eines Gottes oder göttlicher Wesen in seine eigene Gesundheit. Während die wissenschaftliche Medizin im Traum ­ wie wir an Rufus von Ephesus gesehen hatten ­ zunächst einmal nur eine der Interpretation des Fachmanns bedürftige Widerspieglung körperlicher Zustände sah,47 hielten die Pilger in den Heiligtümern von Epidaurus, Athen, Dor und Menuthis eben den Traum für ein In strument göttlicher Kommunikation und Heilung. Wie konnte aber ein bestimmtes heilkundliches Paradigma einfach fortgesetzt werden, wenn doch das weltanschauliche Gesamtkonzept, das es trug, zusammengebrochen war?

Ein erster Grund scheint mir darin zu bestehen, dass ungeachtet aller von den Christen gegen die antiken Heilgötter ge richteten Polemik Jesus Christus religionsphänomenologisch betrachtet diesen Heilgöttern vergleichsweise ähnlich war.48 Be sonders Christus und Asclepius waren in vielfacher Hinsicht so ähnlich, dass man sie leicht verwechseln konnte. Das galt im Blick auf die Ikonographie ebenso, wie es für religiöse Inhalte zutraf. Erich Dinkler hat vor vielen Jahren gezeigt, welchen Einfluss die Ikonographie des Asclepius im 3. wie im frühen 4. Jh. bei Darstellungen Jesu Christi hatte, da es noch gar keinen fes ten Typus des Christusbildes gab, sondern dieser nur im Bildzusammenhang, dem ikonographischen Kontext, als Christus zu identifizieren war.49 Die ikonographischen Parallelen aber wa ren, wie Dinkler selbst schreibt, ja nur ein Ausdruck der inhaltlichen Analogien, die zwischen Christus und Asclepius herrschten und vermutlich einen der Hauptgründe für die Konkurrenz auf dem Felde der Frömmigkeit, der Mission und der religiösen Theorie darstellten.

Bereits Adolf von Harnack hat in seiner Missionsgeschichte auf die zeitliche Parallele zwischen der Ausbreitung des Christentums und dem Aufschwung des Asclepius-Kultes in der römischen Kaiserzeit hingewiesen50 und die Umgestaltung des Christentums in eine »Religion der Heilung« und als »Medizin der Seele und des Leibes« umfassend zu beschreiben versucht.51 Enge sprachliche Parallelen zwischen paganer und christlicher Verehrung des jeweiligen Gottes zeigen, wie nahe sich beide Religionen phänomenologisch betrachtet standen: So wie Christen ihren Christus als »Retter« oder »Heiland«, als ÃÉÄÁ, und als König, als ±Ã¹»µÂ, bezeichneten, nannte der vorhin erwähnte sprachgewandte Hypochonder Aelius Aristides den Asclepius einen »freigiebigen Heiland und Hüter« und behauptete, dass der Gott »große und viele, ja vielmehr alle Kräfte« habe.52 Beide, Christus und Asclepius, wurden nicht nur als »Heiland« (ÃÉÄÁ) angerufen, sondern auch als Arzt (å±ÄÁÞ bzw. medicus) bezeichnet.53 Solche sprachlichen Parallelen sind aber, wie gesagt, ein Zeichen der inhaltlichen Analogien: Beide, Christus und Asclepius, waren Söhne eines Gottes und einer sterblichen Frau, beide starben einen irdischen Tod und wurden wieder lebendig, beide waren eng mit ihrem Vater verbunden. Von beiden wurden Geschichten als göttliches Kind (Norden) erzählt,54 beide lebten ethisch höchst vorbildlich, heilten Kranke durch Handauflegung und we ck ten Tote auf.

