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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1225 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Willa, Josef-Anton:

Titel/Untertitel:

Singen als liturgisches Geschehen. Dargestellt am Beispiel des 'Antwortpsalms' in der Messfeier.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2005. 265 S. 8° = Studien zur Pastoralliturgie, 18. Kart. Euro 38,00. ISBN 3-7917-1962-9.

Rezensent:

Klaus Danzeglocke

Die Dissertation des Schweizer Liturgiewissenschaftlers ist wegen ihres methodisch-konzeptionellen Ansatzes interessant. »Anthropologie der Liturgie ist keine der Theologie nachgeordnete Kategorie« (231). Konsequent wählt der Vf. seinen Ansatzpunkt bei den Humanwissenschaften (59 ff.). Dass dabei Informationen über die Geschichte des Antwortpsalms und die kirchenamtlichen Dokumente zu Liturgie und Kirchenmusik nicht zu kurz kommen, versteht sich von selbst; die entsprechenden Abschnitte seiner Arbeit sind allerdings nur Referate der einschlägigen Literatur und können darum hier übergangen werden.

Drei liturgietheologische Konzeptionen zum liturgischen Singen werden vorgestellt; sie werden unter dem Gesichtspunkt des Vollzugs des Singens, also eines humanwissenschaftlichen Ansatzes ausgewertet.

J. Gelineaus Ausgangspunkt sieht der Vf. in dessen Überlegungen zur natürlichen Symbolik der menschlichen Stimme, die bereits spricht, bevor man verstanden hat, was sie sagt (44). In der Liturgie gewinnt sie eine zusätzliche, übernatürliche Dimension: Ihr Erklingen wird zum gegenwärtigen und eschatologischen Zeichen der Gemeinschaft des Volkes Gottes. Darum bedeutet liturgisches Feiern ohne Singen eine Verarmung und Verkürzung der Liturgie als symbolisches Geschehen (49). ­ Auch P. Harnoncourt geht von einem anthropologischen Befund aus: Im Singen geschieht die existenznotwendige Entfaltung der emotionalen Kapazitäten des Menschen. Darum kann die existenzielle Betroffenheit von Heil und Unheil durch Singen ausgedrückt und verstärkt werden (50). ­ A. Gerhards versteht Singen als Erfahrung der Subjektwerdung von Individuum und Gemeinschaft (55). Im gemeinsamen Singen konstituiert sich die Gemeinde als Subjekt, das das Aufeinander-Hören und Miteinander-Handeln praktiziert.

Offensichtlich reichen die referierten humanwissenschaftlichen Grundlegungen der Liturgiker dem Vf. nicht aus. Darum fragt er nach der Natur und Funktion des Singens als Verhalten des Menschen. Zur Natur des Singens gehören zunächst die physiologischen Gegebenheiten des Singens (Atmung, Kehlkopf, Ansatzrohr usw.). Für die weitere Argumentation des Vf.s ist die Aufnahme individual- und sozialpsychologischer Studien konstitutiv. Unter dem bezeichnenden Titel »Singen als Lebenshilfe« hat der Musikpsychologe K. Adamek auf Grund empirischer Untersuchungen das Singen als Chance zur psychischen Bewältigung von Belastungssituationen und als Motor für physische Leistungssteigerung beschrieben (78.f.). Singen fördert die körperliche und seelische Gesundheit und wirkt sich positiv auf das Sozialverhalten aus. (Die Auswirkungen auf das Heilwerden des Menschen und die Gemeinschaftsfähigkeit der Gemeinde in der Liturgie sind bereits absehbar.) Meines Wissens werden die Arbeiten Adameks zum ersten Mal liturgietheologisch ausgewertet.Die gruppenpsychologischen Arbeiten (besonders von E. Klausen) werden daraufhin befragt, wie das Singen in der und für die Gruppe wirkt (93). Beim Singen in der Gruppe offenbart der Einzelne ungeschützt seine Emotionen (und macht sich damit angreifbar und verletzlich) und gibt Einblick in die Intensität seiner Identifikation mit der Gruppe. Ein bereits vorhandenes Gemeinschaftsgefühl wird im gemeinsamen Singen zum Ausdruck gebracht und verstärkt (96).

»Was geschieht, wenn Menschen im Gottesdienst singen?« (102) Mit dieser Fragestellung untersucht der Vf. die liturgische Relevanz des anthropologischen Befundes: Durch die entlastende Erfahrung im Singen wird der Mensch gelöst und aufnahmebereit für die Gegenwart des liturgischen Feierns. Liturgisches Singen setzt die Bereitschaft voraus, sich singend emotional auszudrücken und sich mit der Gemeinde emotional zu identifizieren. Diese muss mit ihrer Solidarität und Toleranz einen Raum für Offenheit und Ehrlichkeit zur Verfügung stellen (104 ff.). Anschließend werden ausführlich Geschichte und Gegenwart des Antwortpsalms bzw. des psalmus responsorius referiert. Dessen (Wieder-)Einführung im Zuge der Liturgiereform nach dem II. Vatikanum verdankt sich vor allem dem Wunsch nach Beteiligungsmöglichkeiten der Gemeinde und einem neuen Zugang zu biblischen Texten, besonders zu den Psalmen.

In den Schlusskapiteln (bes. 199 ff.) bringt der Vf. anthropologische Einsichten mit liturgietheologischen (einschl. exegetischen) Erkenntnissen zum Singen von Psalmen zusammen. Zunächst versteht er Psalmen als Zeugnisse eines Singverhaltens: Die Psalmisten haben ihre Erfahrungen von Heil und Unheil unmittelbar in Gesänge transformiert, sie also nicht zuerst dichtend, dann musikalisierend verarbeitet. So erklären sich dem Vf. auch die »Stimmungsumschwünge« in den Klagepsalmen. Nicht ein priesterliches Heilsorakel sei dafür ursächlich, sondern die dem Singen innewohnende Dynamik: »Der Psalmist erfährt während des Singens eine Veränderung seiner Befindlichkeit in positiver Richtung.« (200 f.)

Allgemeiner formuliert: Das anthropologische Potential des Singens kann zu einem liturgischen Zeichen werden. »Am Gläubigen und an der liturgischen Versammlung vollzieht sich ein Wandel ... Die Befindlichkeit des Einzelnen verändert sich in positiver Richtung, die Gemeinde wird in ihrer Gruppenbefindlichkeit und Gruppenstimmung gestärkt« (212). Diese Wirkungen deutet der Vf. als Frucht des Heil schaffenden Wortes, das in der Kraft des Heiligen Geistes wirksam ist. Das Verhältnis des Heiligen Geistes zum Vollzug des Singens müsste allerdings noch präziser bestimmt werden.