Ein zweiter Grund dafür, dass das mit der Inkubation verbundene heilkundliche Paradigma von den Christen einfach fort gesetzt wurde, besteht darin, dass eine ganze Reihe von christlichen Theologen sehr genau zwischen dem religiösen Hintergrund der pa ganen Heilkulte und ihrer heilenden Wirkung zu trennen wusste. Heilung im Schlaf war für diese Theologen keine durch den heidnischen Gebrauch kontaminierte Heiltechnik. Und so war die teilweise kräftige Polemik gegen die paganen Heilgötter durchaus nicht das einzige oder gar letzte Wort vieler antiker christlicher Theologen. Eine ganze Reihe von ihnen (nicht nur das sogenannte »einfache Kirchenvolk«) beurteilten Asclepius, den Patron der Medizin, der »hoffnungslose Fälle« heilt, wie es in der Suda heißt,55 den »tadellosen Arzt« (൵ɽ å·ÄÁ), wie man seit Homer sagte (Il. IV 194),56 durchaus nüchtern und offen. Sie erkannten trotz aller Kritik an der Vergottung eines Menschen die heilkundliche Kompetenz an seinen Heiligtümern an. So werden beispielsweise schon vom Apologeten Justin Mitte des 2. Jh.s die Heilungen des Asclepius nicht geleugnet, sie gelten vielmehr als »ähnlich oder gleich dem«, was von Christus erzählt wird.57 Und der erste christliche Universalgelehrte Origenes ak zeptierte in seiner großen Auseinandersetzung mit dem platonischen Philosophen Celsus in der ersten Hälfte des 3. Jh.s, dass ein Dämon wie Asclepius wirklich körperliche Krankheiten heilen könne.59 Der lateinische Apologet Arnobius im 4. Jh. führt dagegen in seiner ausführlichen Polemik gegen Asclepius dessen Heil erfolge auf die Kunst der Ärzte und ihre Rezepte zurück.12 Auch Athanasius von Alexandrien bestreitet interessanterweise nicht, dass Asclepius die Heilkunst ausübte und auf Grund seines na turkundlichen Wissens Kräuter fand, die zur Heilung kranker Körper dienen können.60 Obwohl man nach Ansicht des Athanasius solche Heilkünste nicht mit den Heilstaten Christi vergleichen kann, spricht doch Anerkennung für die heilkundliche Kompetenz der ‘ú»·À¹¿´±¹, der Ärzte, aus diesen Worten.

Wenn also schon die christlichen Theologen die im Asclepius-Kult geübte Heilweise erheblich freundlicher beurteilten als die kultische Verehrung dieses Heilgottes, dann verwundert es weniger, dass auch die um Heilung bemühten Kranken ohne große Vorbehalte das in diesen Kulten präsente heilkundliche Wissen nutzten. Ebenso wenig verwunderlich ist es dann, dass christliche Bischöfe und Gemeinden solche Heilkulte in ihren christlichen Kult und in die christlichen Wallfahrtsheiligtümer übernahmen. Aus heutiger Perspektive wundert man sich höchstens über die Unbefangenheit, mit der weit mehr als nur eine Heiltechnik übernommen wurde: Ein ohne Zweifel christlicher Besucher des Heilbades in Gadara/Hammat Gader am See Ge nezareth im 5. oder 6. Jh. hinterließ eine Votivinschrift aus Mar mor, die er mit seinem eigenen Namen abschloss: ‘ú[»·]À(Ô)Â, und empfand offenbar keinerlei Probleme, diesen Namen eines heidnischen Gottes an einem christlichen Kurort einmeißeln zu lassen.61

Der historische Befund verlockt dazu, ihn in verschiedensten Hinsichten auf die Gegenwart zu beziehen, zunächst einmal eher medizinisch: Kann man vor dem Hintergrund der antiken Heilungen im Schlaf gegenwärtige Bemühungen um vertieftes medizinisches Verständnis und therapeutische Nutzung des Schlafes besser verstehen und umgekehrt von daher die antiken Befunde?62 Lässt sich etwas lernen über die Art, in der Plausibilität von Heilweisen aufgebaut wird und wieder abnimmt, also für eine essentielle Frage bei den gegenwärtigen Diskussionen über das bundesrepublikanische Gesundheitswesen, in dem längst nicht mehr alle Therapien finanzierbar sind?63 Und schließlich, auf die Theologie gewendet: Auch wenn wohl kein vernünftiger Christenmensch den so staunenswerten und se gensreichen Professionalisierungsschub der neuzeitlichen Medizin umkehren will, lohnt die Überlegung, ob die damit verbundene weitgehende Übertragung heilender Kompetenzen an die Ärzte das letzte Wort in der Sache sein kann, allzumal dann, wenn man Theo logie als eine Lebenswissenschaft verstehen möchte.64 Aber um solche brennenden gegenwärtigen Fragen einigermaßen solide beantworten zu können, muss erst noch besser verstanden werden, warum man vor Zeiten in der Kirche im Schlaf, gleichsam über Nacht, gesund werden konnte und was das mit dem Wesen des Christentums zu schaffen hatte.

Summary

Hope of healing is not a specific phenomenon of modern society. In ancient Greece, scientific healing approaches, taught at schools for scientific medicine, as well as healing procedures based on religion, co-existed. Latter particularly focused on sleep ­ the so-called incubation ­, and were practiced at temples of the healing god Asclepius. After introductory remarks on the practice of therapeutic sleep at Asclepius temples, the second part deals with the question of what happened with such sanctuaries after the Roman Empire was christianized and how Christians dealt with the healing tradition of incubation. The last part focuses on ge n eral results from the historic parts.

Fussnoten:

1) Der folgende Text wurde bei verschiedenen Gelegenheiten in Berlin und Bologna vorgetragen; er verwendet auch Ergebnisse des Forschungsprojektes »Heil und Heilung in der Spätantike«, das durch Mittel des Leibnizprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft und im Rahmen des Sonderforschungsbereiches »Transformationen der Antike« finanziert wird; ausführlichere Informationen auf http://www.heil-und-heilung.de/ und http://www2.hu-berlin.de/theologie/kg/heilundheilung.htm.

2) E. Künzl, Medizin in der Antike. Aus einer Welt ohne Narkose und Aspirin, Darmstadt (= Stuttgart) 2002, 18.

3) Anthologiae Graecae Appendix, Epigrammata exhortatoria et supplicatoria 18,2 f.

4) Pausanias II 27,2 f.

5) Pausanias II 27,3. ­ Vgl. aber auch den Dank des M. Iulius Apellas für erfolgte Heilung aus Epidaurus: IG IV21, 126 = Dittenberger, SIG3 III, 1170 = SIG2 III, 804.

6) C. Habicht/M. Wörrle, Altertümer von Pergamon VIII/3: Die In schriften des Asklepieions, Berlin 1969, Nr. 161 = LSAM14; zu den Vorschriften Wörrle, a. a. O., 171­186.

7) Publiziert und kommentiert bei C. Veligianni, Lex sacra aus Amphipolis, ZPE 100 (1994), 391­405, Text 391.

8) F. Graf, Heiligtum und Ritual. Das Beispiel der griechisch-römischen Asklepieia, in: O. Reverdin/B. Grange (Hrsg.), Le sanctuire grec (Entretiens sur l¹Antiquité classique 37), 1992, 159­199, sowie G. Lo rentz, Apollon ­ Asklepios ­ Hygieia. Drei Typen von Heilgöttern in der Sicht der vergleichenden Religionsgeschichte, Saeculum 39 (1988), 1­11; P. Athanassiadi, Dreams, Theurgy and Freelance Divination: The Testimony of Iamblichus, JRS 83 (1993), 115­130.

9) Suda s. v. ‘ÁÃıÁ¯Ô ± 3893 (LexGr I/1, 352,1 f. Adler).

10) IG IV2 1, 121 (erste Stele, Teil 4, 121) = SIG3 III, 1168 (p. 312,34­313,41).

11) IG IV2 1, 440 (112; vgl. SIG3 III, 1169, n. 113). In den Erläuterungen zur Inschrift in den IG wird Cutius mit M. Iulius Cottius (Iulius Nr. 197 in RE X, 576) identifiziert, was freilich höchst unsicher ist.

12) Zeilen 3­7 nach H. Müller, Ein Heilungsbericht aus dem Asklepi eion von Pergamon, Chiron 17 (1987), 193­233; Kommentar bei Müller, a. a. O., 212­223.

13) Müller, Ein Heilungsbericht, 232 f.

14) So auch die Analyse von Müller, Ein Heilungsbericht, 227, für die Therapien, die Aelius Aristides auf sich nimmt.

15) U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Der Glaube der Hellenen II, Darmstadt 1984 (= ebd. 21955), 228.

16) Müller, Ein Heilungsbericht, 224.

17) Ps.-Hipp., De diaeta IV 2 f. [87 f.] (CMG I/2/4, 444 Joly/Byl); vgl. auch A. Garzya, Art. Traum, in: Antike Medizin. Ein Lexikon, hrsg. v. K.-H. Leven, München 2005, 873­878.

18)) Ruf. Ephes., Quaestiones medicinales 5,29 und 33; Text und Übersetzung in: Rufus von Ephesos, Die Fragen des Arztes an den Kranken, hrsg., übers. und erläutert v. H. Gärtner (CMG. Suppl. IV), Berlin 1962, 34,18­25 u. 36,3­5 bzw. 35 u. 36.

19) Anders sein Zeitgenosse Artemidor in seinem Traumbuch: Träume, die Kurvorschriften zum Inhalt haben, sind nach Artemidor ein ʹ»¿½¸ÁÉÀÔ½ der Götter (IV 222 [BiTeu 256 Pack]); sie zeichnen sich deshalb durch unkomplizierten Inhalt und leichte Verständlichkeit aus.

20) Clem. Al., protr. 30,1 (GCS Clemens Alexandrinus I, 22,6 Stählin/ Treu) = E. J. Edelstein/L. Edelstein, Asclepius. Collection and Interpretation of the Testimonies, Vol. I, Baltimore 1998 (= ebd. 1945), test. 101, 51 (mit Hinweis auf Arn., nat. IV 24).

21) Clem. Al., str. I 75,2 (GCS Clemens Alexandrinus II, 48,13­15 Stählin/Früchtel/Treu); vgl. J. H. Croon, Art. Heilgötter, RAC XIII, 1986, (1190­1232) 1195.

22) Vgl. aus den Graffiti im »Memneion« von Abydos, dem ursprünglichen Totentempel des ägyptischen Pharaos Sethos I., nr. 524 und nr. 528; zu Text und Interpretation Athanassiadi, Dreams, 126 mit Anm. 130, sowie F. Dunand, La consultation oraculaire en Égypte tardive: l¹oracle de Bès à Abydos, in: J.-G. Heintz (Éd.), Oracles et prophéties dans l¹antiquité, Paris 1997, 65­84.

23) Der baulich wie chronologisch schwierige Befund für die Bischofskirche von Dor (12 Kilometer nördlich von Caesarea/Palaestina), durch die ich ursprünglich auf das Thema aufmerksam wurde, bleibt hier ausgespart und wird an anderer Stelle behandelt, bislang fehlt übrigens auch der abschließende Grabungsbericht; vgl. C. Dauphin, From Apollo and Asclepius to Christ. Pilgrimage and Healing at the Temple and Episcopal Ba silica of Dor, LA 49 (1999), 397­430.

24) J. Riethmüller, Asklepieia. Heiligtümer und Kulte einer griechischen Heilgottheit, Diss. Phil. (masch.) Heidelberg 2000, 304 f.

25) Dam., hist. phil. 89 A (p. 224,17 f.= Vit. Is., frgm. 218 Zintzen).

26) A. Karivieri, The Christianization of an Ancient Pilgrimage Site: A Case Study of the Athenian Asklepieion, in: E. Dassmann/J. Engemann (Hrsg.), Akten des XII. Kongresses für Christliche Archäologie. Bonn 22.­28. September 1991, Tl. 2 (JbAC. Ergbd. 20/2 = Studi di Antichità Cristiana 52), Rom-Münster 1995, 898­905. Zur Prosopographie des paganen Heiligtums vgl. S. B. Aleshire, Asklepios at Athens. Epigraphic and Prosopographic Essays on the Athenian Healing Cults, Amsterdam 1991, 75­219.

27) IG XIV, 1005: •rù ì â½ œµ½Ô¸¹/; weiteres bei R. Herzog, Der Kampf um den Kult von Menuthis, in: Th. Klauser/A. Rücker (Hrsg.), Pisciculi. Studien zur Religion und Kultur des Altertums. F. J. Dölger zum sechzigsten Geburtstage dargeboten von Freunden, Verehrern und Schülern (AuC. Ergbd. 1), Münster 1939, (117­128) 115; zum paganen Kult vgl. auch Epiph., pan. de fide 12,1­3 (GCS Epiphanius III, 512,2­13 Holl/Dummer).

28) Für die Aktionen des Patriarchen Theophilus in Canopus vgl. Ruf., h. e. XI 26 (GCS Eusebius II/2, 1032,7­1033,13 Mommsen); für Menouthis vgl. H. Leclercq, Art. Cyr et Jean (saints), DACL III/2 (1914), 3216­3220; J. Faivre, Canopus, Menouthis, Aboukir. Pagan Memories, Christian Memories, Battle Memories, Alexandria 1918, 33 f.; Croon, Art. Heilgötter, RAC XIII, 1230; B. Kötting, Peregrinatio Religiosa. Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der alten Kirche (FVK 33­35), Münster 21980, 201­211, und P. Maval, Lieux saints et pèlerinages d¹orient. Histoire e géographie des origines à la conquête arabe, Paris 1985, 317­319 (Literatur).

29) Zacharias Scholasticus, Vita Severi (PO II/1, 14­44 Kugener); vgl. P. Grossmann, Zur Gründung des Heilungszentrums der Hl. Kyros und Johannes bei Menuthis (im Druck); J. Hahn, Gewalt und religiöser Konflikt. Studien zu den Auseinandersetzungen zwischen Christen, Heiden und Juden im Osten des Römischen Reiches (Klio. Beihefte 8), Berlin 2004, 102.

30) CPG 5262 = PG 77, 1100­1105.

31) Cyr. Al., or. 18,3 (PG 77, 1105 A).

32) Cyr. Al., or. 18,3 (PG 77, 1105 A): âÁ¯¬Ã¸Éñ½ µå ໷¸¹½e½ º±d ັÀ»µÅÄÔ½ å±ÄÁµÖÔ½/.

33) Cyr. Al., or. 18,3 (PG 77, 1105 B).

34) CPG 7646 = PG 87, 3424­3676. Eine kritische, kommentierte Textausgabe mit spanischer Übersetzung bei N. Fernández Marcos, Los Thaumata de Sofronio. Contribución al estudio de la incubatio cristiana (Emerita. Manuales y anejos 31), Madrid 1975 (Edition, 243­400).

35) Vgl. für die pagane Inkubation Strabo XVII 1,17 (801); für Sophronius: T. Nissen, Medizin und Magie bei Sophronios, BZ 39 (1939), 349­381.

36)) Sophr., narr. 31,4 ( µÁd ˜µÔ´ÒÁÔÅ ®¹½ÔºÄÅÀñ½ÄÔÂ) p. 307 Fera´ndez Marcos, in der leicht korrigierten Übersetzung von J. Politis.

37) Sophr., narr. 1,8 (Wachspflaster: p. 245) bzw. 5,4 (Feige: p. 250). Vgl. auch 6,3 (Sesampflaster gegen Fistel: 252).

38) Sophr., narr. 2,3 (247); 9,5­7 (258), die Heilung erfolgt nicht durch einen »Starstich« mit Hilfe einer Starnadel (Künzl, Medizin in der Antike. Aus einer Welt ohne Narkose und Aspirin, 80­84 [Texte von Paulus von Aegina und archäologische Funde]).

39) Sophr., narr. 3,3 (248), aber auch 7,3 (253).

40) Sophr., narr. 8,12. 14 (256).

41) Sophr., narr. 16,6 (die Heiligen kurieren Hodenschwellungen, »indem sie die Geschlechtsteile gelinde mit den Händen abkühlten«: 276).

42) Sophr., narr. 18,7 (278).

43) Cyr. Al., or. 18,3 (PG 77, 1105 B).

44) Suda s. v. ‘ÁÃıÁ¯Ô ± 3893 (LexGr I/1, 352,1 f. Adler).

45) Vgl. dazu C. Cozzolino, Origene del culto ai santi martiri Ciro e Giovanni in Oriente e Occidente, Jerusalem 1976, 37­128; J. Leipoldt, Von Epidauros bis Lourdes. Bilder aus der Geschichte volkstümlicher Frömmigkeit, Leipzig 1957, 41­44.

46) P. U. Unschuld, Plausibility or Truth? An Essay on Medicine and World View, Science in Context, 8/1 (1995), 9­30.

47) S. o., 1236 f.

48) Vgl. Croon, Art. Heilgötter, RAC XIII, 1219­1230; G. D. Hart, Asclepius, the God of Medicine, London 2000, 183­199.

49) E. Dinkler, Christus und Asklepios. Zum Christustypus der polychromen Platten im Museo Nazionale Romano (SHAW.PH 2/1980), Heidelberg 1980, 23; vgl. auch Hart, Asclepius, the God of Medicine, 185, und Edelstein/Edelstein, Asclepius II, 111­118.

50) A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Wiesbaden 1981 (= 41924), 133; für die Ausbreitung des Asclepius-Kultes vgl. die Zusammenstellungen bei Hart, Asclepius, the God of Medicine, 165­182 (»Asclepius everywhere«).

51) Harnack, Mission und Ausbreitung, 136­150.

52) Ael. Ar., or. 42,4 (II, 335,4 f. Keil = Edelstein/Edelstein, Asclepius II, test. 317, 156).

53) Croon, Art. Heilgötter, RAC XIII, 1220; B. Kollmann, Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum (FRLANT 170), Göttingen 1996, 363­366, und M. Dörnemann, Medizinale Inhalte in der Theologie des Origenes, in: Ch. Schulze/S. Ihm (Hrsg.), Ärztekunst und Gottvertrauen. Antike und mittelalterliche Schnittpunkte von Christentum und Medizin (Spudasmata 86), Hildesheim u. a. 2002, 9­39.

54) Croon, Art. Heilgötter, RAC XIII, 1221 f.; F. J. Dölger, Der Heiland, AuC 6 (1950), (241­272) 259­263; A. Krug, Heilkunst und Heilkult. Medizin in der Antike (Beck¹s Archäologische Bibliothek), München 2 1993, 122.

55) Cf. s. v. ‘ú»·À¹¿´·Â Suda 4173 (Lexicographi Graeci I, 383,4 f. Adler).

56) Edelstein/Edelstein, Asclepius I, test. 164, 79.

57) Just., 1apol. 22,6 (Edelstein/Edelstein, Asclepius I, test. 94, 48 f.); vgl. Dinkler, Christus und Asklepios, 32, und M. Dörnemann, Krankheit und Heilung in der Theologie der frühen Kirchenväter (STAC 20), Tü bingen 2003, 89­91.

58) Or., Cels. III 25 (GCS Origenes I, 221 Koetschau); Dölger, Der Heiland, 250­253, und Dörnemann, Krankheit und Heilung, 121­131.

59) Arn., nat. I 48 (CSLP 42,13­18 Marchesi); Dölger, Der Heiland, 254 f.

60) Ath., inc. 49 (OECT 256,4­7 Thompson); vgl. Dörnemann, Krank heit und Heilung, 189­192.

61) L. Di Segni, The Greek Inscriptions of Hammat Gader, in: Y. Hirschfeld, The Roman Baths of Hammat Gader. Final Report, Jerusalem 1997, (185­266) nr. 5, 193.

62) A. Borbély, »Wer arbeitet, dem ist der Schlaf süss Š«. Ausschau nach dem Wesen des Schlafs. Rede des Prorektors Forschung, Dies academicus 2005 anlässlich der 172. Stiftungsfeier der Universität Zürich, Zürich 2005, 5: »Der Schlaf ist die ðterra incognitaÐ auf der Landkarte der Lebenswissenschaften«.

63) C. G. Gethmann u. a., Gesundheit nach Maß? Eine transdisziplinäre Studie zu den Grundlagen eines dauerhaften Gesundheitssystems (Forschungsberichte. Interdisziplinäre Arbeitsgruppen, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 13), Berlin 2004.

64) Ch. Markschies, Ist Theologie eine Lebenswissenschaft? Einige Be obachtungen aus der Antike und ihre Konsequenzen für die Gegenwart, Hildesheim 2005, 30­35. ­ Vgl. auch die Ausstellung »Wunderheilungen in der Antike. Von Asklepios zu Felix Medicus« im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité (10.11.2006-11.3.2007) und den gleichnamigen, von T. Lehmann herausgegeben Katalog (Oberhausen 2006).